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Motion. Autos, Art, Architecture

Norman Foster kuratiert Ausstellung im Guggenheim Bilbao 

Von der Kutsche zum mobilen Zuhause: Im 25. Jubiläumsjahr des Guggenheim Museums Bilbao kuratiert Norman Foster eine Ausstellung über das Automobil – mit Wechselwirkungen zu Kunst, Architektur und Städtebau. Das Auto ist Leidenschaft, Problemkind und Hoffnungsträger zugleich.

von Norman Kietzmann, 13.04.2022

Eine Ausstellung, die das Automobil feiert? Im Jahr 2022? Ein wenig wirkt das Thema aus der Zeit gefallen, sollte man meinen. Doch die am 8. April eröffnete Schau Motion. Autos, Art, Architecture im Guggenheim Museum Bilbao hält sich nicht auf mit übermotorisierten SUVs, die unsere Straßen heute visuell sowie umwelttechnisch verschmutzen. Die vergangenen drei Dekaden wurden ausgeblendet in dieser Ausstellung, die sich der Schönheit der Karosserien widmet – von den Anfängen im 19. Jahrhundert über ihre Rolle als rollende Skulpturen, um schließlich einen Blick in die Zukunft zu werfen. Die Banalität der Gegenwart wird übergangen. 

 
Holistischer Blick
„In gewisser Weise ist die Ausstellung ein Requiem für das Zeitalter des Verbrennungsmotors. Welche Lehren ziehen wir aus der Vergangenheit? Wird das Auto der Zukunft eine Kombination aus Wohn- und Schlafzimmer sein? Wird es sicherer durch autonomes Fahren? Oder wird es verwundbarer für Cyberattacken?“, fragt Norman Foster, Kurator der Ausstellung. Der britische Architekt ist nicht nur bekennender Autonarr, der eine umfangreiche Sammlung an rollenden Preziosen sein Eigen nennt. Er ist ebenso begeisterter Pilot, der sich ans Steuer von Jets, Segelflugzeugen oder Helikoptern wagt. Fahrzeuge werden in dieser Ausstellung in Wechselwirkung mit Kunst, Architektur und Städteplanung gezeigt. „Wir wollen die unterschiedlichen Welten zusammenbringen und in die Zukunft von dem schauen, was wir als selbstverständlich nehmen. Das Auto hat den Planeten transformiert. Und es wird den Planeten weiter transformieren – in optimistische Richtungen“, so der 86-Jährige.
 
Beginn einer neuen Zeit
Auch wenn heute vor allem die Probleme thematisiert werden, die der Individualverkehr heraufbeschworen hat: Das Auto ist ursprünglich zur Lösung von anderen gravierenden Problemen entwickelt worden. „Niemand erinnert sich mehr an den Gestank und all die Krankheiten, die von Fäkalien und verrottenden Pferdekadavern ausgelöst wurden, die einst in den Straßen lagen. Als das Auto kam, ist die Stadt wieder schön geworden“, erklärt Norman Foster in Bilbao.

Und so beginnt die Schau nicht nur mit dem Mercedes-Benz Patent-Motorwagen Nummer 1 (1886), sondern auch mit hörbarem Geklapper von Pferdehufen und Fotografien, die den einstigen Schmutz und Dreck auf den Straßen dokumentieren. Nur weniger Meter weiter steht der Elektrische Phaeton, System Lohner-Porsche aus dem Jahr 1900. Das vom 24-jährigen Ferdinand Porsche entwickelte Fahrzeug wurde auf der Pariser Weltausstellung als erstes emissionsfreies Fahrzeug vorgestellt, dessen Motoren in den Radnaben saßen – genau wie beim späteren Mondfahrzeug der NASA. 
 
Im Windkanal perfektioniert
Die Ausstellung thematisiert nun den Übergang zur Stromlinienform. Ein Bugatti Type 35 (1924) steht im Dialog mit der Brancusi-Skulptur Bird in Space (1932-1940) sowie Fotografien und einem Modell des Zeppelin LZ120 (1919). Paul Jaray, der Designer der Graf-Zeppelin-Luftschiffe, hat den eleganten Tatra T87 entworfen, der hier in einem 1948er Baujahr zu sehen ist. Noch stärker werden die formalen Überschneidungen im zweiten Ausstellungsraum. In dessen Mitte zieht die Skulptur Reclining Figure (1956) von Henry Moore die Blicke auf sich. Deren Kurven finden ein Echo in den Karosserien eines Bugatti Type 57SC Atlantic (1936), eines Pegaso Z-102 Cúpula (1952), eines Bentley R Type Continental (1953) sowie eines Delahaye Type 165 aus dem Jahr 1939. Darüber bewegt sich das Mobile 31st January (1950) von Alexander Calder leicht im schwachen Luftzug. 
 
Le Corbusier trifft James Bond
Der dritte Raum widmet sich der Popularisierung des Fahrzeugs mit dem VW Käfer (1938), Mini Cooper (1961), aber auch visionären, nicht realisierten Entwürfen wie der Voiture Minimum (1936) von Le Corbusier. An den Wänden sind die Walking Cities (1964) von Archigram zu sehen oder verschiedene Op-Art-Werke von Victor Vasarely, der übrigens auch das Chevron-Logo von Renault entworfen hat. Der vierte Raum fängt den Rausch der Geschwindigkeit sowie die Eleganz und Extravaganz der Fünfziger- und Sechzigerjahre ein: Der mit Flügeltüren ausgestattete Mercedes-Benz 300 SL Coupé (1955) trifft auf einen Jaguar E-Type (1963) und den originalen Aston Martin DB5 (1964), den Sean Connery im Bond-Film Goldfinger fuhr. 
 
Im Sog des Klangs
Der feuerrote Ferrari 250 GTO (1962) von Nick Mason darf in dieser Ausstellung aber auch nicht fehlen. Der Pink-Floyd-Drummer ist gefeierter Autosammler und Rennfahrer. In Bilbao hat er die Installation Sound of Motion zusammen mit dem Lautsprecherhersteller Sennheiser entwickelt, die im folgenden Raum mit dem in voller Wucht reproduzierten Klang eines vorbeifahrenden Formel-1-Wagens die Ohren betört. Zu sehen ist das Modell Mercedes-AMG F1W11 EQ Performance aus dem Jahr 2020, das jüngste Fahrzeug der Ausstellung. Die schwarze Farbe der Karosserie war ein Wunsch von Fahrer Lewis Hamilton als Bekenntnis zur Black Lives Matter-Bewegung. Ein Auto ist nicht nur Fortbewegungsmittel oder Leidenschaft. Es ist immer auch eine Botschaft. 
 
Düsenantrieb auf der Straße
Kurios wirken die von General-Motors-Chefdesigner Harley J. Earl entwickelten Prototypen Firebird I (1954), Firebird II (1956) und Firebird III (1958), die von Gasturbinen angetrieben wurden und sich teils per Joystick steuern ließen. Die wie Flugzeuge anmutenden Karosserien korrespondieren mit der Skulptur Forme uniche della continuità nello spazio (1913) von Umberto Boccioni und den Gemälden der geschwindigkeitsvernarrten Futurismus-Gruppe, darunter Werke von Giacomo Balla oder Tullio Crali. Ein wegweisender Entwurf ist der ultraflache Lancia Stratos Zero (Design: Marcello Gandini für Bertone, 1970), der mit einer Höhe von nur 84 Zentimetern so flach über dem Boden fuhr wie kein Fahrzeug vor ihm.
 
Ode an den Meister
Teil dieses Raumes ist das Dymaxion Car #4 von Buckminster Fuller und dem Yachtdesigner Starling Burgess, von dem 1933 und 1934 nur drei Stück gebaut wurden. Das vierte hat Norman Foster 2010 zu Ehren von „Bucky“, mit dem er von 1971 bis zu seinem Tod 1983 zusammengearbeitet hatte, konstruieren lassen. Der visionäre Wagen nutzte ursprünglich das Fahrgestell, den Motor und das Getriebe des Ford Tudor Sedan (1934). „Doch wegen seiner extremen Stromlinienform konnte er schneller fahren, weniger Treibstoff verbrauchen und mehr Menschen transportieren. Er war eine Übung darin, mit weniger mehr zu machen. Damit ist er eine interessante Lektion für die Zukunft. Wir müssen mehr Mobilität mit weniger Risiken und weniger Energieverbrauch realisieren. Und es muss mehr Spaß machen“, sagt Norman Foster, dessen erstes Auto ein Morris Eight aus seinem Geburtsjahr 1935 war. 
 
Zwischen Hyperschall und Stillstand 
Den Blick in die Zukunft richtet der letzte Ausstellungsraum mit Arbeiten von 16 Hochschulen, darunter die Universität von Tokio, die Yale School of Architecture, das Londoner Royal College of Art oder die ETH in Zürich. Zwischen zwei Extremen schwankt der Beitrag vom MIT in Boston: Das eine Szenario zeigt, wie wir uns immer schneller fortbewegen werden und die Mobilität in den Hyperschall übergeht. Das andere Szenario beschreibt ein stationäres, immobiles Leben, bei dem durch neue Formen der autonomen Mobilität alles bis an die Türschwelle geliefert wird. Wir selbst bewegen uns schneller in der virtuellen Realität, während wir physisch erstarren. „Es wird immer ein pessimistisches und ein optimistisches Szenario geben. Aber ich bin leidenschaftlich davon überzeugt, dass die Zukunft besser sein wird. Wir stehen am Übergang zu etwas sehr Aufregendem“, ist sich Norman Foster sicher. Wohin die Reise geht, werden wir bald erfahren.  

Motion. Autos, Art, Architecture ist noch bis zum 18. September im Guggenheim Museum Bilbao zu sehen.

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Links

Guggenheim Bilbao

Norman Foster Foundation

www.normanfosterfoundation.org

Foster + Partners

www.fosterandpartners.com

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