Wasser und Beton
Neue Badeorte für urbane Hitzeinseln

Visionäre Projekte in Paris, Logroño und Liberec erfinden das urbane Baden neu. Sie bringen abkühlende Oasen auf den Straßenkreisel, zwischen dichte Fichten oder in den Lauf der Seine. Damit liefern Gestaltende maßgeschneiderte Antworten auf die städtische Sehnsucht nach Wasser und schaffen kreative Architekturen in überhitzten urbanen Räumen.
Seen und Strände liegen oft außerhalb unserer urbanen Räume und innerstädtische Flussabschnitte sind vor allem in Metropolen selten sauber genug zum Baden. Wenn Städter*innen im Sommer einen Sprung ins kühle Nass planen, lässt sich dieser Wunsch meist nur in Verbindung mit einem Ausflug realisieren. Ein unkomplizierter, niedrigschwelliger Zugang zum Wasser wäre jedoch nicht nur komfortabel, sondern – angesichts des Klimawandels und des Trends zu Staycations statt Fernreisen – ein zunehmend relevanter Aspekt urbaner Lebensqualität.
Die immer häufiger auftretenden Hitzewellen treffen Städte besonders stark. Der sogenannte Wärmeinsel-Effekt entsteht durch versiegelte Flächen, die die Temperaturen lange speichern, sowie einen Mangel an Vegetation, die durch Verdunstung zur Abkühlung beitragen könnte. Moderne Architekturprojekte und künstlerische Interventionen reagieren auf diese Herausforderungen, indem sie Wasser mit all seinen Erholungsqualitäten zurück in die Zentren holen und direkte, öffentliche Möglichkeiten zur Abkühlung schaffen.
In Berlin lädt das schwimmende Becken des Badeschiffs jeden Sommer zum Planschen ein. Außerdem möchte die Stadtentwicklungsinitiative Flussbad den Spreekanal langfristig in eine zentrale Badeader der Hauptstadt verwandeln. Auch andernorts wird reinegemacht: Kopenhagen, Amsterdam und Rotterdam haben innerstädtische Badeplätze in ihren Häfen eingerichtet, Oslo hat seine Fjorde gesäubert und um öffentliche Saunen ergänzt. London baute sogenannte Splash Pads – Wasserspielflächen für Kinder und Erwachsene, teils gestaltet von berühmten Künstler*innen wie Jeppe Hein. Weltweit entstehen visionäre Projekte, die beweisen: Baden in der Stadt ist keine Utopie, sondern eine Frage von Mut, Engagement und politischem Willen. Drei aktuelle Projekte aus Tschechien, Spanien und Frankreich zeigen, mit welchen Strategien Städte sich zu neuen Badeorten entwickeln.
Waldschwimmbad in Tschechien von Mjölk
Liberec – hierzulande besser bekannt unter dem Namen Reichenberg – ist mit etwas über 100.000 Einwohner*innen nicht nur die fünftgrößte Stadt Tschechiens, sondern auch ein Ort, an dem zahlreiche Bäche und Flüsse zusammenfließen. Einst verliehen diese Liberec den Ruf als „Manchester der Böhmischen Länder“, getragen von einer florierenden Textilindustrie. Heute dienen sie vor allem der Naherholung.
Ein Ort mit besonderer Tradition ist das in den Dreißigerjahren errichtete Freibad Lesní koupaliště, idyllisch gelegen in einem Wald aus dichten Fichten, nur wenige Gehminuten vom Villenviertel Lidové sady entfernt. Das Wasser stammt direkt aus dem Isergebirge und garantiert selbst im Hochsommer erfrischende Temperaturen. Für das ortsansässige Architektenduo Jan Mach und Jan Vondrák vom Studio Mjölk war dieser Ort lange vertrautes Terrain – allerdings in ruinösem Zustand: Nach der Schließung im Jahr 2007 zerstörte ein Brand das zugehörige Gebäude.
Als sich 2016 nach einer ersten Revitalisierung die Chance ergab, das Areal von der Stadt zu pachten, ergriff das Mjölk-Team die Gelegenheit – zunächst in Eigenleistung, später mit Unterstützung der Stadt und privater Spender*innen. Die Umgestaltung folgte einem klaren Prinzip: Einfachheit. Um Kosten zu sparen, setzten die Architekt*innen auf robuste Konstruktionen und günstige Materialien wie Brettsperrholz, Wellblech und Holzrahmenbau.
Entstanden ist ein neues Gebäude mit Sauna, Waschräumen, Bistro und Lagerräumen – funktional, offen und atmosphärisch zugleich. Der Zugang zum Bad ist rund um die Uhr kostenfrei, was es zu einem bewusst demokratischen Ort macht, der auf kollektives Verantwortungsgefühl setzt. Auch die Zukunft soll gemeinschaftlich gestaltet werden: Weitere bauliche Ergänzungen wie Stege und Aufenthaltsflächen sind bereits geplant – und sollen im Rahmen freiwilliger Aktionen realisiert werden.
Round About Baths in Spanien von Leopold Banchini Architects
Kreisverkehrkunst ist ein ganz besonderes Metier. Ästhetisch oft fragwürdig, erfüllen diese Kunstwerke doch eine klare verkehrstechnische Funktion. Indem die direkte Sicht über die Mittelinsel auf die andere Seite blockiert wird, werden Autofahrende zu Abbremsen, Abwarten und genauem Hinsehen motiviert. Manchmal gibt es dort wahre Kuriositäten zu entdecken: In Monheim am Rhein schießt ein künstlicher Geysir nach 64 Stunden Sonne eine zwölf Meter hohe Wasserfontäne in den Himmel, im Schweizer Ort Lyss kreisen die Autos um einen gigantischen Plattenteller und im Tunnel zwischen zwei Färöer-Inseln lauert eine blau erleuchtete Qualle.
Im Juni 2025 allerdings stahl ein Kreisel im spanischen Logroño allen anderen die Show und brachte als temporäre Badeinsel zum International Festival of Architecture and Design die lokale Gemeinschaft zusammen. Für seine Intervention im urbanen Raum nutzte das Architekturbüro Leopold Banchini einen bestehenden Brunnen und fasste ihn durch eine Holzkonstruktion ein. Die Platten schirmten als halbkreisförmige Wand den Verkehr ab und kreierten einen intimen Raum, während in einem vorgesetzten Block eine Sauna und Umkleiden untergebracht waren. Neben dem Wellness-Moment ging es dem Architekten auch um die Rückeroberung unzugänglicher Plätze und um die Vermittlung neuer Visionen für den öffentlichen Raum.
Sites de Baignade von Mater Studio in der Seine
Die Münchner*innen kühlen sich in der eiskalten Isar ab, die Basler*innen lassen sich in der Strömung des Rheins treiben und den Wiener*innen stehen unzählige Strände an der Donau offen. Andernorts herrscht weniger Badeglück. Seit 1925 gibt es in Berlin ein innerstädtisches Badeverbot, seit 1923 galt Gleiches für die Seine in Paris. Anlässlich der Olympischen Spiele hat die französische Hauptstadt eine große und 1,4 Milliarden Euro teure Spülmaschine installiert, bestehend aus Rückhaltebecken, Ablaufverbesserungen und neuen Kläranlagen, sodass sich die Wasserqualität des Flusses signifikant verbessert hat.
Am 5. Juli 2025 eröffneten drei Badestellen, die kostenlos genutzt werden können und von der Stadt überwacht werden. Jeder der drei Badeplätze – Bras de Grenelle, Baignade Bras-Marie und Baignade Bercy – bietet eine eigene Perspektive auf die Pariser Stadtlandschaft und adressiert spezifische Badeinteressen: die der Streckenschwimmer*innen, der Kinder oder auch derjenigen, die zwischen den Sprüngen ins Wasser auf der Sonnenliege oder einer schwimmenden Plattform entspannen wollen. Mater Studio hat Port de Grenelle entworfen – und zitiert mit senfgelben Geländern, vom Art déco inspirierten Mustern sowie marineblauen Containern die historischen und lange geschlossenen Badeanstalten der Vergangenheit.
Mit dem Pariser Erfolg steigt auch in Berlin wieder die Hoffnung. Schon lange setzt sich der Verein Flussbad Berlin e.V. dafür ein, die Spree wieder beschwimmbar zu machen. Im Vorfeld der Olympischen Spiele wurde außerdem die Initiative Swimmable Cities gegründet, die in 80 Städten und 30 Ländern das Recht der Menschen auf das Schwimmen in sauberem Flusswasser durchsetzen will. Für den Sommer 2026 plant die deutsche Hauptstadt eine Pilotbadestelle unweit des Humboldt Forums.
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