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Wrestling & Fabelwesen

Neues von der Design Miami und Alcova Miami

Design, Kunst und Mode gehen in Miami Hand in Hand. Vor allem in der Zeit vom 5. bis 10. Dezember, als parallel zur Kunstmesse Art Basel Miami Beach die Sammlerschau Design Miami stattfand. Ergänzt wurde diese von der Übersee-Premiere der Mailänder Off-Ausstellung Alcova. Auch ein gestalterisch aufgeladener Ringkampf war in Miami zu erleben.

von Norman Kietzmann, 13.12.2023

Mitunter beginnt eine Ausstellung mit einem Blick – vom Taxifahrer durch den Rückspiegel geworfen. Selina Gold Dust Motel, wirklich? Nach ein paar Minuten Fahrt platzte es endlich aus ihm heraus: Das Ziel der Reise war einmal ein berüchtigter Rotlichtort. „All the colors, all the flavors, you know“, fuhr der Fahrer fort. Doch was ihn noch mehr beschäftigte: Was um alle Welt will jemand heute dort? Eine Designschau aus Mailand? Die Verwirrung wuchs mit jedem Kilometer Strecke. Doch tatsächlich wurde bei der Ankunft klar: Der Ort ist zu einem neuen, anderen Leben erwacht. Es war das erste Mal, dass Alcova in Miami Station machte.

Räume zum Staunen
In mehr als dreißig Zimmern des Motels am nördlichen Biscayne Boulevard bezogen einzelne Designbüros oder Teams Position. Dass die Räume identisch groß sind, verstärkte die Vergleichbarkeit der jeweiligen Inszenierungen – von reinen Produktschauen bis hin zu ganzen Interieurs. In eine dunkle, psychedelische Atmosphäre entführte die Gruppenausstellung Uncharted mit Arbeiten von Caleb Ferris, Forma Rosa Studio, NJ Roseti, Studio Sam Klemick, Tristan Louis Marsh und Wallpaper Projects. Letztere hatten die Hotelwände hinter einer Stofftapete verborgen, für die Fäden aus kupfereloxiertem Stahl verwoben wurden, sodass eine geheimnisvoll schimmernde Textur entstand. „Es geht darum, ein Gefühl des Staunens und der Neugierde zu wecken“, brachte die Designerin Sam Klemick aus Los Angeles den Ansatz auf den Punkt.

Schimmerndes Gummi
Für die vom belgischen Teppichhersteller JOV produzierte Kollektion M-SHWY ließ sich die Berliner Designerin Ruby Barber (Studio Mary Lennox) von Pilzen inspirieren. Eben jene wurden in metallenen Regalen ebenfalls im Selina Gold Dust Motel präsentiert, die im Zusammenspiel mit transluzenten Plastikfolien vor den Wänden den Eindruck eines Laborraums vermittelten. Für die Installation Decades (in space) der Internetradiostation Dublab wurden Wände, Decke und Boden in goldene Rettungsfolien gehüllt. Der New Yorker Bildhauer und Designer Rich Aybar hat für die Serie Rubberworks Möbel und Leuchten aus bernsteinfarbenem Gummi gegossen, während Wände und Boden mit schwarzem Gummimatten verkleidet wurden und so die Farbwirkung der Objekte verstärkten.

Schuppige Möbel
Die 19. Ausgabe der Sammlermesse Design Miami schlug erneut ihre Zelte gegenüber dem Convention Center auf, wo parallel die Kunstmesse Art Basel Miami Beach stattfand. Die kuratorische Leitung übernahm die in Berlin lebende US-Amerikanerin Anna Carnick. Den Preis für den besten Stand konnte die Londoner Galerie Fumi für sich beanspruchen, bei der eine Chaiselongue, ein Raumteiler und ein Tisch aus der Kollektion Armadillo von Lukas Wegwerth die Blicke auf sich zogen. Die Oberflächen sind mit abgerundeten Holzschindeln verkleidet, die in Größe und Farbe leicht variieren und an die Schuppen von Fischen oder Reptilien denken lassen. Wie Wesen wirkten auch die großformatigen, mit Schafsfell ausgekleideten Sitzobjekte John und Yoko, die Porky Hefer für die Galerie Southern Guild aus Kapstadt entworfen hat.

Gestalterische Hoffnung
Die New Yorker Galerie R & Company zeigte mehrere Vasen des Keramikkünstlers Roberto Lugo, darunter die große Amphore School to Prison Pipeline. Form, Glasur und Dekore erinnerten an antike, griechische Vorbilder. Doch die Thematik der Darstellungen, jene namensgebenden Gefängnisszenen, verorteten das Objekt im Hier und Jetzt. Eine politische Dimension besaß auch der Stand von Victoria Yakusha. Die ukrainische Designerin präsentierte die Kollektion The Land of Light mit vier tierartigen Figuren, die sich als kindlich anmutende Sitzgelegenheiten nutzen lassen. Sie sind von Hand aus ZTISTA gefertigt, einer Mischung aus Zellulose, Ton, Flachsfasern, Holzspänen und Biopolymeren. „Diese Fabelwesen sollen helfen, unser inneres Licht zu erkennen und Unschuld, Hoffnung und Positivität symbolisieren“, so die Gründerin des Labels Faina.

Glamour und Putzkolonne
Das römische Modehaus Fendi ging eine Zusammenarbeit mit den Berliner Designerinnen Ines Kaag und Desirée Heiss ein, besser bekannt unter ihrem Büronamen Bless. Die Installation Fendibackfrontals besteht aus vier Paravents. Vorne sind großformatige Fotos aus den Innenräumen des Palazzo della Civiltà Italiana in Rom aufgebracht, dem heutigen Sitz des Modehauses. Ganz anders sind die mit edlen Hölzern verkleideten Rückseiten, die intime, wohnliche Räume mit kleinen Nischen und Ablagen bilden. Spiegel und Garderobenhaken waren zu sehen, sogar ein Mehrfachstecker, auf dessen Kabel mehrere Würfel aus dem identischen Holz der Paravents gezogen wurden: eine Adaption des Bless N°26 Cable Jewellery aus dem Jahr 2005. Dazwischen standen Objekte, die den Eindruck erweckten, als hätte die Putzkolonne sie vergessen: mit feinem Leder bezogene Besen oder Reinigungsmittelflaschen. Ergo: Nichts ist, wie es auf den ersten Blick erscheint.


Weiter in der Stadt
Im Design District nördlich von Downtown hat der Digitalkünstler und Designer Andrés Reisinger die Installation Take Over Miami gezeigt und dabei das Gebäude einer leerstehenden Modeboutique mit rosafarbenem Stoff verhüllt. Ebenfalls im Design District war die Installation Utopia von Bohinc Studio zu sehen, die Sitzmöbel und Leuchten in unregelmäßigen, bauchigen Formen umfasst. Zusätzlich wurden neunhundert eierartige Vogelhäuser in die Bäume des Viertels gehängt. Etwas weiter südlich hat die Designgalerie Ralph Pucci ihre neuen, fast 1.000 Quadratmeter großen Räume im Stadtteil Wynwood bezogen. Die Gestaltung der Außenwand stammt von der französischen Designerin Elizabeth Garouste, die außerdem mehrere poppige Möbel in Miami präsentierte, wie den Tisch Tom, die Kommode Buster oder die Schaukel Swing.

Märchenwelt und Fightclub
Ein Event an der Schnittstelle von Sport, Design, Mode und Kunst war der Kampf der im September 2023 gegründeten, japanischen Frauen-Wrestling-Liga Sukeban. Die Kostüme stammten von der Modedesignerin Olympia Le-Tan, die Kopfbedeckungen von Stephen Jones, dem weltweit berühmten Hutmacher. Den Siegergürtel gestaltete der Industriedesigner Marc Newson in Kooperation mit dem japanischen Grafiker Ayako Ishigur. Als Location diente der Skatepark Lot 11 unterhalb eines Highways in Downtown, wo tausend Gäste den knapp 90-minütigen Kampf verfolgen konnten. Es war eine wilde, laute Show, bei der an harten Schlägen und Tritten nicht gespart wurde: eine Mischung aus Märchenwelt, Anime und Fightclub, bei der Arisa Nakajima (Ringname Commander Nakajima) zur ersten Sukeban World Champion gekürt wurde. Einen besseren Ort als Miami konnte man dafür nicht finden.  

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Design Miami

designmiami.com

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