Design Miami Basel 2016: Swinger und Roboter
Von mobilen Architekturen bis zu skurrilen Schmuckobjekten: die elfte Ausgabe der Sammlermesse.

Vom Großformat zur Miniatur: Die Sammlermesse Design Miami Basel spannt einen weiten Bogen von mobilen Architekturen bis hin zu skurrilen Schmuckobjekten. Neben Raritäten der Designgeschichte sind zahlreiche Neuentwürfe zu entdecken, die Technikfetisch und Archaik gleichermaßen bedienen. Bei allem Hang zur Verfeinerung: Manchmal darf sogar geklotzt werden!
Wenn sich Kunstmarkt und Design vermischen, darf es ruhig ein wenig größer sein. Auch in diesem Jahr sind auf der Sammlermesse Design Miami Basel bei weitem nicht nur historische Preziosen und in limitierten Auflagen gefertigte Neuentwürfe zu bestaunen. Gleich im Erdgeschoss von Herzog & de Meurons Messehalle 1 wird mit der Sonderschau Design at Large die Schnittstelle von Objekt und Architektur unter die Lupe genommen. Die Auswahl der Arbeiten obliegt diesmal Martina Mondadori Sartogo, der Gründerin der jungen, doch dafür schwer angesagten Designzeitschrift Cabana.
Transparenz und Beweglichkeit
Filigran und leicht wirkt der metallene Owan Pavilion, den Kengo Kuma für die Pariser Galerie Philippe Gravier entwarf. Die Struktur basiert auf gestanzten Aluminiumblechen, die aus der Fläche in den Raum verzogen und anschließend ineinander verhakt wurden. Der Charme dieses gitterartigen „Gebäudes“ liegt in seiner Offenheit und Transparenz. Die Außenkanten der Metallbleche erscheinen leicht unscharf und bewegen sich aufgrund ihrer Leichtigkeit sogar im Wind.
Ist Kumas Entwurf für Regentage eher ungeeignet, hat Ron Arad mit seinem Armadillo Teepavillon eine mobile Schutzhütte parat. Der Entwurf setzt sich aus fünf Schalen zusammen, die wie der Panzer eines Gürteltieres ineinander greifen und aus Aluminium, Stahl und Polyamid gefertigt sind. Die Anordnung der Module ist flexibel, sodass die temporäre Behausung auch um weitere Komponenten erweitert werden kann und zudem eine interaktive Teilhabe der Nutzer forciert.
Der Pariser Galerist Patrick Seguin ist gleich mit zwei mobilen Architekturen vertreten. Im Erdgeschoss der Messehalle ist eine temporäre Schule zu sehen, die Jean Prouvé 1956 für den Pariser Vorort Villejuif entwarf. Für Dynamik sorgt hier ein geschwungenes, asymmetrisches Holzdach, das von filigranen Stahlträgern austariert wird. Im Obergeschoss hat der Galerist, der selbst 22 Prouvé-Häuser sein Eigen nennt, eine weitere Rarität aufgebaut: das zehn mal zwölf Meter große Maxéville Design Office, das Jean Prouvé 1947 zunächst als Prototyp entwarf und später als sein eigenes Designbüro in der lothringischen Gemeinde Maxéville nutzte. Bevor das Haus 2015 von Seguin erworben und restauriert wurde, erlebte es zahlreiche Umnutzungen – darunter als Restaurant, Spa und Swingerclub.
Bronzene Vögel
Entdeckungen sind ebenso im Möbelbereich zu machen, wo raumgreifende Entwürfe gleichermaßen dazugehören. Ein Publikumsfavorit dieser Messe ist die mit Bronze verkleidete Bibliothek, die Diego Giacometti und Alexandre Noll 1969 für die Pariser Wohnung des französischen Publizisten Marc Barbezat entwarfen und die nun am Stand der Galerie Jacques Lacoste angeboten wird. Die Besonderheit des Entwurfs liegt nicht nur in seiner kostbaren Materialität, sondern ebenso in seiner unregelmäßigen Oberflächenstruktur, die die Finger regelrecht zum Erkunden einlädt. Ein i-Tüpfelchen setzten Giacometti und Noll in Form von kleinen Bronzevögeln, die auf den Bücherschränken aufsitzen und die sinnliche Wirkung dieses Entwurfs auf die Spitze treiben.
Roboter und Handarbeit
Erinnern Sie sich noch an Joris Laarman? 2003 hatte der junge Niederländer mit seinem ornamentalen Heizkörper Heat Wave für Aufsehen gesorgt und vier Jahre später seinen Bonechair präsentiert – ein Möbel, dessen Form von einer Software generiert wurde, die das Wachstum von Knochen simuliert. Auch wenn es in den letzten Jahren ein wenig ruhiger um ihn wurde, blieb der Amsterdamer keineswegs untätig. Am Stand der New Yorker Galerie Friedman Bender hat er nun einen großen Auftritt gemeistert.
„Bits & Crafts“ heißt die Solo-Schau nicht ganz ohne Grund – schließlich geht es Laarman noch immer um die Verflechtung von Hightech und Handwerk. Ins Auge fiel hier vor allem der skulpturale Butterfly Screen, der im 3D-Drucker aus Bronze gefertigt wurde. Schwungvoll und dynamisch zeigt sich hingegen die Dragon Bench, deren Form am Rechner generiert und mithilfe von Industrierobotern zu einer komplexen Gitterwolke verschweißt wurde.
Strenge und Zufall
Bei so viel Technik-Affinität kann ein wenig Archaik nicht schaden. Lederfetischisten kommen am Stand der libanesischen Designgalerie Joy Mardini auf ihre Kosten, wo die Möbelserie Leatherscapes des Beiruter Designers Marc Baroud präsentiert wird. Die Tische, Stühle, Bänke und Schreibtische sind aus Stahl gefertigt und vollständig mit organisch gegärbtem Kalbsleder umhüllt. Die Besonderheit der Kollektion zeigt sich an den Ecken und Kanten der einzelnen Möbel, wo die Lederhäute deutlich überstehen und der Geradlinigkeit der metallenen Unterbauten eine unregelmäßige wie zufällige Komponente entgegenstellen.
Die Sehnsucht nach Patina stillt die Brüsseler Galerie Victor Hunt. Der koreanische Gestalter Kwangho Lee entwickelte seine Möbel- und Objektserie Skin aus dem Standardformat von Kupferplatten von 400 mal 1200 Millimetern heraus. Die Bleche sind zu puristischen Hockern, Tischen, Schränken und Vasen verschweißt worden, die ebenso der Feder von Donald Judd entstammen könnten. Doch die Form spielt an dieser Stelle nur eine Nebenrolle. Worum es geht, ist die Veredelung mithilfe der historischen Chilbo-Emaillacktechnik. Das Ergebnis sind atmosphärische Farbverläufe, die den Oberflächen Tiefe verleihen und eine zeitliche Zuordnung dieser künstlich gealterten Möbelstücke unmöglich machen.
Stein auf Stein
Das Wechselspiel von Architektur und Design erkunden Studio Mumbai mit der Sitzbank Brick Study II, die von der Brüsseler Galerie Maniera gezeigt wird. Auf einem Gestell aus Rosenholz liegt eine Platte aus rot-schimmerndem Marmor auf. Darüber ragt eine aus winzigen Ziegelsteinen gefertigte Rückenlehne auf, die mit leichten Rundungen in die beiden Armlehnen übergeht. Das Möbel dient hier als Schaustück, das einen ungewöhnlichen Transfer in puncto Materialität und Maßstab vollzieht – und die Betrachter somit ins Staunen versetzt.
Mut zum Klotz
Die Botschaft dieser Messe: Es lohnt sich, genauer hinzuschauen und die Dinge nicht immer so hinzunehmen, wie sie auf den ersten Blick erscheinen. Interessanter als die Form ist in vielen Fällen die Geschichte, die hinter den Objekten steht. Das Design erhält damit eine narrative Komponente, die auf Entdeckungsreise führt. Ein besonders schöner Moment: Wenn ganze Wohnensembles von gestalterischer Kühnheit aufeinander treffen wie die Schreibtisch-, Stuhl- und Beistelltisch-Kombination des Brutalismus-Pioniers Dominique Zimbacca (gesehen bei Magen H Gallery, New York).
Die Anfang der siebziger Jahre für einen privaten Auftraggeber entworfenen Möbel basieren auf massiven Vierkanthölzern in unterschiedlichen Breiten – die verdreht, gestapelt und auf überraschende Weise miteinander kombiniert werden. Selten war „Primitives“ so raffiniert – und nebenbei auch noch ein Lehrstück für heutige Gestalter, dass Verfeinerung bei Weitem nicht nur über Referenzen an die skandinavischen Meister gelingen kann. Manchmal darf eben auch geklotzt werden!
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