Best-of Leuchten 2022
Von Kunstobjekten, Kronleuchtern & Aha-Erlebnissen
Mailand gab im Juni den Ton an und jetzt zieht die Light + Building nach. Licht und Leuchten können endlich wieder auf Messen sinnlich erfahren werden. Was es alles zu entdecken gibt, zeigt unser Überblick über die dekorativen Leuchten-Neuheiten. Mit dabei: veritable Kunstobjekte, zeitgemäß interpretierte Kronleuchter, handwerkliche Fundstücke und andere Aha-Erlebnisse.
Licht und Leuchten kann man eigentlich nur richtig im Gebrauch erfahren – die gestalterischen Qualitäten, aber insbesondere auch die sinnliche Erfahrung des Lichts, seine Intensität und Farbtemperatur. Weshalb sich die Designwelt freut, dass es endlich wieder Veranstaltungen und Messen zum Thema gibt. Während Anfang Oktober die Lichtmesse Light + Building in Frankfurt a.M. stattfindet, konnte man bereits im Juni viele Leuchten-Neuheiten in Mailand sehen, denn hier findet traditionell das große Schaulaufen der italienischen Hersteller statt.
Durch Glas leuchten
Während des Mailänder Salone del Mobile glänzten einige Leuchtenhersteller mit teils spektakulären Installationen, die auch verdeutlichten, wie vielfältig das Thema Licht und Beleuchtung ist. Flos hatte etwas abseits des Zentrums ganz in der Nähe der Fondazione Prada eine riesige Industriehalle angemietet. Hier feierte das italienische Unternehmen seinen 60. Geburtstag und stellte neue Produkte von Vincent Van Duysen, Patricia Urquiola, Marcel Wanders und den Bouroullec-Brüdern vor. Darunter war auch eine minimalistische Tischleuchte des italienischen Designers Guglielmo Poletti. To-Tie besteht aus nur wenigen Elementen, wobei der Fokus auf der kreisrunden Form im Zusammenspiel mit der Transparenz des Borosilikatglases liegt.
Glas ist überhaupt ein All-Time-Favourite im Leuchtendesign, insbesondere seit tschechische Glashersteller wie Bomma und Brokis die zeitgenössische Designszene erobert haben. Lasvit beispielsweise zeigte in Mailand einen Entwurf der ukrainischen Architektin und Gestalterin Victoria Yakusha, Gründerin des Labels Faina. Ihre gläserne Hängeleuchte ist in verschiedenen Ausführungen erhältlich – versehen mit ohrenähnlichen Elementen, die ihr einen spielerisch Touch verleihen und zugleich auch den Namen des Entwurfs erklären: Sluhach bedeutet auf Ukrainisch Zuhörer.
Das Comeback des Kronleuchters
In diesem Jahr feiert der üppige, raumbeherrschende Kronleuchter sein großes Comeback, insbesondere bei den technisch, handwerklich und gestalterisch avancierten Herstellern. Alessandro Zambelli hat für Luceplan eine Hängeleuchte entworfen, die den klassischen Kronleuchter mit einzelnen Kerzenarmen zum Vorbild hat. Die Form von J-us ist im Vergleich zu seinem historischen Vorläufer jedoch schlichter und streng geometrisch gehalten – mit einer Struktur aus Aluminium, Armen aus Kupfer und Fiberglas sowie einer LED-Leuchtquelle. Der japanische Designer Yuji Okitsu mag es poetischer und hat sich von Seifenblasen inspirieren lassen. Die Hängeleuchte Focus für das französische Label DCW Éditions ist als übergroßes Mobile konstruiert, an dem Metallringe mit Scheiben aus Acrylglas hängen, durch die sich das Licht bricht.
Materialkosmos
Neben hoch spezialisierten Unternehmen strömen auch immer mehr Hersteller aus dem mittleren und unteren Segment des Wohnbereichs auf den Leuchtenmarkt, darunter viele skandinavische Labels. Auch sie haben in diesem Jahr Eyecatcher-Leuchten im Gepäck, so beispielsweise Bolia mit einem Entwurf von Studio Niruk. Die deutschen Designer*innen haben mit Lunaria eine federleicht wirkende Pendelleuchte aus durchscheinendem, hellem Stoff entworfen, die von japanischen Papierleuchten inspiriert ist. Auch wenn diese Leuchten technisch nicht unbedingt auf hohem Niveau sind, zeigen sie doch, welches Potenzial im Material liegt, gerade was das Erzeugen von Stimmungen im Interior betrifft.
Das sieht man auch an der überdimensionierten Bodenleuchte Vinka aus Rattan von Villa Collection Denmark, die Behaglichkeit und einen warmen Lichtschein in die Innenräume bringt. Ziemlich kühl indes wirkt eine Hängeleuchte von Norman Copenhagen, die eine gestalterische Referenz an die Siebzigerjahre ist. Entworfen von Simon Legald, besteht Coil aus gebogenen Edelstahldrähten und kommt deshalb leicht und luftig daher, selbst in der größten Variante mit einem Durchmesser von über einem Meter.
Kunst kommt
Der Entwurf von Simon Legald veranschaulicht, dass immer mehr Designer ausgesprochen skulptural arbeiten. So wird den Leuchten eine raumbildende Funktion zuteil, wie die Bodenleuchte Gweilo des australischen Herstellers Parachilna zeigt. Aus kunstvoll gefaltetem Acryl gefertigt und mit einer nahezu unsichtbaren LED-Lichtquelle versehen, ist sie ein echter Hingucker, ebenso wie die metallene Hängeleuchte Tutti von Matilde Cassani Studio für den italienischen Hersteller Fontana Arte. Kleiner im Format, aber deshalb nicht unauffälliger, katapultiert uns die Leuchtenkollektion Flaming Stars von Pulpo zurück in die schrillen Achtzigerjahre. Mit ihren ungewöhnlichen Formen und intensiven Farben erinnern die Tischleuchten frappant an die italienische Designbewegung Memphis. Dass gerade Pulpo den gewagten Entwurf von Natascha Madeiski auflegt, überrascht indes nicht unbedingt – das deutsche Label ist bekannt für Entwürfe, die herausstechen aus dem Designallerlei.
Festa all‘italiana
Gefeiert wird in diesem Jahr übrigens auch in der (italienischen) Leuchtenindustrie. Nicht nur wird Fontana Arte 90 Jahre alt und hat Artemide zum 50. Geburtstag der legendären Tizio-Leuchte von Richard Sapper eine Version in leuchtendem Rot aufgelegt. Martinelli Luce zelebriert den 100. Geburtstag seines Gründers Elio Martinelli mit einer knallgelben, auf 100 Stück limitierten Version seiner Cobra-Leuchte, während Oluce zum 60. Geburtstag seine ikonische Leuchte Acrilica von Gianni und Joe Colombo um eine Version mit einem Sockel aus Marmor ergänzt hat. Und dann wartet im April schon das nächste, hoffentlich hell strahlende Großereignis: die Lichtmesse Euroluce in Mailand.