Brutalistische Kiefernholzmöbel
Studiobesuch bei Vaarnii in Helsinki
Klobig, klotzig, überraschend – und aus heimischem Kiefernholz gefertigt. Das junge finnische Designlabel Vaarnii produziert extravagante Möbel, Leuchten und Accessoires von Gestalter*innen wie Fredrik Paulsen, Faye Toogood und Philippe Malouin. Wir haben das Vaarnii-Headquarter in Helsinki besucht und mit Antti Hirvonen, einem der Gründer des Labels, über die finnische Liebe zum Birkenholz, extravagante Entwürfe sowie sein Erstaunen über Zusagen von Designer*innen gesprochen.
Dass in dieser Gegend eines der angesagten finnischen Möbellabels residiert, würde man nicht unbedingt vermuten. Zwar liegt das Headquarter von Vaarnii nur ein paar Schritte entfernt vom Marimekko-Outlet, aber das Industrieviertel am Rande von Helsinki ist alles andere als glamourös und liegt abseits der üblichen Touristenpfade. Antti Hirvonen holt uns an einem ungemütlichen Wintertag am Eingang eines unscheinbaren Gebäudes ab und bringt uns ins Untergeschoss.
Vorreiter aus dem Industriegebiet
Ziemlich unspektakulär sieht es hier aus, was aber gut zu den gemeinhin unprätentiösen Finnen passt. Doch in den Räumen von Vaarnii gibt es an jeder Ecke etwas zu entdecken, denn hier herrscht kreatives Chaos. Im Lager stapeln sich Stühle, Hocker und (Beistell-)Tische. Antti zeigt uns die kleinen Holzmodelle einer Robbe, die von Studiomama in das schaukelnde Norppa Rocking Toy verwandelt wurden – reduziert in der Designsprache, aber doch eindeutig als putziges Tier erkennbar.
An anderer Stelle steht das Möbelstück, mit dem Vaarnii assoziiert wird wie mit keinem anderen bisher: der klotzig-klobige Lounge Chair, den Max Lamb entworfen hat und der durch seine gebogene Sitzfläche überraschend bequem ist. „Der Lounge Chair steht für alles, was Vaarnii ist“, sagt Antti. „Er ist brutalistisch und anspruchsvoll zugleich.“ In den Regalen liegen Klebebänder mit aufgedruckten Möbelumrissen und Messingbeschläge mit Produktnummern, mit denen jedes Stück von Vaarnii vor dem Versand versehen wird. So unspektakulär das Interieur, so durchdacht ist das Konzept des Unternehmens, so perfektionistisch der Mitgründer und CEO. Der 41-Jährige hat neun Jahre für Tom Dixon in London und Hongkong gearbeitet und danach bei Artek alles Wichtige über das Designbusiness gelernt.
Von null auf hundert
Irgendwie hat man das Gefühl, als wäre Vaarnii schon immer da gewesen – so präsent sind die Entwürfe des Labels. Und dabei wurde das Unternehmen erst Ende 2020 von Antti Hirvonen und Miklu Silvanto, der damals Chief Creative Officer bei Bang & Olufsen war und inzwischen in den USA arbeitet, gegründet – auch mithilfe von Investoren. Doch Auftritte auf Messen wie Stockholm Furniture Fair, Fuorisalone und 3 days of design haben dazu beigetragen, den Bekanntheitsgrad des Labels zu steigern. Und natürlich die Möbel, Leuchten und Accessoires, die sich herausheben aus dem gefälligen Designallerlei.
Sie werden allesamt aus heimischem Kiefernholz in finnischen Handwerksbetrieben gefertigt und zeigen, dass das Material nichts mit der Holzhölle zu tun haben muss, die wir aus den Siebzigerjahren kennen. Zwar sind inzwischen auch andere Brands auf den Kiefernholz-Zug aufgesprungen, doch Vaarnii war der Vorreiter. Wohl kein anderes Unternehmen ist in der Umsetzung so konsequent und prescht gestalterisch ebenso wagemutig vor. Das zeigte sich im Februar auf der Stockholm Furniture Fair, wo die Finnen gleich mehrere Neuheiten präsentierten.
Neuheiten-Reigen in Stockholm
Die Leuchtenkollektion Hans beispielsweise wurde um eine Hängeleuchte im XL-Format ergänzt. In den Sechzigerjahren vom schwedischen Designer Hans-Agne Jakobsson entworfen und aus finnischem Kiefernholz gefertigt, ist sie das bisher einzige Produkt von Vaarnii, das in der goldenen Ära des skandinavischen Designs entstanden ist. Alle anderen Entwürfe stammen von zeitgenössischen Designer*innen – und sind kontemporär in ihrer Designsprache. Zuweilen ecken sie sogar an.
Mit Maasto von Ronan Bouroullec zeigte Vaarnii in Stockholm erstmals ein Möbel, das aus Kiefernsperrholz besteht. Das Material wird speziell für Vaarnii hergestellt, da es in der gewünschten Qualität auf dem Markt nicht zu finden war, erzählt Antti. Der Stuhl ist in zwei Varianten erhältlich: ohne Armlehnen und mit halben Armlehnen, was dem Entwurf Prägnanz verleiht. Eine weitere Neuheit ist ein voluminöses Loungemöbel mit Hocker, entworfen von der englischen Designerin Faye Toogood. Peace wird aus hitzebehandeltem Kiefernholz gefertigt, so dass das Möbel wetterfest und für den Outdoor-Bereich geeignet ist.
Das Kiefernholz feiern
Apropos Kiefernholz. Die Finnen haben traditionell ein enges Verhältnis zum Holz, wobei Birken- und Kiefernholz die heimische Architektur und Gestaltung stark beeinflusst haben. Doch während Birke als Hartholz in der Möbelproduktion seit jeher geschätzt wird, habe das Kiefernholz ein Imageproblem, so Antti. Es gilt als billiges Weichholz und wird am häufigsten für Papierzellstoff, Zellulose und Baumaterialien verwendet. Dieses Vorurteil hat Vaarnii mit seinen Entwürfen ad absurdum geführt. „Kiefer ist kräftig, charaktervoll, voller natürlicher Muster und Farben und bei richtigem Anbau auch kräftig“, sagt Antti. Und ergänzt, dass das Holz in Finnland wegen der niedrigen Kosten im Alltag schon immer eine wichtige Rolle gespielt hat. Daraus werden traditionell Blockhütten gebaut, Gegenstände geschnitzt und rustikale Möbel hergestellt. „In der volkstümlichen Architektur und Objektkultur steckt eine Ursprünglichkeit, eine rohe Schönheit, eine beruhigende Stärke, Großzügigkeit und Wärme, zu der wir zurückkehren und die wir feiern möchten.“
Jenseits von Alvar Aalto
Auch wenn Vaarnii sich auf finnische Traditionen beruft: Das junge Label hat es geschafft, finnisches Design jenseits von Alvar Aalto und Artek wieder auf die Agenda zu setzen, auch international. Zwar ist Finnland bisher der erfolgreichste Markt, aber inzwischen importiert Vaarnii rund 60 Prozent seiner Produkte ins Ausland, wobei der Dining Chair von Fredrik Paulsen der Bestseller ist. Dass bei der Gründung des Brands vor vier Jahren auch etablierte Designer*innen wie Max Lamb und Philippe Malouin sofort zugesagt haben, einen Entwurf beizusteuern, hat sicherlich zum schnellen Erfolg beigetragen. Dabei war es den beiden Gründern wichtig, neben klassischen Industriedesigner*innen auch Gestalter*innen mit eher künstlerischem Ansatz zu engagieren. „Es war immer mein Traum ein eigenes Unternehmen aufzubauen“, sagt Antti. Das ist ihm augenscheinlich ziemlich gut gelungen.