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„Alles auf Anfang“

100 Jahre Bauhaus Dessau und 100 Jahre Stahlrohrmöbel

Es ist das Jahr der runden Geburtstage. 1925 zog das Bauhaus nach Dessau um. Auch Thonet feiert aktuell einen Hundertsten, denn ebenfalls 1925 entwarf Marcel Breuer seine ersten Stahlrohrmöbel als Ausstattung für das neue Bauhausgebäude. Die legendäre „B 9“-Kollektion erscheint jetzt in einer Jubiläumsedition.

von Jasmin Jouhar, 17.11.2025

Als das Bauhaus 1925 von Weimar nach Dessau zog, war es ein Umzug ins Provisorium. Wo am 4. Dezember 1926 das neue Bauhausgebäude feierlich eröffnet werden sollte, gab es ein Jahr zuvor nur offenes Feld und lichten Kiefernwald. „In Dessau war 1925 alles auf Anfang“, sagt Annemarie Jaeggi. „Das Bauhaus besaß noch keine eigenen Räumlichkeiten. Die Werkstätten und Klassen waren vielmehr über die Stadt verteilt und an unterschiedlichen interimistischen Standorten untergebracht“, erzählt die Direktorin des Berliner Bauhaus-Archiv / Museum für Gestaltung.

Zu den Standorten gehörten unter anderem die Kunstgewerbe- und Handwerkerschule, die Kunsthalle und eine leer stehende Fabriketage. Erst in dem von Walter Gropius entworfenen und in nur rund einem Jahr errichteten Neubau fanden schließlich alle Einrichtungen der Hochschule an einem Ort Platz: Werkstätten und Verwaltung, Wohnungen für die Studierenden, Aula und Kantine. In unmittelbarer Nähe entstanden zudem die vier Meisterhäuser für die Lehrenden.

Fokus auf die serielle Fertigung
Doch die Phase des Übergangs war keine Phase des Stillstands: In der Weberei etwa trieb die neue technische Leiterin Gunta Stölzl die Entwicklung von Gebrauchstextilien voran – gemäß des schon in Weimar von Walter Gropius propagierten Kurswechsels weg vom Fokus auf das Handwerk und hin zur Industrie. Am Bauhaus sollten Prototypen für die serielle Fertigung entstehen. Auch Marcel Breuer konzentrierte sich auf die neuen Aufgaben. Er hatte 1925 als „Jungmeister“ die Leitung der Tischlereiwerkstatt übernommen.

„Marcel Breuer war zweifelsohne der talentierteste Student der Tischlerei“, sagt Annemarie Jaeggi. „Ab 1920 entwarf und realisierte er innerhalb weniger Jahre während seiner Weimarer Zeit eine Fülle neuartiger Werke. Es scheint, als ob er mit dem Material Holz da schon fertig war, als hätte er die Möglichkeiten des Werkstoffs bereits voll ausgeschöpft. In Dessau begann er dann, mit Metall und Glas zu arbeiten.“

Möbel aus den Flugzeugwerken
Für die Kantine des von Gropius und seinem Team geplanten Bauhausgebäudes entwarf Marcel Breuer noch im Jahr 1925 den Hocker B 9, eines seiner ersten Stahlrohrmöbel. Der Hocker bestand aus einer hölzernen Platte als Sitz und einem Gestell aus durchlaufendem Stahlrohr, das zwei Kufen ausbildete. Den Hocker entwickelte er kurz darauf zu einem Satztisch-Set weiter, das in den Studierendenwohnungen und Meisterhäusern zum Einsatz kam. Die Prototypen der frühen Stahlrohrentwürfe baute Breuer mit einem Schlossermeister der Dessauer Junkers Flugzeugwerke in deren Versuchswerkstatt.

„Das Bauhaus litt bereits in der Weimarer Zeit an der unzureichenden technischen Ausstattung seiner Werkstätten und suchte nicht zuletzt für die Idee der seriellen Herstellung seiner Werke die Kooperation mit anderen − insbesondere mit der Industrie“, erklärt Jaeggi. Der Hocker und die Satztische entstanden also nicht direkt am Bauhaus. „Auch wenn Stahlrohrmöbel keine Erfindung des Bauhauses waren, prägten sie das Bild der Schule − allein durch die Ausstattung der Meisterhäuser und eben des Schulgebäudes. Man denke nur an die Aula oder die Kantine“, ergänzt die Architektur- und Kunsthistorikerin.

Thonet und das Stahlrohr
Mit seinen Stahlrohrmöbeln erfüllte Marcel Breuer Gropius’ Direktive, für die Industrie zu gestalten. Nachdem Breuer die Herstellung seiner Möbel zunächst selbst organisiert und mit Kálmán Lengyel in Berlin die Firma Standard Möbel gegründet hatte, übernahm 1929 Thonet die Produktion. 1930 wurde im Werk im hessischen Frankenberg eine eigene „Stahlabteilung“ eröffnet. Auf Basis der Bugholz-Technologie hatte das Unternehmen im 19. Jahrhundert die Möbelproduktion industrialisiert. Dieser Prozess ließ sich nun auf das neue Material übertragen, denn es war ebenso dazu geeignet, unterschiedliche Möbeltypologien arbeitsteilig und in großer Serie zu produzieren. Zumal seine Eigenschaften – das Rohr ist leicht, stabil und federnd – es für den Möbelbau prädestinierten.

Zu den ersten Thonet-Möbeln aus Stahlrohr gehörten Breuers Freischwinger-Stühle S 32/S 64, der Hocker und die Satztische, alle bis heute in Produktion. Später kamen Modelle von Mies van der Rohe, Mart Stam sowie von Thonet selbst entwickelte Möbel dazu. Den 100. Geburtstag der B 9-Kollektion feiert Thonet jetzt mit einer Jubiläumsedition, die das Unternehmen  gemeinsam mit dem Schweizer Spielwarenhersteller Naef herausbringt. Die Edition besteht aus zwei Satztischen B 9a und B 9b sowie den geometrischen Bauhaus-Schachfiguren von Josef Hartwig, hergestellt von Naef.

Bekenntnis zu einer modernen Welt
Die Stahlrohrmöbel faszinieren auch hundert Jahre nach ihrer Erfindung noch immer. Was für Annemarie Jaeggi die Bedeutung ausmacht? „Ihre Leichtigkeit, kühle Eleganz und ihr Bekenntnis zu einer modernen Welt“, sagt sie. Oder, wie Marcel Breuer einst selbst schrieb, in Bauhaus-gerechten Kleinbuchstaben: „möbel, sogar die wände eines raumes, sind nicht mehr massig, monumental, […] sie sind vielmehr luftig durchbrochen, […] in den raum gezeichnet; sie hindern weder die bewegung, noch den blick durch den raum.“

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