Stories

Invasion der Käfer

Eine Designgeschichte mit Hindernissen: der Volkswagen-Käfer.

von Claudia Simone Hoff, 25.06.2014

Er ist kugelig. Er ist farbenfroh. Er scheint zu lachen. Jeder mag ihn. Dem Volkswagen-Käfer ist es gelungen, seine zweifelhafte Herkunft in pure Sympathie zu verwandeln. Durch gutes Design und clevere Vermarktung.

Es gibt wohl kaum jemanden, der keine Geschichte über den Volkswagen-Käfer erzählen könnte und darüber nicht ins Schwärmen geriete. Das erste Auto. Fahrten über den Brenner gen Süden, voll beladen mit Zelt, Luftmatratze und Schlafsack. Ein wahres Platzwunder, das nicht kaputt zu kriegen war. Ähnliche Begeisterungsstürme lösten wohl nur noch MINI und 2CV aus. Was alle diese Fahrzeuge eint: ihr Design mit dem hohen Symphatie- und Wiedererkennungswert.

Architekten lieben Autos
Das Automobil – seit seiner Erfindung mit Bedürfnisansprüchen, Wünschen und Hoffnungen überfrachtet – gehört zu den komplexesten Produkten, die industriell hergestellt werden. Neben technischen, ergonomischen und ästhetischen Funktionen muss das Automobildesign auch markenrepräsentative und -kommunikative Funktionen erfüllen. Es umfasst die Gestaltung aller Teile des Fahrzeugs und untergliedert sich heute streng in Exterior- und Interiordesign sowie Colour and Trim. Kein Wunder, dass die Herausforderung Automobildesign – heute in der Hand vieler Spezialisten – Anfang des 20. Jahrhunderts auch Künstler, Architekten und Designer anzog. So lieferte Joseph Maria Olbrich 1907 einen Entwurf für Opel, konzipierte Adolf Loos 1923 ein Automobil für Lancia, Walter Gropius in den späten Zwanzigern mehrere Modelle für Adler, und Raymond Loewy arbeitete dreißig Jahre für Studebaker. Anders als heute waren die (Automobil-)Designer oft für die gesamte Gestaltungsstrategie eines Herstellers zuständig – samt Architektur und Werbung.

Gute Form – schlechte Zeiten
Der Käfer indes wurde von einem Ingenieur konstruiert: Ferdinand Porsche. Er entwarf Anfang der dreißiger Jahre ein Fahrzeug mit großzügigen Abmessungen, wenig Gewicht und bequemer Platzaufteilung, das zudem einfach zu warten war. Die markante Buckelform des Käfers – die ihm den putzigen Spitznahmen Kugelporsche einbrachte – war das Ergebnis wissenschaftlicher Forschungen zum Strömungsverhalten von Tragflächen im Flugzeugbau. 1934 für das nationalsozialistische Programm der Massenmotorisierung entwickelt, wurde für die Volkswagen-Produktion eigens die „Gesellschaft zur Vorbereitung des deutschen Volkswagens“ (Gezuvor) gegründet. Da es nicht möglich war, den Namen „Volkswagen“ schützen zu lassen, wich man auf die Schutzmarke „Deutscher Volkswagen“ aus.

Kübelwagen statt Käfer
Die Namensgebung „Volkswagen“ steht in enger Verbindung zur nationalsozialistischen Ideologie, die die Belange des „Volkes“ und des „Völkischen“ politisch-propagandistisch instrumentalisierte. Der „Deutsche Volkswagen“ bildete den Kern der NS-Motorisierungspolitik und war als subventionierte Grundversorgung gedacht, nicht als Produkt für den freien Markt. Für Otl Aicher steht die Fahrzeugentwicklung Ferdinand Porsches für das Prinzip der Optimierung von Aufwand und Resultat, denn „es gibt einen konstruktiven ehrgeiz, maximierung der leistung durch minimierung der mittel zu erreichen“ (aus seinem Buch Kritik am Auto. Schwierige Verteidigung des Autos gegen seine Anbeter. Eine Analyse, 1984). Erst nach dem Zweiten Weltkrieg kam es zur Massenproduktion des Volkswagens, während in den Kriegsjahren im Volkswagenwerk in der „Stadt des KdF-Wagens“ vor allem Kübelwagen und andere Rüstungsgüter produziert wurden.

Der VW läuft und läuft und läuft
Die sechziger Jahre mit Massenkonsum und -fertigung gaben den Startschuss für den Siegeszug des Käfers, der heute tief im kollektiven Bewusstsein verankert ist. 1972 überholte er die Verkaufszahlen von Fords berühmtem Model T und wurde bis zum dahin meistverkauften Automobil. Der Käfer ist nicht einfach nur ein Automobil – er ist eine Ikone der Alltagskultur. Mit Attributen wie „einfach“, „bescheiden“, „zuverlässig“, „sparsam“, „anspruchslos“ und „immer einsatzbereit“ belegt, spielte auch die überaus erfolgreiche Käfer-Werbung der amerikanischen Werbeagentur Doyle Dane Bernbach (DDB) mit diesen Begriffen. Zur Legendenbildung trugen Werbeslogans wie „Das ist der Wagen für Leute, die sich unterscheiden wollen von Leuten, die sich unterscheiden wollen“, „Es gibt Formen, die man nicht verbessern kann“ oder „Da weiß man, was man hat“ (dem späteren Volkswagen-Claim) bei.

Der Käfer wird zum Beetle
Bis zur Markteinführung des VW-Golfs vor vierzig Jahren war der Käfer neben Transporter („Bulli“) und Passat das einzige Modell von Volkswagen. Seit die Produktion des Kultwagens 2003 eingestellt wurde, versucht der Konzern mit New Beetle und Beetle die Erfolgsgeschichte des Käfers weiterzuschreiben. Die Entwicklung des New Beetle in den Neunzigern ging einher mit einer Retro- und Nostalgiewelle im Autodesign und interpretierte den Käfer vor allem emotional. 1998 im Markt eingeführt, erinnerte die abgerundete Formgebung an das Vorgängermodell, ebenso Details wie die stilisierten „Augenlider“ der vorderen Scheinwerfer. Der New Beetle war insgesamt größer als der Käfer und hatte kein Bauteil mit dem Vorläufermodell gemein. Stattdessen wurden viele Bauteile vom Golf übernommen, mit dem sich der New Beetle eine Plattform teilte.

Froh zu sein bedarf es wenig
2011 dann wurde der Beetle auf dem Markt eingeführt, dessen Proportionen im Vergleich zum New Beetle stark verändert wurden: Der Wagen ist nun flacher und erheblich breiter, die Motorhaube länger, die zurückgesetzte Frontscheibe wesentlich steiler, so dass das Modell dynamischer und maskuliner als sein Vorgänger wirkt. Doch auch heute dienen wesentliche Gestaltungselemente wie ausgestellte Kotflügel, runde Scheinwerfer, die Krümmung der Haube und der Seiten, Zwei-Farben-Lackierungen und ein in der Frontblende integriertes Handschuhfach als Reminiszenz an den Ur-Käfer. Der Beetle ist noch immer kugelig, farbenfroh und scheint zu lachen. Und doch wird ihn wahrscheinlich nicht jeder mögen.

Werbeclip zum Beetle
Ausstellungstipp
Bis zum 13. Juli 2014 ist in der Stiftung AutoMuseum Volkswagen in Wolfsburg die Fotoausstellung Als der Käfer laufen lernte zu sehen.

Mehr schöne und teils nostalgische Fotos zum Käfer und zur Volkswagen-Produktion finden Sie in der Bildergalerie.

Alle Beiträge aus unserem großen Themenspecial Insekten lesen Sie hier.

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Links

Das große Krabbeln

Alle Beiträge aus unserem Designlines Themenspecial Insekten

www.designlines.de

Volkswagen

www.volkswagen.de

Stiftung AutoMuseum Volkswagen

Ausstellung: Als der Käfer laufen lernte

www.automuseum-volkswagen.de

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