L'art de vivre en Provence
Architektur, Kunst & Lifestyle in Marseille und Umgebung

Während Marseille lange als verrucht galt, erobert nun die Kreativszene die Hafenstadt. Das provenzalische Hinterland indes ist geprägt von idyllischen Kleinstädten wie Arles und Aix-en-Provence, imposanten Weingütern und Naturschönheiten wie dem Montagne Sainte-Victoire. Wir haben das LUMA von Frank Gehry in Augenschein genommen, sind in marokkanische Basare eingetaucht und haben die Calanques mit dem Boot entdeckt.
Noch immer betrachtet manch Reisende*r Marseille lediglich als Ausgangsort für eine Rundfahrt durch die Provence. Das ist schade, denn die zweitgrößte Stadt Frankreichs macht seit einigen Jahren einen radikalen Wandel durch – von der berüchtigten Hafenstadt mit hoher Kriminalitätsrate und starken sozialen Verwerfungen hin zur attraktiven Metropole am Mittelmeer, die sich ihren rauen, fast wilden Charme dennoch bewahrt hat. Insbesondere seit der Coronapandemie kommen immer mehr Menschen hierher und auch Künstler*innen, Architekt*innen und Designer*innen strömen in die Stadt. Das überrascht nicht: Von Arrondissement zu Arrondissement wandelt sich die Atmosphäre in der 850.000-Einwohner-Stadt mitunter rasend schnell und frappant. Wenn im Juli und August die Sonne brennt, sorgt der Mistral für Abkühlung und nicht selten für ein stürmisches Mittelmeer.
Das Museum der Zivilisationen Europas und des Mittelmeers (Mudec) wurde 2013 eröffnet, als Marseille Kulturhauptstadt Europas war. Der architektonische Entwurf stammt von Rudy Ricciotti. Foto / Copyright: Claudia Simone Hoff
Überhaupt ist es das Meer, das die Stadt am meisten prägt. Am Vieux-Port landen fast jeden Tag die Fischer an und verkaufen ihren Fang an kleinen Marktständen direkt am Ufer. Man kann auch vom Alten Hafen zu Fuß bis zur Küstenstraße Corniche flanieren, den Stadtstrand Plage des Catalans erkunden und weiter wandern bis nach Endoume, einem pittoresken Arrondissement direkt am Meer – mit typischen Cabanons und Sonnenhungrigen, die sich auf Felsvorsprüngen räkeln. Oder man lässt sich treiben im Altstadtviertel Le Panier und wähnt sich zuweilen in einem provenzalischen Dorf – mit schattigen Plätzen, Handwerkern, die die berühmten Krippenfiguren Santons fertigen und historischen Gebäuden wie der Vieille Charité. Das Schöne an Marseille ist, dass man von hier auch schnell in fast alle Orte der Provence reisen kann. Mit dem Zug geht es in weniger als einer Stunde ins Landesinnere nach Arles und Aix-en-Provence oder zum Schwimmen in die Küstenorte Cassis und La Ciotat. Und überall gibt es grandiose Kunst und Architektur zu sehen: Sei es das Kunstmuseum LUMA von Frank Gehry – die neue, wenn auch umstrittene Landmarke von Arles –, das Château La Coste mit Gebäuden von Tadao Ando und Oskar Niemeyer oder das pittoreske Atelier von Paul Cézanne in Aix-en-Provence. Wer will, kann den ganzen Urlaub lang dem Kunst-Hopping frönen und kommt aus dem Stauen nicht mehr heraus. Oder man hält einfach inne mit einem Glas Pastis in der Hand.
Die Savon de Marseille ist das wohl berühmteste Souvenir, das man aus der Stadt mit nach Hause nehmen kann, hier die Produktion in der Fabrik von La Savonnerie du Midi. Foto / Copyright: Julie Cohen
Unsere Tipps für Marseille und die Provence
Rue d’Aubagne, Marseille
Marseille ist eine stark von Emigranten aus (Nord-)Afrika geprägte Stadt, was man insbesondere in der Rue d’Aubagne erleben kann. Nicht weit entfernt vom Alten Hafen und dem teuren Einkaufsviertel rund um die Rue Paradis taucht man ein in ein orientalisches Gewimmel, das zuweilen an die Souks von Marrakesch erinnert. In der schmalen, ansteigenden Straße gibt es einfache Restaurants, die köstliches Couscous servieren, und Cafés mit orientalischen Süßigkeiten. Die Läden quellen über vor Gewürzen wie Zimt und Kardamom, eine Friseurin flicht einer Kundin winzige Zöpfe ins Haar. In den Seitengassen wird um Oliven und Fladenbrot gefeilscht, begleitet von einem bunten Stimmengewirr. Wer noch Mitbringsel sucht oder aufregende Einrichtungsobjekte, ist hier genau richtig. Es gibt naiv bemalte Keramik und Lederlatschen aus Marokko, Körbe und Holzhocker mit geflochtener Sitzfläche. Und natürlich die berühmte Savon de Marseille!
Weinkeller des Château La Coste. Foto / Copyright: Richard Haughton
Bootsausflug in die Calanques, Marseille
Mit einem Ausflugsboot verlässt man den Vieux-Port. Man sieht das 2013 eröffnete Musée des Civilisations de l'Europe et de la Méditerranée (Mucem) des Architekten Rudy Ricciotti vorbeiziehen und die spektakulär auf einem Berg gelegene Basilika Notre-Dame-de-la-Garde, ein Wahrzeichen Marseilles. Dann schippert man entlang der Iles du Frioul in Richtung Calanques. Die Steilküste mit ihren versteckten Höhlen ist von Land aus nur schwer zugänglich, weshalb sie noch ziemlich unberührt ist. In den kleinen Sandbuchten kann man schwimmen und in einfachen Restaurants frischen Fisch essen.
Seit die Basler Kunstsammlerin Maja Hoffmann den amerikanischen Architekten Frank Gehry mit dem Bau des Kunstzentrums LUMA beauftragt hat, pilgern immer mehr Kunstsinnige in die provenzalische Stadt. Foto / Copyright: Iwan Baan
Ausflüge
LUMA & Rencontres de la Photographie, Arles
Spätestens seit die Schweizer Kunstmäzenin Maja Hoffmann in Arles ein Kunstzentrum sowie ein Designhotel eröffnet hat, strömt die Hautevolee in die südfranzösische Kleinstadt, die bisher eher für ihr imposantes Amphitheater und den Kreuzgang von Saint-Trophime aus dem 12. Jahrhundert bekannt war. Und natürlich für Vincent van Gogh, der hier eine Zeit lang lebte. Doch nun erblickt man schon am Bahnhof die neue Landmarke der Stadt: den neunstöckigen Turm des Kunstzentrums LUMA, das etwas außerhalb der Stadt gelegen ist. Entworfen vom amerikanischen Architekten Frank Gehry ist eine Schauarchitektur à la Guggenheim Bilbao entstanden, die sich im Inneren für Ausstellungszwecke als ziemlich ungeeignet zeigt und eine banale Rückansicht aufweist. Hier finden Veranstaltungen statt – beispielsweise während des beliebten Fotofestivals Rencontres de la Photographie (noch bis zum 25. September 2022 an verschiedenen Orten in der Stadt zu sehen) – und natürlich werden auch Werke aus der Sammlung von Maja Hoffmann präsentiert. Von der Terrasse, wo auch die Installation Open Space von Konstantin Grcic ausgestellt ist, schweift der Blick über die Stadt. Im riesigen Park mit schöner Landschaftsgestaltung kann man historische Gebäude und Skulpturen von Liam Gillick, Franz West und Carsten Höller entdecken.
Dass Victor Vasarely ein wichtiger Vertreter der Op-Art war, zeigt sich im Inneren des Museums. Foto / Copyright: Aix-en-Provence Tourisme, JC Carbonne
Atelier Cézanne und Fondation Vasarely, Aix-en-Provence
Aix-en-Provence vereint alles, was man sich unter der Provence gemeinhin vorstellt: Ockerfarbene Häuser mit grünen und blauen Fensterklappen schmiegen sich aneinander. Im Schatten lauschiger Platanen wird Rosé getrunken, während Männer eine Runde Boule spielen. Doch Aix-en-Provence ist vor allem ein Ort der Kunst. Etwas außerhalb der Stadt hatte Paul Cézanne bis zu seinem Tod 1906 sein Atelier, das in einem typisch provenzalischen Haus mit Garten untergebracht war. Hier schuf er die Gemälde und Zeichnungen, die unser (idealisiertes) Bild der Provence entscheidend mitgeprägt haben. Man sieht im Atelier, das nun ein Museum ist, zwar keine originalen Kunstwerke – dafür sollte man im Musée Granet vorbeischauen –, aber der hohe Raum mit den alten Möbeln und Malutensilien wirkt dennoch sehr atmosphärisch. Im Gegensatz zu Cézanne etwas in Vergessenheit geraten ist Victor Vasarely, ein Mitbegründer der Op(tical)-Art, dem in Aix-en-Provence ein ganzes Museum gewidmet ist, das er selbst entworfen hat. In der 1975 eröffneten Fondation Vasarely kann man die Faszination des Künstlers für geometrische Formen, kinetische Effekte und optische Phänomene anhand der überlebensgroßen Werke nachvollziehen.
Das Auditorium von Oscar Niemeyer wurde nach seinem Tod fertiggestellt. Foto / Copyright: Château La Coste
Château La Coste: Wein, Architektur und Kunst
Jean Nouvel, Yoko Ono, Jenny Holzer, Louise Bourgeois, Richard Serra, Ai Weiwei, Renzo Piano – die Werkliste des Château La Coste liest sich wie ein Who's who der Architektur- und Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts. Der kunstsinnige irische Eigentümer Patrick McKillan hat auf dem 200 Hektar großen Gelände des Weinguts einen Park mit teils spektakulären Skulpturen und verschiedenen Gebäuden erschaffen – darunter ein Musikpavillon von Frank Gehry, eine Kunstgalerie von Tadao Ando, ein Galerieraum von Richard Rogers und ein posthum realisiertes Auditorium von Oscar Niemeyer. Wer den Kunstparcours bewältigt hat, kann den biodynamisch angebauten Wein des Château La Coste verkosten und anschließend sein Haupt erschöpft niederlegen im Hotel Villa La Coste. Ebenfalls typisch für die Provence: Auf dem Gelände werden neben Weintrauben auch Oliven und Lavendel angebaut.
Das Weingut Château La Coste ist rund 20 Autominuten von Aix-en-Provence entfernt. Dort wird nicht nur Wein angebaut, sondern auch hochkarätige Architektur und Kunst präsentiert. Foto / Copyright: Vincent Agnes
Mucem, Marseille
www.mucem.orgFriche la Belle de Mai, Marseille
www.lafriche.orgLUMA, Arles
www.luma.orgChâteau La Coste, Le Puy-Sainte-Reparde
chateau-la-coste.comAtelier de Cézanne, Aix-en-Provence
www.cezanne-en-provence.comFondation Vasarely, Aix-en-Provence
www.fondationvasarely.orgMehr Stories
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