Blick nach vorn
Neues von der Sammlermesse Design Miami 2022
Energetische Wesen, zeitwandelnde Bänke und vermöbelter Müll: Die 18. Ausgabe der Sammlermesse Design Miami wirft einen Zeitanker in die Zukunft. Viele Arbeiten sind von der Natur inspiriert. Dem Schrillen und Bunten werden Entwürfe von subtiler Einkehr gegenüber gestellt.
In Miami ist für Trübsinn keine Zeit. Sommerliche Temperaturen und volle Sonneninfusion holen die oft weit gereisten Besucher*innen aus der ansetzenden Winterdepression. Optimismus und Weltflucht gehen selbstverständlich Hand in Hand. Genau wie auf der Sammlermesse Design Miami, die vom 29. November bis 4. Dezember parallel zur Kunstmesse Art Basel Miami Beach stattgefunden hat. Limitierte Editionen und Einzelstücke heutigen Datums treffen dort auf Raritäten aus der Designgeschichte. Das Schrille, Bunte und Humorvolle wird teils in museumsreifen Qualitäten dem kaufkräftigen Galerienpublikum serviert. Auf keiner anderen Messe rücken Design und Pop so locker aneinander.
The Golden Age: Looking to the Future lautete das Thema dieser Edition. „In einer Zeit, in der die Menschheit in nie dagewesener Weise herausgefordert wird, hoffe ich, dass das Thema eine Quelle der Inspiration sein wird, um sich eine bessere Zukunft für die Menschen und unseren Planeten vorzustellen und zu gestalten“, erklärt Maria Cristina Didero. Die italienische Designexpertin hat im Frühjahr 2022 die kuratorische Leitung der Sammlermesse übernommen. Den Auftakt markierte die Schwestermesse Design Miami/Basel im Juni, die unter dem Motto The Golden Age: Rooted in the Past die Gegenwart durch den Spiegel der Historie betrachtete. Nun wurde der Blick umso stärker nach vorne gerichtet.
Blüten und Flügel
Das Zukunftsthema haben die 50 teilnehmenden Galerien und ihre Designer*innnen auf ganz unterschiedliche Weise interpretiert. Die Mailänder Designgalerie Nilufar ließ ihr Klassikerprogramm zuhause und reiste stattdessen mit den Arbeiten zweier zeitgenössischer Designer*innen nach Miami. Die Französin Audrey Large ließ sich bei ihrer Kollektion Afterglow von den Möglichkeiten digitaler Bildmanipulationen leiten. Ihre Handskizzen wurden am Rechner verfremdet und anschließend in 3D gedruckt. Die Oberflächen warten mit schimmernden Texturen auf, die die Fluidität der Formen betonen und sich mit wechselndem Blickpunkt ständig verändern. Der in Beirut ansässige Designer Khaled El Mays fand die Inspiration für seine Lotus-Serie in altägyptischen Wandmalereien. Er verformte die Blüten von Lotusblumen so, dass sie wie Flügel anmuten. Diese fächerartigen Strukturen dienen nun als Fuß einer Sitzbank oder als Einfassung eines Sofas. Die aus verschiedenen Marmorsorten gearbeiteten Möbel entstanden in Zusammenarbeit mit Kunsthandwerker*innen in der Bekaa-Hochebene im Libanon.
Energetische Körper
Am Stand der Galerie Southern Guild aus Kapstadt wirkten vier großformatige Keramikskulpturen von Madoda Fani wie anmutig stehende Wächter. Die brünierten und rauchgebrannten Terrakotta-Formen sind mit feinen Mustern überzogen, die Fani von Hand in die Oberflächen eingeritzt hat. Auch Andile Dyalvane zählt zu den gefragtesten Keramiker*innen des afrikanischen Kontinents. Die Serie iNgqweji ist von den großen Nestern der Webervögel inspiriert, die er auf Reisen in die Hochebenen der Karoo-Wüste in Südafrika beobachtet hat. Dabei hat Dyalvane erstmals Kupfer in seine Keramiken eingearbeitet und die strukturierten Metallstreifen selbst geschmiedet. Die Entwürfe sind reich an Körperlichkeit und Skulpturalität. Sie wirken wie energetisch aufgeladene Wesen, die nur für einen Moment innehalten und jederzeit auf ihren vier bis acht Beinen wieder davonlaufen könnten.
Leuchtendes Haar
Die Auszeichnung für den besten Stand gewann die Sarah Myerscough Gallery aus London. Möbel, Leuchten und Objekte aus Naturmaterialien wurden nicht wie in einer Ausstellung, sondern wie in einem richtigen Zuhause arrangiert. Mit weichen, fließenden Formen und reichen Texturen aktivierten die Arbeiten die Sinne. Ein wahrer Hingucker war der großformatige Chandelier von Angela Damman aus Yukatan. Die aus den langen Fasern der Sansevieria-Pflanze geflochtenen Schirme lassen an riesige blonde Perücken denken, die lässig von der Decke herabhängen und die Lichtquelle verbergen. Haarig ging es am Stand der New Yorker Designgalerie R & Company weiter. Priscilla und Elvis sind zwei Tischleuchten aus polierter und patinierter Bronze, deren handbemalte Schirme an die voluminösen Frisuren des King und seiner Frau erinnern. Im angeschalteten Zustand senden die Entwürfe von Job Smets (Studio Job) einen prachtvollen Lichtschimmer aus den Haartollen heraus.
Reflektierter Müll
Die Grenze zum Trash wurde einige Meter weiter auf wortwörtliche Weise überschritten. Der russischstämmige, in New York lebende Architekt und Möbelgestalter Harry Nuriev (Crosby Studios) war bereits zum sechsten Mal auf der Design Miami präsent. Im Rahmen des Curio-Programms – kleine, an Kuriositätenkabinette angelehnte Einzelausstellungen – präsentierte er sein Trash Bag Sofa: ein Cluster aus fünfzehn schwarzen, dicht nebeneinander abgelegten Müllsäcken. Wer genau hinsah, bemerkte, dass sie nicht aus Kunststoff, sondern aus besonders weichem Leder gefertigt sind. Nuriev sieht seinen Entwurf als einen Kommentar auf die Wegwerfkultur, die keineswegs nur die Mode bestimmt. Fast Furniture ist ebenso umweltschädlich wie Fast Fashion. Ein ironischer Entwurf, der die Sehgewohnheiten hinterfragt und eine Brücke schlägt zum Radical Design der späten Sechziger- und frühen Siebzigerjahre. Passend zum 50. Jubiläum des Cactus-Kleiderständers von Guido Drocco und Franco Mello präsentierte Gufram eine auf neun Exemplare limitierte Sonderedition. Diese wurde vom Rapper A$AP Rocky und seinem Designbüro Hommemade gestaltet – und lässt den Originalentwurf mit unzähligen Pilzen überwachsen.
Kleidsame Kissen
Das römische Modehaus Fendi ist seit 2008 auf der Design Miami und Design Miami / Basel vertreten. In jedem Jahr erhält ein anderes Designbüro eine offene Bühne. Auf leisen Sohlen bewegt sich der Wiener Gestalter Lukas Gschwandtner mit der Kollektion Triclinium. Die bunten Farben und schimmernden Oberflächen, die den Besucher*innen an anderen Ständen der Design Miami begegneten, wurden bewusst zurückgefahren. Triclinium verweist auf das Esszimmer in antiken, römischen Wohnhäusern, die nicht mit einem großen Tisch, sondern mit zahlreichen Chaiselongues ausgestattet waren, um liegend zu speisen. Gschwandtner hat speziell für dieses Präsentation auf der Design Miami mehrere Chaiselongues und Tische entworfen, die von filigranen Metallrahmen angehoben werden. Die gepolsterten Liegeflächen und Kissen sind mit Calico bezogen, einem schweren, einfarbigen Stoff aus ungebleichter Baumwolle, der in der Mode oft für Prototypen verwendet wird. Andere kissenartige Matten können nicht nur zum Sitzen verwendet werden. Mit langen Bändern lassen sie sich auch am Körper tragen. Die Möbel treten so mit performativen Qualitäten in Interaktion mit den Nutzer*innen.
Vermöbelte Skyline
Der Möbelhersteller USM Haller lüftete auf der Design Miami eine Kooperation mit dem Schweizer Designer Ben Ganz und PIN-UP Home, einer neu gegründeten Designplattform des gleichnamigen Architekturmagazins. Die Kollektion USM NYC by Ben Ganz umfasst fünf Aufbewahrungsmöbel und eine Sitzbank, die jeweils auf einer seitlich auskragenden Sockelebene ruhen. Auf Rädern können die Möbel frei im Raum bewegt werden. „Es gibt eine lange Tradition des Wolkenkratzers und der Skyline im Möbeldesign – ich denke dabei an Paul T. Frankls Skyscraper-Bücherregale aus den Zwanzigerjahren oder an Gaetano Pesces ikonisches Sofa Tramanto a New York. Da der Ursprung von USM so unmittelbar mit der Architektur verbunden ist, lag es für mich nahe, dieses Erbe fortzuführen. Und der Turm ist ein perfektes Symbol für New York, wo man nur nach oben bauen kann“, erklärt Ben Ganz die Inspiration zu seinem Entwurf. Die drei Sonderfarben Uptown Blue, Soho Yellow und Downtown Pink machen nicht nur gute Laune. Sie bringen einen Hauch Miami in die heimischen vier Wände, ganz gleich an welchem Ort sie stehen mögen.