Unter dem Radar
Unterwegs auf der Romanian Design Week 2024 in Bukarest
Schon mal etwas über rumänisches Design gehört? Falls nicht, nehmen wir Sie mit nach Bukarest. Wir sind zur Romanian Design Week gefahren und mit einigen interessanten Erkenntnissen zurückgekommen. Echte Produkte gab es in der rumänischen Metropole während des zehntägigen Festivals natürlich auch zu sehen, darunter archaische Keramikobjekte, kunstvolle Kleider und dreidimensionale Fliesen.
Es gibt Designfestivals in Warschau, Lodz, Belgrad, Prag, Tiflis – und auch in Bukarest. Allen ist gemein, dass sie von der westlichen Design-Community weitgehend ignoriert werden. Wie überhaupt das Design aus Osteuropa noch immer eher unbekannt ist, sieht man von wenigen Herstellern wie Brokis, Bomma und Tylko ab, die in den letzten Jahren zwischen den marktbeherrschenden westeuropäischen Labels aufgetaucht sind. Bei den Kreativen sieht es dagegen vielversprechender aus: Gestalter*innen wie Rooms Studio, Lucie Koldova, Victoria Yakusha (FAINA), Dechem Studio und Oskar Zieta sind nicht mehr wegzudenken aus der internationalen Designszene.
(Not) Going East
Ist man auf großen kommerziellen Messen und Veranstaltungen wie Salone del Mobile, Stockholm Furniture Fair und 3daysofdesign unterwegs, fällt auf, wie abgeschottet und wenig inklusiv die Designbranche ist. Hier der Westen mit Italien und den skandinavischen Ländern, eher am Rand Deutschland und Frankreich, als Ausreißer Japan und Kanada – und dort der Rest der Welt. Es existieren unzählige Designszenen nebeneinander, die überraschenderweise nur selten Berührungspunkte haben – sei es aus historischen, politischen oder wirtschaftlichen Gründen. Das konnten wir auch feststellen, als wir in der Ukraine und im Libanon unterwegs waren und dort sehr lebendige Designszenen kennenlernten, die weitgehend unter dem westlichen Radar arbeiten. Auch dort haben bis auf wenige Ausnahmen Gestalter*innen bisher kaum Kontakt zu den Big Playern der Industrie. Sie arbeiten stattdessen im Collectible Design oder stellen kleine Editionen her – fast immer in Zusammenarbeit mit vor Ort ansässigen Handwerker*innen, sodass sie quasi nebenher das traditionelle Handwerk ihrer Heimatländer am Leben erhalten.
Bukarest calling
In Bukarest scheint die Lage der Gestalter*innen ähnlich zu sein. Die rumänische Designszene ist klein, es gibt nur wenige Ausbildungsstätten und man bleibt unter sich. Berührungspunkte zu westlichen Herstellern, Brands, Events und Kreativen scheinen wenig oder gar nicht vorhanden zu sein. Das jedenfalls war unser erster Eindruck, als wir uns in der Hauptausstellung der Romanian Design Week 2024 umschauten, die in einer verlassenen Villa aus der Jahrhundertwende stattfand. Das imposante Gebäude liegt in der Innenstadt von Bukarest gleich neben dem berühmten Konzerthaus Athenäum. Ursprünglich für den Geschäftsmann und Politiker Vasile Boerescu als Wohnhaus geplant, war die im eklektischen Stil errichtete Villa seit 1922 als Restaurant CINA Treffpunkt der Bukarester High Society. Seit den 2000er-Jahren eignete sich die Kreativszene das inzwischen leer stehende Gebäude an. Aus dieser Zeit sind noch heute viele Graffitis erhalten, die nun während der Designwoche eine perfekte Kulisse für die Präsentation zeitgenössischer Entwürfe bildeten.
Vier Etagen rumänisches Design
Die zwölfte Ausgabe der Romanian Design Week bespielte unter dem Motto „Let’s unlock the City“ alle vier Geschosse des Gebäudes, wobei die obere Etage als Dachterrasse für Pop-up-Stores und andere temporäre Events genutzt wurde. Im Zentrum gelegen, bot sich von dort aus ein schöner Blick auf Bukarest. Neben der RDW Exhibition mit rund 200 Projekten fanden auch in der Stadt Veranstaltungen statt, darunter RDW Design GO! mit Satellitenevents wie Ausstellungen, Talks, geführten Touren sowie offenen Werkstätten, Design- und Architekturbüros. Doch das Epizentrum des Geschehens war die riesige Villa, die mit einer großen Außenfläche bei schönstem Wetter Platz für ein Café, abendliche DJ-Sessions und einen Designstore bot. Im Inneren waren verschiedene gestalterische Disziplinen wie Interior-, Produkt-, Mode- und Grafikdesign sowie Illustration versammelt, wobei Attila Kim Architects für die Ausstellungsgestaltung verantwortlich war. Das temporäre Interieur war mit wenigen, teils sicherheitstechnisch bedingten Interventionen ziemlich gelungen, stellte das Ruinenhafte der Architektur effektvoll heraus und ließ auch die Einheimischen einen einst legendären Ort der Stadt neu entdecken. Und es waren immerhin rund 80.000 Menschen, die das Festival besuchten, davon allein 40.000 das historische Ausstellungsgebäude CINA.
Experimentierfeld Keramik
In der großen Halle im ersten Geschoss wurden Entwürfe aus der Kategorie Produktdesign unprätentiös auf Podesten präsentiert, darunter auffällig viele Objekte aus Holz und Keramik von Designer*innen wie Andreea Chiser (Fliesenserie GeoMozaik) und refraktar + trsc (Tableware-Serie Play with your food!). Sie experimentieren spielerisch mit Material, Farben und Dekoren – so beispielsweise Studio Interrobang mit der Teller-Kollektion Plateful Insights. Diese stellt die Kalorienaufnahme der fünf Kontinente in Form verschieden großer Teller dar, die als Dekor farbige Tortendiagramme tragen. Die Bukarester Keramikszene sei in den letzten Jahren stetig gewachsen und ziemlich aktiv, erzählte die Künstlerin und Keramikerin Sandra Berghianu, als wir sie in ihrem Studio besuchten. Sie ist nach ihrem Studium in London in ihre Heimatstadt Bukarest zurückgekehrt und verkauft ihre künstlerischen Arbeiten unter anderem im Shop der Architekturfakultät.
Fashion Design als Trendsetter
Gestalterisches Highlight der RDW Exhibition aber war die Mode-Präsentation im ersten Geschoss, die sich bis in die zweite Etage erstreckte und eine aufregende Betondeckenkonstruktion offenbarte, wobei sie mit ihrem weißen Vorhang raumbildend wirkte. Auch in Rumänien ist es so, dass das Fashion Design Vorreiter für alle anderen gestalterischen Disziplinen ist, da Trends hier schneller und leichter umsetzbar sind. An den Wänden der Produktdesignpräsentation gleich nebenan hingen gerahmte Fotos, die das aktuelle rumänische Interiordesign abbildeten und in ausgelegten Foldern dokumentierten. Wie eng Kunst, Handwerk und Design zusammenspielen, zeigte die Schau „Soul of Moldova“ von Victoria Peev und Oxana Munteanu mit der Brand Kasandruta im Erdgeschoss. Die Künstlerin und Modedesignerin präsentierten ihre Entwürfe effektvoll im Halbdunkel, untermalt mit sphärischen Klängen: Kleider mit aufwendiger Spitze, kunstvoll bestickte Wandleuchten und archaische wirkende Keramikobjekte in Naturtönen, die das moldawische Handwerk feiern.
Architekturfundstücke in der Stadt
Bukarest bietet viele erstaunliche Erlebnisse bezüglich Architektur und Interiordesign. Hier finden sich neben Stadtvierteln mit Gründerzeitvillen und Dreißigerjahre-Architektur auch von rumänischen Designer*innen gestaltete Hipster-Locations. Darunter das Café Berliner Donuts von Muromuro Studio und das Restaurant Sera Eden von Corvin Christian und Workroom Architecture, das in einem neu erbauten Gewächshaus nebst Jahrhundertwende-Villa in einem lauschigen Garten untergebracht ist. Und in Bukarest steht auch das in den Achtzigerjahren errichtete, zweitgrößte Parlament der Welt. Die damals erst 26-jährige Architektin Anca Petrescu plante ein 120.000 Quadratmeter großes Gebäude im Zuckerbäckerstil mit Tausenden von Räumen. Dafür hatte Nicolae Ceaușescu seinerzeit ganze Stadtviertel abreißen und außerdem den drei Kilometer langen Bulevardul Unirii mit Brunnen- und Platzanlagen und einer brutalistischen Randbebauung in Form von Wohn- und Regierungsgebäuden errichten lassen.
Das Erbe Ceaușescus
Die gigantomanische Villa, in der der rumänische Diktator mit seiner Familie im Nobelviertel Primăverii lebte, kann man übrigens auch besuchen. Wer bei der obligatorischen Hausführung allerdings eine kritische Einordnung des ziemlich geschmacklosen Gebäudes samt seines kitschigen Interieurs erwartet oder eine seriöse politische Einordnung seiner Bewohner*innen, wird enttäuscht. Neben Banalitäten und Superlativen gibt es für die Besucher*innen keine weiteren Informationen und das Fotografieren des palmengeschmückten Wintergartens, des mosaikumkleideten Pools und des begehbaren Kleiderschranks von Elena Ceaușescu ist auch nicht erlaubt. Stattdessen wirbt das Haus auf seiner Website damit, dort in „einzigartiger und vielseitiger“ Atmosphäre das ein oder andere festliche Event zu feiern – in einem Gebäude mit unrühmlicher Geschichte, das wohlgemerkt im Besitz des rumänischen Staates ist. Da passt es irgendwie, dass die Enkelin von Nicolae und Elena Ceaușescu, Alexandra Ceaușescu, unter dem Label Estro Studio in Bukarest als Interiordesignerin arbeitet.
Dass der Clash der Geschmackskulturen in Rumänien ziemlich groß zu sein scheint, kann man auch gleich gegenüber der Ceaușescu-Villa sehen. Dort wurde eine Garage in einem Wohnhaus kurzerhand in eine extravagante Kaffeebar verwandelt. Boiler @The Studio besteht aus einem kompakten (Garagen-)Raum, dessen Wände mit Edelstahl verkleidet sind. Cappuccino, Iced Latte & Co. trinkt man draußen auf der ehemaligen, steilen Garagenauffahrt. Und sitzt dabei auf architektonischen Bänken und Tischen aus Edelstahl. Rumänien ist in der Tat voller Überraschungen!
FOTOGRAFIE Claudia Simone Hoff
Claudia Simone Hoff