Keramik, Pop und NFT
Neues von der Sammlermesse Design Miami 2021
Die 17. Ausgabe der Sammlermesse Design Miami interpretiert Eskapismus nicht als reine Weltflucht. Sie sieht das Fantastische als einen Weg, die reale Welt zu verbessern. NFTs erweitern das Spielfeld in den virtuellen Raum. Und Bitcoins werden erstmals als Zahlungsmittel auf einer Messe zugelassen.
In Miami darf alles ein wenig lauter, bunter und sonderbarer sein. Das zeigt sich nicht nur auf der Kunstmesse Art Basel Miami Beach, sondern auch bei ihrer kleinen Schwester, der Sammlermesse Design Miami, die vom 30. November bis zum 5. Dezember stattgefunden hat. Human Kind lautete das Überthema der Schau, die von Wava Carpenter kuratiert wurde – der Nachfolgerin des im April an das Het Nieuwe Instituut in Rotterdam berufenen Aric Chen.
„Die Praxis des Designs hat im Kern immer darauf abgezielt, eine bessere Zukunft zu schaffen. Doch in den letzten Jahren haben die globalen Herausforderungen, denen sich die Menschheit gegenübersieht, existenzielle Ausmaße angenommen“, erklärt die Designhistorikerin. Worum es geht? „Die Zukunft erfordert eine grundlegende Neuausrichtung dessen, was es bedeutet, in dieser Welt ein Mensch zu sein. Sie fordert uns alle dazu auf, bessere Bewahrer*innen der Natur und Förder*innen des Miteinanders zu werden.“
Fließende Konturen
Das Naturthema haben die in Miami ausgestellten Designer*innen auf vielfältige Weise interpretiert. Auffällig ist die Negation von Ecken und Kanten. Die Möbel und Leuchten für die Post-Pandemie-Ära kommen in samtenen Rundungen daher, die Augen und Fingern gleichermaßen schmeicheln. Die New Yorker Galerie Les Ateliers Courbet präsentierte die Serie Topographic Memories des israelischen Designers Raphael Navot mit Tischen aus Naturstein, Bronze und versteinertem Holz, die wie vom Wasser weich gewaschene Kieselsteine anmuten.
Mit schwungvollen Konturen warten die Möbel auf, die der Designer und Unternehmer Peter Mabeo in Zusammenarbeit mit Kunsthandwerkern in Botswana für Fendi entwarf. Am Stand der New Yorker Twenty First Gallery war die Serie Flora Contemporaria von Marcin Rusak zu sehen. Der Londoner Designer fand Inspiration bei Kabinettschränken, die Josef Frank in den Dreißigerjahren mit floralen Stoffen bezogen hatte. Rusak ließ hingegen echte Blumen in transparentes oder transluzentes Harz eingießen und fertigte daraus die Türen und Seitenwände seiner Schränke.
Science-Fiction im Schlafzimmer
„Vielleicht als Flucht vor der Realität der heutigen Welt fühlen sich Designer*innen und Sammler*innen zu wirklich außergewöhnlichen Formen hingezogen, die an eine andere Zeit und einen anderen Ort erinnern. Dieser Trend hat zwei Ausprägungen: das Fantastische und das Ursprüngliche“, sagt Wava Carpenter. Die erste Ästhetik wirkt überschwänglich, lebendig, mitunter surreal. Sie scheint den Alltag in ein Märchen verwandeln zu wollen. So wie der puppenhafte Stuhl NN, den der libanesische Designer Khaled El Mays in einer Kooperation mit mexikanischen Kunsthandwerker*innen für die Non-Profit-Organisation House of Today aus Beirut entworfen hat.
Auch Science-Fiction gehört mit dazu. Mit Instagram-tauglichen Qualitäten punktete die Installation The Bedroom von Harry Nuriev (Crosby Studios) aus New York: ein mit silbernen Matratzen ausgelegter Raum mit ebenso verspiegelten Wänden, der durch eine runde Türöffnung betreten wird und dem Schlafzimmer die Rolle einer eskapistischen Bühne zuweist.
Gebrannte Erden
Die Ästhetik des Ursprünglichen überspringt die Zeit. Die Objekte erinnern an Relikte aus der Vergangenheit, der Vorgeschichte – und doch stehen sie stets mit einem Bein in der Gegenwart. Hier zeigt sich der Schulterschluss zu einem weiteren Thema, das in der Sammlerszene immer mehr an Gewicht gewinnt: Keramik. Damit sind keine Tassen und Teller für den Hausgebrauch gemeint, sondern Skulpturen in sinnlichen Farben und Formen, die mit narrativen Qualitäten aufwarten.
Die Galerie Southern Guild widmete unter dem Titel Studio Visit den gesamten Stand den vier südafrikanischen Keramiker*innen Andile Dyalvane, Madoda Fani, Zizipho Poswa und Chuma Maweni. Vor allem die über zwei Meter hohen und teils von bronzenen Hörnern geschmückten Arbeiten aus der Kollektion iLobola von Zizipho Poswa zogen die Blicke auf sich. Die New Yorker Galerie Friedman Benda zeigte Arbeiten der jungen nigerianisch-amerikanischen Keramikerin Ebitenyefa Baralaye, die an abstrahierte Köpfe erinnern. Dass Keramik auch für Stühle, Hocker und Tische Verwendung findet, bewiesen die Galerien Mindy Solomon (Miami) mit Arbeiten von Kelsie Rudolph sowie The Future Perfect (New York, Los Angeles, San Francisco) mit Werken von Floris Wubben.
Virtuelle Welten
Ein Besucher trug am Preview-Tag der Messe ein T-Shirt mit der Aufschrift Egalité, Fraternité, NFT – und brachte damit die Faszination eines weiteren Trendthemas auf den Punkt. Nach der Kunst- ist nun auch die Designwelt auf den Zug der virtuellen Werke aufgesprungen. „Für Designer*innen bieten NFTs die Möglichkeit, sich ohne Einschränkungen etwas vorzustellen und zu gestalten. Und wir wissen, dass sammelbares Design für die wachsenden virtuellen Umgebungen, mit denen sich so viele Menschen beschäftigen, benötigt wird", sagt Zesty Meyers von der New Yorker Galerie R & Company. Werke von Sebastian Errazuriz, Katie Stout und Studio Job können noch bis zum 30. Dezember auf der Plattform OpenSea gekauft werden. Da passt es gut, dass die Design Miami als erste größere Messe Bitcoins und andere Kryptowährungen als Zahlungsmittel akzeptiert hat und Besucher*innen mithilfe einer App auch virtuell durch die Messe laufen und shoppen konnten.
Stadt als Spielplatz
Designthemen bestimmten auch das Geschehen außerhalb des Design-Miami-Zeltes. Einen Neuzugang markierte in diesem Jahr die Mini-Messe Unique Design im Faena District an der Collins Avenue, wo der Londoner Designer Yinka Ilori einen Parkplatz in einen farbenfrohen Skatepark transformierte. B&B Italia lud in den Showroom im Design District im Norden von Miami Downtown ein, wo die New Yorker Künstlerin Shantell Martin live vor Publikum ein weißes Camaleonda-Sofa (entworfen von Mario Bellini, 1970) mit einem grafischen Muster überzog. Stephan Weishaupt, Gründer der Designlabels Avenue Road und Man of Parts, stellte die neue Galerie 50z vor, die die Räume zweier Art-déco-Villen am Pine Tree Drive bespielt und zahlreiche neue Möbel von Sebastian Herkner und Yabu Pushelberg mit Fotografien von Peter Steinhauer und fluoreszierenden Acryl-Kuben von Regine Schumann kombiniert.
Fernab der Straße
Ebenfalls auf der Agenda stand die Vorstellung des Konzeptfahrzeugs Project Maybach im Rubell Museum, entworfen von Virgil Abloh. Der Designer war nur wenige Tage zuvor, am 28. November, an Krebs verstorben. Auf Wunsch seiner Familie wurde der Termin nicht abgesagt. Jedoch wurde aus der ursprünglich geplanten Abendveranstaltung eine öffentlich zugänglich Ausstellung. Das dort gezeigte, zweisitzige Elektrofahrzeug wirkt, als hätte man einen eleganten Gran-Turismo-Sportwagen mit einem bulligen Geländewagen gekreuzt.
Die Sehgewohnheiten werden auch durch die enorme Größe verändert. Sechs Meter misst der Wagen in der Länge, was sich vor allem im geräumigen Innenraum bemerkbar macht. Werden die beiden Ledersitze vollständig nach hinten geklappt, verwandeln sie sich in komfortable Betten. Schließlich sollen mit dem Offroader nicht nur unbefestigte Wege erkundet werden. Wer will, kann in der Natur auch übernachten. Für noch intensivere Outdoor-Erfahrungen gibt es ein orangerotes Zelt zum Fahrzeug mit dazu. Das Virtuelle und das Echte sind in Miami keine Gegensätze. Sie greifen Hand in Hand.