Ein Spaziergang durch Paris
Kreative Vielfalt in der Olympia-Stadt

Paris steht diesen Sommer ganz im Zeichen der Olympischen Spiele. Da lohnt sich ein Blick auf die lokale Kreativszene: Lässt sich die Stadt durch den Hype um das sportliche Großereignis mitreißen? Wir haben für Sie ein Best-of mit einigen Adressen zusammengestellt, die den derzeitigen Pariser Zeitgeist widerspiegeln und immer einen Besuch wert sind.
Paris ist ein Gefühl, Paris ist Leidenschaft – das wusste schon Victor Hugo im 19. Jahrhundert. Und auch heute noch verzaubert die Stadt jeden Tag aufs Neue Menschen aus aller Welt – soweit die gängige Paris-Melodie von Romantik, Schönheit und Savoir-vivre. Doch die französische Metropole ist viel wandlungsfähiger, als es ihr musealer Charme glauben macht: Das stellt sie aktuell etwa mit einem nachhaltigen Städteumbau unter Beweis, der weltweit seinesgleichen sucht. Aus der steinernen Schönheit wird eine grüne Bike-City. Ob Paris auch einen guten Sportsgeist besitzt, wird sich diesen Sommer zeigen. Ihre elegante Leichtigkeit, die sich nicht wirklich definieren lässt, sondern intuitiv verstanden wird, wird sie sich allerdings in keinem Fall nehmen lassen. Wir zeigen Ihnen die größte Cocktailbar der Stadt, eine Galerie mit Werken aufstrebender Künstler*innen, einen Ort für ein Tischtennismatch mit India Mahdavi und vieles mehr abseits des Olympia-Trubels.
Multifunktionale Concept-Restaurants
Cravan
Eine derzeit hoch im Kurs stehende Adresse ist das Cravan in Saint-Germain-des-Prés. Dort zeigt Ramy Fischer, dass eine Bar sowohl dem Vergnügen als auch der Kultur dienen kann: Auf fünf Etagen gestaltete der belgische Designer vier Bars und eine Bibliothek. Das Interior „der größten Cocktailbar von Paris“ hielt er minimalistisch und setzte dabei auf edle Materialien sowie maßgefertigte Möbel. Auf dekorative Elemente verzichtete er gänzlich, denn jedes Objekt im Cravan soll einen Nutzen haben, eine Geschichte erzählen oder an eine Situation erinnern. „Wir leben in einer Zeit, in der es nichts zu verbergen gibt“, sagt Fischer. „Und genau das ist es, was dieses Projekt verkörpern soll: Vorzeigbar-Nützliches und extreme Raffinesse können sehr gut nebeneinander existieren.“
Halo Paris
Kreativen Zeitgeist bietet auch das Halo Paris in der Rue Saint-Sauveur, dem Mekka der jungen Gastro-Szene. Der Zugang zu einem Restaurant und einer diskreten Bar im Untergeschoss erfolgt durch einen Concept Store. Die Idee dazu hatten zwei französische Schulfreunde, die Mur.Mur Architectes mit der Umgestaltung der 300 Quadratmeter großen, ehemaligen Nähwerkstatt beauftragten. „Wir beschränken uns stets auf wenige Materialien und Farben, die wir im Dialog mit bestimmten Formen in Szene setzen“, erklärt Lucie Rosenblatt, die zusammen mit Benoît Huen das Architekturbüro gegründet hat. Für das Halo Paris entschieden sie sich für die Farbe Grün, Marmor, Rundbögen und futuristische Lichtshows am Abend, die den außergewöhnlichen Ort wie eine Hommage an die Siebzigerjahre und an Oscar Niemeyer wirken lassen.
Foto: Yvan Moreau
Außergewöhnliche Schlafplätze
Musée d’Orsay
Frankreichs derzeit präsentester Designer entwarf nicht nur Fackel und Kessel der Olympischen und Paralympischen Spiele, sondern verwandelte auch den berühmten Uhrenraum des Musée d’Orsay in ein Hotelzimmer. „Ich habe einen Ort geschaffen, der zugleich romantisch und zeitgenössisch, intim und prächtig ist“, erklärt Mathieu Lehanneur. Dazu entwarf der Franzose eine autonome Struktur aus Eichenholz, die vom Boden bis zur Decke reicht und ein schwebendes Bett beherbergt. Zwei seiner Keramikleuchten Guernica rahmen den Kopfteil des Bettes und Canapés in organischen Formen suggerieren die Atmosphäre eines Privatsalons. Das wortwörtlich Einzigartige an diesem Projekt ist jedoch, dass dieses Hotelzimmer nur eine einzige Nacht vermietet wird – nämlich anlässlich der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele auf der Seine, auf die das Fenster des Uhrenraumes einen spektakulären Blick bietet. Was zunächst wie eine Utopie klingt, ist in Wirklichkeit eine groß angelegte PR-Aktion: Während eines bestimmten Zeitfensters konnten sich Interessierte für dieses einmalige – und übrigens auch kostenlose – Erlebnis auf der Onlineplattform Airbnb bewerben.
Hotel Chateau d’Eau
Einen interessanten Kontrast zum aktuellen Pariser Zeitgeist, der immer noch von handwerklichem Minimalismus geprägt ist, bietet das kürzlich eröffnete Hotel Chateau d’Eau. Es trägt die Handschrift von Necchi Architecture, die das Etablissement in dem lebendigen Stadtteil Saint-Denis mit Panther- und Leopardenstoffen, omnipräsenten Teppichen, Samtbezügen, Plexiglas und schwarz lackierten Wänden ausstatteten. Als Inspirationsquelle diente dem Architektenduo die Pariser Künstlerszene der Siebziger- und Achtzigerjahre, die den Hippie-Stil zugunsten einer radikaleren Postmoderne aufgab.
Food und Drinks mit Perspektive
Bonnie
Wer während seines Paris-Aufenthalts einem Promi begegnen möchte, sollte einen Tisch im Restaurant Bonnie reservieren. Es befindet sich in der 15. Etage des Hotels SO/ Paris, wo sich seit 2022 die Schönen, Reichen und Influencer*innen treffen. Das Gebäude wurde von David Chipperfield Architects saniert, das Restaurant Bonnie von Jordane Arrivetz eingerichtet. Die Innenarchitektin ließ sich dabei vom Stil der Sechzigerjahre inspirieren. „Wir legten den Akzent auf das kontrastreiche Zusammenspiel zwischen Materialien aus Chrom, psychedelischen Mustern auf dem Teppich und Mobiliar in warmen Tönen“, erzählt Arrivetz. Das absolute Highlight des Restaurants ist jedoch der 360-Grad-Blick auf Paris, der durch eine Spiegeldecke des Berliner Studio Other Spaces (SOS) zusätzlich intensiviert wird: Die Spiegeldecke reflektiert die Skyline der Metropole und verwischt durch diesen Überblendungseffekt die Grenzen zwischen innen, außen, unten und oben.
Noir
Für einen kurzen Boxenstopp empfiehlt sich der Besuch eines der mittlerweile dreizehn Coffee Shops der Rösterei Noir, die seit 2022 ihr Pariser Territorium kontinuierlich ausbaut und jeden Shop von jungen Innenarchitekt*innen einrichten lässt. Zu den sehenswertesten gehören dabei die Läden im 1. und 16. Arrondissement, die von der Innenarchitektin Charlotte Petit gestaltet wurden: Den Coffee Shop Noir in der Rue de Saint-Florentin – gleich neben dem Place de la Concorde – dekorierte Petit wie die Inkarnation eines cremigen Milchschaums, der behäbig über den Rand einer Kaffeetasse fließt. Als Stilmittel bediente sie sich dabei einer wellenförmigen, milchfarbigen Konstruktion, die sich durch den gesamten Raum zieht und mit der dunklen Holzvertäfelung an den Wänden kontrastiert. Den nur 20 Quadratmeter kleinen Coffee Shop im 16. Arrondissement gestaltete Petit dagegen diskreter und auf vertikaler Ebene: Gedrechselte Holzsäulen finden sich an Tischen, Regalen sowie der Theke und erinnern an die Form von Kaffeebohnen.
(Olympisches) Kulturprogramm
Cité de l’Architecture et du Patrimoine
Einfluss haben die Olympischen und Paralympischen Spiele auf das kulturelle Programm, das diesen Sommer in der französischen Hauptstadt geboten wird. So gibt es beispielsweise in der Cité de l’Architecture et du Patrimoine eine Ausstellung mit dem Titel Il était une fois les stades, die sich mit der Frage beschäftigt, wie sich die Entwürfe und Bauten von Stadien im Laufe der Zeit verändert haben.
Musée du Luxembourg
Bis zum 11. August ist im Musée du Luxembourg noch die Exposition Match. Design & Sport zu sehen. Sie zeigt auf, dass Sport und Design eng miteinander verbunden sind. Wie haben Sportarten Designer*innen inspiriert und umgekehrt, wie hat Design den Sport weiterentwickelt? Der Kurator Konstantin Grcic wählte 150 Exponate aus, die die ständige Weiterentwicklung von Sportgeräten und deren Einfluss auf Leistung und Ästhetik veranschaulichen. Übrigens war auch das Thema Sport für den Berliner Designer prägend. Schon als Junge habe er wie besessen Kataloge von Sportgeräten durchgeblättert, weil er von deren Design, das Energie, Schönheit, Technologie und Funktionalität vereine, fasziniert gewesen sei: „Man könnte sogar sagen“, meint Grcic, „dass der Sport mein erster Designlehrer war.“
Centre Pompidou
Wer diesen Sommer in Paris ist, sollte unbedingt auch noch einmal durch das Centre Pompidou flanieren, bevor es ab 2025 mindestens fünf Jahre lang renoviert werden soll. Ein zusätzlicher Grund für einen Besuch ist die kleine, aber feine Ausstellung Résonance. Sie zeigt dreißig Werke von Ronan Bouroullec, von denen die Hälfte zum allerersten Mal zu sehen sind, und wirkt wie eine Ansammlung von Ideen, mit denen Ronan seit der beruflichen Trennung von seinem Bruder Erwan seinen eigenen Weg bestreitet.
Luxuriöse Tipi-Zelte und futuristisches Pingpong
Hermès Boutique
Und natürlich gibt es in Paris auch Orte, die einen zeitlosen Zauber besitzen. Dazu gehört die Hermès Boutique in der rue de Sèvres, die sich im ehemaligen Schwimmbad des ehrwürdigen Lutetia Hotels befindet. Seit der Eröffnung der Boutique im Jahr 2010 stehen in dem Schwimmbecken drei neun Meter hohe Tipi-Zelte aus geflochtenem Holz. Diese Zelte präsentieren nicht nur die aktuellen Hermès-Kollektionen, sondern strukturieren auch die 1.500 Quadratmeter des luxuriösen Concept-Stores. Sie blieben dem Store auch nach seinem Facelift im Jahr 2021 erhalten, das vom Pariser Architekturbüro RDAI durchgeführt wurde, und sind spätestens seitdem die offiziellen Wahrzeichen dieses mythologischen Ortes.
Boon Room
Zu den Pariser Geheimtipps gehört aber auch die Galerie Boon Room, nicht weit von der Bastille entfernt. Sie zeigt auf drei Etagen einer ehemaligen, 700 Quadratmeter großen Gießerei Werke von aufstrebenden Künstlerinnen aus den verschiedensten Kunstgattungen wie Malerei, Skulptur und Fotografie. Die Galerie wurde bereits 2007 gegründet, ist aber erst seit 2018 dauerhaft der Öffentlichkeit zugänglich und hat seitdem eine kometenhafte Entwicklung erlebt: Während der Pariser Design Week 2018 wurden Werke von etwa zwanzig französischen Designerinnen vorgestellt, Ende desselben Jahres waren es bereits vierzig. Heute repräsentiert Boon Room weit über hundert Talente aus der ganzen Welt.
Project Room
Unser Extra-Geheimtipp befindet sich wieder auf der Rive Gauche, der linken Seine-Seite: Nur wenige Wochen vor der Eröffnung der Olympischen Spiele eröffneten die beiden Designer*innen India Mahdavi und Harry Nuriev in Saint-Germain-des-Prés einen surrealistisch und fast virtuell anmutenden Raum, in dem ein ebenso futuristisch anmutender Tischtennistisch steht. Diese Installation ist im sogenannten Project Room in der rue de Bellechasse zu sehen. Hier bietet India Mahdavi regelmäßig Designer*innen, Kreativen und Galerist*innen eine vielbeachtete Plattform. Doch warum setzte der junge Designer und Architekt Harry Nuriev hier einen Pingpong-Tisch in Szene? „Wir sollten in diesen veränderten Zeiten viel mehr miteinander spielen“, sagt India Mahdavi. „Und dafür bietet sich Tischtennis geradezu an. Man kann es sogar in den eigenen vier Wänden spielen.“ Oder eben im Pariser Project Room – denn die Installation mit dem Namen Match Point ist nicht nur zum Anschauen gedacht, sondern steht auch zum Mitspielen zur Verfügung.
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