Stories

Rendezvous mit Prouvé

Die Highlights der Design Miami Paris 2024

Auch für ihre zweite Ausgabe zog die Design Miami Paris dort ein, wo einst Karl Lagerfeld residierte. Dreißig Aussteller, darunter die einflussreichsten Galerien für Collectible Design, präsentierten im imposanten Ambiente des Hôtel de Maisons ein kuratiertes Best-of ihrer Sammlungen. Darunter fanden sich feinsinniges Handwerk, brutalistische Gesten, eine nomadische Hütte von Jean Prouvé – und der eine oder andere Knicks vor dem französischen Standort.

von Tanja Pabelick, 23.10.2024

Nach der Pionierveranstaltung 2023 versammelten sich vom 16. bis zum 20. Oktober 2024 erneut die wichtigsten internationalen Designgalerien im Pariser Hôtel de Maisons. Neben Miami, Los Angeles und Basel festigt der Veranstalter damit einen zweiten europäischen Standort und einen weiteren Termin im globalen Designkalender. Das imposante Herrenhaus mit seinem weitläufigen und gut gezähmten Garten war in seiner Geschichte schon einmal Bühne fürs Design. Von 1984 bis 2010 mietete Karl Lagerfeld zwei Etagen in der 1706 vom Architekten Pierre Cailleteau geplanten und später aufwendig ausgeschmückten und bis ins Detail mit Ornamenten und Stuckarbeiten verzierten Residenz. Zur Design Miami Paris wurden die neoklassizistischen Elemente mit besonderen Designstücken aus dem 20. und 21. Jahrhundert sowie ikonischen Werken der Gegenwart zusammengebracht. Unter Kronleuchtern, zwischen Marmorkaminen und Holzschnitzereien trugen die Galerien aus New York, Mailand oder der Pariser Nachbarschaft französische Moderne, Materialexperimente, historische Avantgarde und brutalistische Möbelskulpturen zusammen. „Am Tag der Vorpremiere konnten wir uns über eine Vervierfachung der Besucherzahl im Vergleich zum letzten Jahr freuen, mit einer starken internationalen Vertretung“, resümiert Jen Roberts, CEO der Design Miami.

Prouvés modulare Maison
Das unbestrittene Highlight stand im Garten. Die Pariser Laffanour Galerie Downtown, spezialisiert auf Midcentury-Möbel vieler französischer Architekt*innen wie Charlotte Perriand, Jean Prouvé, Le Corbusier, Serge Mouille und Georges Jouve, kam mit einem einzigartigen Exponat ins siebte Arrondissement. Es handelte sich dabei um ein demontierbares Fertighaus von Jean Prouvé, das der französische Architekt 1946 für sich und seine Familie entworfen hatte. Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs begann Prouvé mit der Konstruktion zerlegbarer Häuser, die als Notgebäude in Elsass-Lothringen den akuten Bedarf an Wohnraum beantworten sollten. Um einen möglichst offenen Raum gestalten zu können, nutzte er einen zentral positionierten Rahmen als stützendes Element für ein Skelett aus Metall, in das Fassadenelemente aus Holz gesetzt wurden. Ursprünglich stand die Cabane in Prouvés Heimatdorf Carnac, aus dem sie auch den Namen Maison Carnac mitnahm. Während der Design Miami Paris kampierte sie für einige Tage auf der Rasenfläche des Hôtel de Maisons und schon bald wird sie bei ihren neuen Besitzer*innen errichtet werden. Denn bereits am Preview-Tag wurde die Hütte für über eine Million Euro verkauft. Glücklich können sich diejenigen schätzen, die sie vorerst zum letzten Mal besichtigen konnten.

Seltene Prototypen
In solch einmaligen Installationen liegt die besondere Qualität einer Sammlermesse für diejenigen, die nicht sammeln: Einzigartige Stücke der Designgeschichte können demokratisch besichtigt werden, bevor sie womöglich gut verpackt als Investitionsobjekt in einem Lagerraum landen. Die Liege Lockheed Lounge beispielsweise, ein organisch geformter, schwebend leicht anmutender Blob-Sessel aus poliertem Metall, machte Marc Newson berühmt. Weniger bekannt ist, dass er auch eine kleine Anzahl von verwandten Regalschränken fertigte. Die 1987 erstellte Serie mit zehn Exemplaren ist längst verkauft, der für die damalige Produktion hergestellte Prototyp findet sich aktuell im Katalog der Carpenters Workshop Gallery und wurde nun in Paris gezeigt. Er verbindet industrielle Fertigungstechniken aus dem Flugzeugbau mit hochpräziser Handwerkskunst. Um die fluide Form aus Aluminiumblech überhaupt herstellen zu können, produzierte Newson zuerst eine Form aus Glasfaser und Kunstharz, die dann mit der genieteten Abwicklung verkleidet wurde.

Honig, Avocado und Kurkuma als Ressource
Überhaupt war auf der Design Miami Paris zu beobachten: Wo der Preis keine Rolle spielt, kann in die Fertigung und damit in manuell aufwendige oder speziell entwickelte Herstellungsverfahren sowie exklusive Materialien investiert werden. Die New Yorker Galerie Friedman Benda kam mit einigen zeitgenössischen Positionen. Der Künstler Daniel Arsham schloss zarte Holzgitterstrukturen in transluzenten Harz ein, um nahezu unsichtbare Stühle und Tische zu materialisieren. Der mexikanische Gestalter und Materialforscher Fernando Laposse präsentierte ein Sideboard, das mit Intarsien aus von ihm entwickeltem Avocadoleder verkleidet ist. Neben dem Filigranen und Feinsinnigen fanden sich auch Objekte, die auf die unmittelbare Geste setzen und damit archaisch, brutalistisch oder naiv auftreten. Der Entwurf Anaesthesia des Briten Dr. Samuel Ross ist eine Interpretation europäischer Schreibtische aus dem 18. und 19. Jahrhundert, setzt sich aber aus zwei massiven Betonwangen und einer Stahltischplatte zusammen. Durch Zuschläge wie Honig, Ton und Kurkuma im Beton und bewusste Erosionsprozesse und Lackierungen ist ein Artefakt mit eingeschlossenen und aufgetragenen Informationen und Geschichten entstanden.

Monolithischer Bronzethron
Die Galerie kreo aus Paris brachte eines der letzten Werke des 2021 verstorbenen Designers Virgil Abloh mit, der als Revolutionär nahezu aller Gestaltungsprofessionen galt. Sein Tower Hills Chair wirkt wie ein Thron und kommuniziert mit behäbiger Silhouette und massivem Bronzevolumen stoische Unverrückbarkeit. Mit seinen 100 Kilogramm ist er ohnehin nicht für kurz entschlossene Neugestaltungen des Interieurs gemacht: Einmal platziert, ruht er an seinem Platz wie ein Felsen. Die Oberfläche des rund 50.000 Euro teuren Objekts allerdings beruft sich auf günstige Plattenware aus dem Baumarkt – ein für Abloh typisches Spiel mit Wert, Wertigkeit und Erwartung. Die unregelmäßige Textur erinnert an die versetzten Holzstreifen einer Grobspanplatte – und damit an ein Material, das typischerweise nicht dekorativ eingesetzt wird, sondern versteckt oder pragmatisch, etwa als Unterbodenkonstruktion, Zwischendecke oder Transportkisten.

Sieben Designerinnen, ein Material
Auch eine der Sonderausstellungen stellte eine Materialinnovation in den Fokus. Das Unternehmen MycoWorks hat eine natürliche Alternative zu Tierleder aus Myzelien entwickelt. Indem die fadenförmigen Pilzzellen gesteuert dreidimensional wachsen, entsteht Reishi: ein starkes, flexibles und widerstandsfähiges Material. Sieben Künstlerinnen und Designerinnen hat MycoWorks zusammen mit der Designagentur Paragone anlässlich der Design Miami Paris eingeladen, sich ein Jahr lang individuell mit  Reishi auseinanderzusetzen, seine Qualitäten kennenzulernen und Potenziale auszuspielen. Reishi kann genäht, gefärbt, geklebt, geprägt oder lackiert werden. Die Gestalterinnen fanden entsprechend ihrer Professionen unterschiedliche Positionen, die vom gemeinsamen Material eingeklammert wurden. Die Pariser Interiordesignerin Joséphine Fossey entwarf eine minimalistische Stehleuchte mit strenger Geometrie, die die Farbe und Textur von Reishi nutzt, um ein weiches und gemütliches Licht zu erzeugen. Anna Le Corno, Gründerin der Kunsttischlerei Farouche, baute mit Undergrowth einen raumgreifenden Schreibtisch, dessen zwei Basiselemente mit Reishi bezogen wurden. Die unvollkommene, natürliche Textur korrespondiert mit der Oberfläche der Tischplatte aus Myrtenholz und der organischen Silhouette. Um die Widerstandsfähigkeit und Robustheit des innovativen Materials zu demonstrieren, interpretierte die Innenarchitektin Marion Mailaender den Archetypus eines klappbaren Fischerhockers neu und machte ihn mit seitlichen Fransen und fein geschliffenem Holzgestell zu einem nomadischen Wohnmöbel.

Facebook Twitter Pinterest LinkedIn Mail
Links

Messe

Design Miami Paris

www.designmiami.com

Mehr Stories

Digitale Werkzeuge in der Innenarchitektur

Wie ein Schweizer Büro Planung, Präsentation und Produktion verbindet

Wie ein Schweizer Büro Planung, Präsentation und Produktion verbindet

Natursteinästhetik in Keramik

Fünf neue Oberflächen erweitern das Feinsteinzeug-Programm des Herstellers FMG

Fünf neue Oberflächen erweitern das Feinsteinzeug-Programm des Herstellers FMG

Creative Britannia

Unterwegs auf der London Craft Week und Clerkenwell Design Week

Unterwegs auf der London Craft Week und Clerkenwell Design Week

Auf stilvoller Welle

Ikonische Tischserie wave für exklusive Objekteinrichtungen von Brunner

Ikonische Tischserie wave für exklusive Objekteinrichtungen von Brunner

Spektrum der Ruhe

Wie nachhaltig sind farbige Möbel?

Wie nachhaltig sind farbige Möbel?

Rauchzeichen aus dem Abfluss?

Wie Entwässerungstechnik zur Sicherheitslücke beim Brandschutz werden kann

Wie Entwässerungstechnik zur Sicherheitslücke beim Brandschutz werden kann

Design als kulturelles Gedächtnis

Ausstellung Romantic Brutalism über polnisches Design in Mailand

Ausstellung Romantic Brutalism über polnisches Design in Mailand

Alles Theater

Dramatische Inszenierungen auf der Milan Design Week 2025

Dramatische Inszenierungen auf der Milan Design Week 2025

Zurück zur Kultiviertheit

Neues vom Salone del Mobile 2025 in Mailand

Neues vom Salone del Mobile 2025 in Mailand

Dialog der Ikonen

Signature-Kollektion JS . THONET von Jil Sander für Thonet

Signature-Kollektion JS . THONET von Jil Sander für Thonet

Leben im Denkmal

Ausstellung Duett der Moderne im Berliner Mitte Museum

Ausstellung Duett der Moderne im Berliner Mitte Museum

Mission Nachhaltigkeit

Stille Materialrevolutionen bei Vitra

Stille Materialrevolutionen bei Vitra

Zwischen Zeitenwende und Tradition

Unsere Highlights der Munich Design Days und des Münchner Stoff Frühlings

Unsere Highlights der Munich Design Days und des Münchner Stoff Frühlings

Spiel der Gegensätze

Best-of Outdoor 2025

Best-of Outdoor 2025

Outdoor mit System

Clevere Lösungen für Außenbereiche von Schlüter-Systems

Clevere Lösungen für Außenbereiche von Schlüter-Systems

ITALIENISCHE HANDWERKSKUNST

Mit Möbeln, Leuchten und Textilien gestaltet SICIS ganzheitliche Wohnwelten

Mit Möbeln, Leuchten und Textilien gestaltet SICIS ganzheitliche Wohnwelten

Glas im Großformat

Das Material Vetrite von SICIS bringt Vielfalt ins Interior

Das Material Vetrite von SICIS bringt Vielfalt ins Interior

Surrealistische Vielfalt in Paris

Highlights von der Maison & Objet 2025

Highlights von der Maison & Objet 2025

Aus der Linie wird ein Kreis

Reparatur und Wiederverwertung in der Möbelindustrie

Reparatur und Wiederverwertung in der Möbelindustrie

NACHHALTIGKEIT TRIFFT DESIGN

GREENTERIOR by BauNetz id auf dem Klimafestival 2025

GREENTERIOR by BauNetz id auf dem Klimafestival 2025

Flora und Fauna

Neues von der Design Miami 2024 und Alcova Miami

Neues von der Design Miami 2024 und Alcova Miami

Vom Eckkonflikt zum Lieblingsraum

Geschichte und Gegenwart des Berliner Zimmers in fünf Beispielen

Geschichte und Gegenwart des Berliner Zimmers in fünf Beispielen

Möbel als Kulturgut zelebrieren

COR feiert seinen 70. Geburtstag

COR feiert seinen 70. Geburtstag

Nachhaltig Platz nehmen

Vestre produziert die Sitzbank Tellus aus fossilfreiem Stahl

Vestre produziert die Sitzbank Tellus aus fossilfreiem Stahl

Historische Moderne

Best of Interior 2024 geht an das Studio AADA

Best of Interior 2024 geht an das Studio AADA

Design nach Wunsch

Zum individuellen Türgriff mit dem Online-Konfigurator von Karcher Design

Zum individuellen Türgriff mit dem Online-Konfigurator von Karcher Design

Begehbare Kunstwerke, Teil 2

Weitere Gestalter*innen teilen ihre spannendsten Bodengeschichten mit uns

Weitere Gestalter*innen teilen ihre spannendsten Bodengeschichten mit uns

Westfälische Werte

Sitzmöbel von KFF aus Lemgo erobern die Welt

Sitzmöbel von KFF aus Lemgo erobern die Welt

Ikone der Moderne

Film über Eileen Grays Villa E.1027 an der Côte d’Azur

Film über Eileen Grays Villa E.1027 an der Côte d’Azur

Fugenlos glücklich

Innovatives Profilsystem von Schlüter-Systems für Keramik- und Natursteinböden

Innovatives Profilsystem von Schlüter-Systems für Keramik- und Natursteinböden