Stories

Design Miami 2016: Pop-Natur

Abgrenzung zum Seriellen: Auf der Sammlermesse rücken naturaffine Unikate in den Mittelpunkt.

von Norman Kietzmann, 07.12.2016

Auf der Sammlermesse Design Miami haben kleine Geldbeutel nichts zu suchen. Pop und Archaik werden hier zu einer sinnlichen Mixtur verbunden, die den Bogen von der Mitte des 20. Jahrhunderts in die Gegenwart spannt. Limitierte Editionen werden verstärkt um Einzelstücke und Maßanfertigungen ergänzt, die die Abgrenzung zu Serienanfertigungen umso klarer auf den Punkt bringen.  

Mehr ist mehr! Nicht eine, sondern gleich 22 Kunstmessen lockten in der vergangenen Woche die Kunstszene nach Miami. Über 1.200 Galerien waren auf der Art Basel Miami Beach, Untitled, Scope, Pulse, NADA und weiteren Nebenschauen präsent. Das von Herzog & de Meuron geplante und 2013 eröffnete Pérez Art Museum ist in diesem Jahr um einen weiteren Bau aus prominenter Architektenhand erweitert worden: das von OMA konzipierte Faena Forum, mit dem ein südamerikanischer Investor sein gleichnamiges Hotel an der Collins Avenue um einen flexibel zu bespielenden Kulturbau ergänzt – der an den Eröffnungstagen sogleich als Partyort in Beschlag genommen wurde.

Farbe am Pool
Kräftig gebaut wird auch an anderer Stelle: Das postmoderne Messegelände platzt schon seit Jahren aus allen Nähten und erhält nun einen 600-Millionen-Dollar-Erweiterungsbau von Fentress Architects. Im kommenden Jahr wird die Art Basel Miami Beach bereits in diesem neuen Gebäudeflügel Station machen, damit das alte Messegelände abgerissen und durch einen zweigeschossigen Neubau ersetzt werden kann. Mehr ist eben mehr unter den Palmen Floridas, wo ein Pool zu jeder erstzunehmenden Party dazugehört und das sonst so schwarzaffine Kunstvolk in farbigen Gewändern und gewagten Mustern die Tage und Nächte unsicher macht.

Im Rausch der Farben
Ein fester Begleiter der Art Basel Miami Beach ist die Sammlerschau Design Miami, auf der ein merklich anderer Wind weht als auf vergleichbaren Messeformaten in Europa oder in den Neuenglandstaaten. Der Fokus verlagert sich von der Kleinserie verstärkt zum Unikat und Unikathaften. Handwerk, Archaik und Patina werden mit atmosphärischen Farben gemischt, die inmitten der Art-Déco-Architektur von South Beach einfach richtig wirken. „Wir zeigen hier in Miami ganz andere Arbeiten als noch vor wenigen Wochen auf der Armory Show in New York. Die Objekte sind bunter, direkter und weniger verkopft“, erklärte die Kölner Designgaleristin Gabrielle Ammann. 

Poppiges Textil
Auf ihrem Stand zog das von Ettore Sottsass gestaltete Wandteppich-Doppel WinterSpringDay aus den frühen achtziger Jahren die Blicke auf sich. Wie eine Klammer fassten sie ein museumsreifes Werk ein: den Wandteppich Coppia Metropolitana (1978), den Andrea Branzi zusammen mit seiner Frau und Textildesignerin Nicoletta Brandi in Heimarbeit anfertigte – und damit einen Ausgleich zu seinen damaligen Arbeiten für die Industrie suchte. Eine Soloshow widmete unterdessen die New Yorker Galerie Salon 94 dem ebenfalls im Big Apple ansässigen Gaetano Pesce. Umringt von Palmen wurden farbenfrohe Schränke und Vasen aus Harzen und anderen Kunststoffen gezeigt, die sich zu einem raumgreifenden Ensemble vervollständigten.

Möbel für die Ewigkeit
Auf Archaik setzte die Mailänder Designgalerie Erastudio mit der Arbeit Genesi MMXII von Henrytimi. Fünf Stelen von quadratischem Grundriss dienen als Raumteiler mit Ewigkeits-Appeal. Den Grund dafür liefert die Materialität von italienischem Travertin, der mit zerklüfteten, unregelmäßigen Oberflächen aufwartet und den Objekten den Anschein antiker Relikte verleiht. Die Nähe zur Natur sucht der brasilianische Gestalter Hugo França mit seiner Chaise Inquirim (2013) für die Galerie Mercado Moderno. Die Sessel-Skulptur ist aus der Wurzel eines Pequi-Baumes gefertigt worden, der einst 45 Meter in die Höhe ragte und 900 Jahre alt wurde. Die Unregelmäßigkeiten von Form und Oberfläche erzeugen ein beeindruckendes Möbelunikat, das mit den Augen und Fingern gleichermaßen erkundet werden will.

Archaische Einfachheit
Wie ein ironischer Kommentar auf den Hang zum Naturmaterial wirkt die Serie Right Here, Right Now (2016) von Will West. Für die Mailänder Galerie Plusdesign entwarf der englische Gestalter eine Gruppe von Benzinkanistern aus verschiedenfarbigen Marmorsorten, die als schwergewichtige Memento mori die Wohnzimmer bevölkern und die Sensibilität gegenüber den Dingen des Alltags verschärfen sollen. Mit vermeintlicher Primitivität kokettieren die Short Bench und Long Bench (beide 2016) des amerikanischen Designers Deon Rubi für die in Miami ansässige Galerie Giovanni Beltran. Als Sitzfläche dient ein Bündel von acht glänzend polierten Aluminiumrohren, die von einem simplen Gestell eingefasst werden und den Anschein erwecken, als wären sie aus den Reststücken einer Baustelle zusammengesetzt worden.

Handliche Klassiker
Klassiker durften auf dieser Messe natürlich nicht fehlen. Doch sie wurden in deutlich handlicheren Formaten aufgeboten. Präsentiert der Pariser Designgalerist Patrick Seguin seit mehreren Jahren die vorfabrizierten Architekturen Jean Prouvés auf der Schwesternesse Design Miami Basel, zeigte er in Miami den Schreibtisch Présidence no. 201 (1955) von Jean Prouvé. Schräg gegenüber wurden am Stand der Pariser Designgalerie Jousse Entreprise eine quietschgelbe Moon Lamp von Gino Sarfatti (1969, Arteluce) sowie eine skulpturale Wave Bench (1968) von Maria Pergay aus dynamisch geschwungenen Edelstahlblechen aufgeboten. Der New Yorker Galerist Alberto Aquilino konnte mit einem Esstisch-Ensemble aus der Serie Module 400 von Roger Tallon (1969) sowie dem eleganten Hockerpaar Greenrock (1983) von George Nakashima punkten.

Eroberte Räume
Ein ungewöhnliches Ausstellungskonzept wurde von Laurence Dreyfus und ihrer Invisible Collection erprobt, die anstatt einer Messehalle die Räume einer Modellagentur bespielte – und zwar bei laufendem Betrieb. Als „blinde Passagiere“ sind Kunstwerke von Olafur Eliasson, Soraya Sharghi und Tomás Saraceno sowie Designobjekte von Pierre Yovanovitch, Karen Chekerdjian und Atelier Février derart stimmig in den dreigeschossigen Bau integriert worden – als wären sie schon immer dort gewesen. Die allein von französischen Gestaltern entworfenen Möbel, Leuchten und Objekte besitzen keinen endgültigen Charakter, sondern werden jeweils in unterschiedlichen Farben, Stoffen und Größen den Kundenwünschen angepasst. Maßanfertigung statt Kleinserie, lautet hier die Botschaft.

Kulinarische Architektur
Wie ein Gegenmittel zur Austauschbarkeit wirkt die Zusammenarbeit von Ole Scheeren und der New Yorker Feinschmecker-Kette Dean & DeLuca. Stage ist der Prototyp für eine neue Food-Kette, die ab 2017 in mehreren nordamerikanischen Städten eröffnen soll und als Vorabpremiere zur Verköstigung der Design-Miami-Besucher diente. Ein in der Raummitte stehender Solitär wurde von einem Deckenmodul identischer Größe ergänzt: „Die Architektur wirkt wie ein Verstärker für den Raum, der sich in glänzend polierten Edelstahlflächen spiegelt. Anstatt die Wände, Böden und Decken zuzukleistern, wollen wir sie vielmehr wie Archäologen freilegen und ihre Besonderheiten herausarbeiten“, erklärt Ole Scheeren das in seinem Berliner Büro entwickelte Konzept. 

Plädoyer fürs Unikat
Trotz eines einheitlichen, modularen Baukastensystems wird sich jedes Interieur vom anderen stark unterscheiden. An dieser Stelle schließt sich der Bogen zur Messe, die nicht nur den Fokus mehr und mehr in Richtung Einzelstück verschiebt. Auch die Kleinserien erhalten aufgrund ihrer Materialität und Herstellungsweise den Charakter eines Unikats – und ziehen damit eine klare Trennlinie zu klassischen Industrieprodukt. Mit diesem Plädoyer gegen die Beliebigkeit hat die Design Miami nicht nur eine spannende Nische gefunden. Mitunter schwappt die ein oder andere Idee sogar in den Alltag der Masse über.

Bildergalerie ansehen

Facebook Twitter Pinterest LinkedIn Mail
Links

Design Miami

www.designmiami.com

Design Miami Basel 2016

Swinger und Roboter

www.designlines.de

Design Miami 2015

Lässige Prozesse

www.designlines.de

Design Miami Basel 2015

Architekt(Uhren)

www.designlines.de

Design Miami Basel 2014

Möbliertes Zeitreisen

www.designlines.de

Design Miami 2013

Klotzen statt kleckern

www.designlines.de

Mehr Stories

Digitale Werkzeuge in der Innenarchitektur

Wie ein Schweizer Büro Planung, Präsentation und Produktion verbindet

Wie ein Schweizer Büro Planung, Präsentation und Produktion verbindet

Natursteinästhetik in Keramik

Fünf neue Oberflächen erweitern das Feinsteinzeug-Programm des Herstellers FMG

Fünf neue Oberflächen erweitern das Feinsteinzeug-Programm des Herstellers FMG

Creative Britannia

Unterwegs auf der London Craft Week und Clerkenwell Design Week

Unterwegs auf der London Craft Week und Clerkenwell Design Week

Auf stilvoller Welle

Ikonische Tischserie wave für exklusive Objekteinrichtungen von Brunner

Ikonische Tischserie wave für exklusive Objekteinrichtungen von Brunner

Spektrum der Ruhe

Wie nachhaltig sind farbige Möbel?

Wie nachhaltig sind farbige Möbel?

Rauchzeichen aus dem Abfluss?

Wie Entwässerungstechnik zur Sicherheitslücke beim Brandschutz werden kann

Wie Entwässerungstechnik zur Sicherheitslücke beim Brandschutz werden kann

Design als kulturelles Gedächtnis

Ausstellung Romantic Brutalism über polnisches Design in Mailand

Ausstellung Romantic Brutalism über polnisches Design in Mailand

Alles Theater

Dramatische Inszenierungen auf der Milan Design Week 2025

Dramatische Inszenierungen auf der Milan Design Week 2025

Zurück zur Kultiviertheit

Neues vom Salone del Mobile 2025 in Mailand

Neues vom Salone del Mobile 2025 in Mailand

Dialog der Ikonen

Signature-Kollektion JS . THONET von Jil Sander für Thonet

Signature-Kollektion JS . THONET von Jil Sander für Thonet

Leben im Denkmal

Ausstellung Duett der Moderne im Berliner Mitte Museum

Ausstellung Duett der Moderne im Berliner Mitte Museum

Mission Nachhaltigkeit

Stille Materialrevolutionen bei Vitra

Stille Materialrevolutionen bei Vitra

Zwischen Zeitenwende und Tradition

Unsere Highlights der Munich Design Days und des Münchner Stoff Frühlings

Unsere Highlights der Munich Design Days und des Münchner Stoff Frühlings

Spiel der Gegensätze

Best-of Outdoor 2025

Best-of Outdoor 2025

Outdoor mit System

Clevere Lösungen für Außenbereiche von Schlüter-Systems

Clevere Lösungen für Außenbereiche von Schlüter-Systems

ITALIENISCHE HANDWERKSKUNST

Mit Möbeln, Leuchten und Textilien gestaltet SICIS ganzheitliche Wohnwelten

Mit Möbeln, Leuchten und Textilien gestaltet SICIS ganzheitliche Wohnwelten

Glas im Großformat

Das Material Vetrite von SICIS bringt Vielfalt ins Interior

Das Material Vetrite von SICIS bringt Vielfalt ins Interior

Surrealistische Vielfalt in Paris

Highlights von der Maison & Objet 2025

Highlights von der Maison & Objet 2025

Aus der Linie wird ein Kreis

Reparatur und Wiederverwertung in der Möbelindustrie

Reparatur und Wiederverwertung in der Möbelindustrie

NACHHALTIGKEIT TRIFFT DESIGN

GREENTERIOR by BauNetz id auf dem Klimafestival 2025

GREENTERIOR by BauNetz id auf dem Klimafestival 2025

Flora und Fauna

Neues von der Design Miami 2024 und Alcova Miami

Neues von der Design Miami 2024 und Alcova Miami

Vom Eckkonflikt zum Lieblingsraum

Geschichte und Gegenwart des Berliner Zimmers in fünf Beispielen

Geschichte und Gegenwart des Berliner Zimmers in fünf Beispielen

Möbel als Kulturgut zelebrieren

COR feiert seinen 70. Geburtstag

COR feiert seinen 70. Geburtstag

Nachhaltig Platz nehmen

Vestre produziert die Sitzbank Tellus aus fossilfreiem Stahl

Vestre produziert die Sitzbank Tellus aus fossilfreiem Stahl

Historische Moderne

Best of Interior 2024 geht an das Studio AADA

Best of Interior 2024 geht an das Studio AADA

Design nach Wunsch

Zum individuellen Türgriff mit dem Online-Konfigurator von Karcher Design

Zum individuellen Türgriff mit dem Online-Konfigurator von Karcher Design

Rendezvous mit Prouvé

Die Highlights der Design Miami Paris 2024

Die Highlights der Design Miami Paris 2024

Begehbare Kunstwerke, Teil 2

Weitere Gestalter*innen teilen ihre spannendsten Bodengeschichten mit uns

Weitere Gestalter*innen teilen ihre spannendsten Bodengeschichten mit uns

Westfälische Werte

Sitzmöbel von KFF aus Lemgo erobern die Welt

Sitzmöbel von KFF aus Lemgo erobern die Welt

Ikone der Moderne

Film über Eileen Grays Villa E.1027 an der Côte d’Azur

Film über Eileen Grays Villa E.1027 an der Côte d’Azur