Cersaie 2016: Tiefe Oberflächen
Schluss mit Monotonie und Kälte: Sanitärprodukte und Fliesen locken mit sinnlichen Farben und Mustern.
An den Wänden tut sich was. Auf der Bäder- und Fliesenmesse Cersaie rücken taktile Qualitäten in den Vordergrund. Fragmentierte, unregelmäßige Oberflächen forcieren eine Abkehr von Monotonie und Kälte. Sanitärprodukte suchen unterdessen mit warmen, sinnlichen Farben Anschluss an die Möbelwelt.
Eine Messe voller Fliesen und Kacheln? Klingt zunächst nicht besonders aufregend. Doch in diesem Jahr ist der Parcours über die Cersaie in Bologna alles andere als einschläfernd. Der Grund: Die Ausstatter von Böden und Wänden, die auf Kenzō Tanges Messegelände ihre Neuheiten zeigen, verlassen die Fläche in Richtung Raum. Taktile, reliefartige Strukturen erlauben unregelmäßige und aufgelockerte Wandkompositionen.
Das Ergebnis sind subtile Schattenwürfe, die sich mit dem Einfallswinkel des Lichtes verändern und die vermeintlich langweiligen, gleichförmigen und platten Raumgrenzen plötzlich zum Leben erwecken. Vor allem in Kombination mit schlichten Holzmöbeln wird die Botschaft eindeutig: Die Stars sind nicht die beweglichen Objekte. Es sind die immobilen Oberflächen, die Räumen Atmosphäre verleihen sollen und dabei alles andere als flach daherkommen.
Abseits des Eintönigen
Vielfalt statt Eintönigkeit lautet die Handlungsanweisung für gesteigerte Dynamik. Eine wichtige Rolle spielt die Loslösung vom Standardformat der typischen Baumarkt-Fliese. Es sind auffallend viele hexagonale, runde und rechteckige Formen zu sehen. Quadrate hingegen tauchen in übergroßen oder deutlich geschrumpften Formaten auf. Dazu gesellt sich Farbe. Nicht eine oder zwei. Am besten eine Handvoll – arrangiert zu geometrischen Mustern. Wichtig hierbei: Es werden keine Primärfarben verwendet. Eher gebrochene, warme, pastellige Töne wie aus einem Morandi-Gemälde, die nicht glänzen, sondern matt gehalten sind. Das Ziel: Weg vom Kalten, Glatten, Abwaschbar-Sterilem. Das Auge soll entlang der Wände und Böden reisen können.
Zufall und Vielfalt
Auf grafische Qualitäten setzt der Niederländer Lex Pott mit seiner Fliesenserie Linea für Decoratori Bassanesi. Die Kollektion basiert auf einem Sechseck-Format, das jeweils in eine Raute, ein Dreieck sowie ein Trapez in unterschiedlichen Farben aufgeteilt ist. „Die Muster, die sich damit erzeugen lassen, sind unendlich vielfältig – zumal auch der Raum zwischen den Fliesen in das Spiel der Linien mit einbezogen wird“, erklärt der 31-Jährige. Interessant ist die Tendenz zum Fragment: Fliesen werden betont „chaotisch“ kombiniert wie bei der Serie Art Cement von Supergres oder Gone von Ornament. Auch Marcel Wanders darf an dieser Stelle nicht fehlen und zeigt seine Fliesenkollektion Eva für Ceramica Bardelli. Die Fliesen lassen sich mit allen vier Außenkanten frei aneinander addieren und erlauben eine Vielzahl an Kombinationen. Indem die Helligkeit der Muster variiert und an einigen Stellen einen leicht verblichenen Eindruck erzeugt, entsteht eine Used-Optik wie bei einer verwaschenen Jeans.
Gebrannte Stofflichkeit
Keine Frage, dass auch das Modeunternehmen Diesel an dieser Trend-Baustelle längst aktiv ist und eine Kooperation mit Iris Ceramica eingeht. Die vorgestellten Wand- und Bodenfliesen sehen alles andere als nach Keramik aus. Stattdessen erinnern die gebrannten Tafeln an mattes Industrieglas, gealterten Sichtbeton, verschlissene Rocker-Bühnen (mit geriffelten Metallflächen), abgetragenes Leder und verwaschene Stoffe. Dank eines beherzten Griffs in die Trompe-l'Oeil-Kiste werden die Grenzen zwischen Keramik, Beton, Glas und Stein aufgelöst. Einen Transfer aus der Mode vollzieht hingegen Ferruccio Laviani mit seiner Mosaikkollektionen Alberto Yellow und William Blue für Bisazza. Die Oberflächen zitieren klassische Tartan-Kleidermuster, die in der Größe nach oben skaliert und mit einer intensiven Farbpalette poppig gewürzt sind.
Begehbare Memento-Mori
Für Aufsehen sorgt Bisazza diesmal jedoch mit einem neuen Geschäftsfeld: einer Kollektion von Holzfliesen, mit denen die bisherigen Glas-Mosaike um atmosphärische Naturböden erweitert werden. Wohin die Reise geht, zeigt Kiki van Eijk mit der Serie Floral Spring aus polychromen Holz-Sechsecken, die zu poppigen Blumen kombiniert werden. Die Besonderheit sind per Laser eingravierte Halme, die aus den angedeuteten Blütenkörben herauswachsen. Dieselbe Technik wird von Studio Job verwendet, die ihre Serie Gingham Blue mit eingravierten Skeletten von Fröschen, Vögeln, Seepferdchen und Menschen überziehen: als ein Memento-Mori zum Darüberwandeln, das Alltagstauglichkeit und Showeffekt unter einen Hut bringt.
Flexible, frei kombinierbare Möbel
Neben Oberflächen stehen auf der Cersaie ebenso Sanitärprodukte sowie die Möblierung von Bädern im Mittelpunkt. Auch hier spielt Sinnlichkeit eine entscheidende Rolle. Statt kaltem Weiß werden zunehmend Farben propagiert. Globo bietet die Waschbecken der Serie Bagno Di Colore von Designbüro CreativeLab+ gleich in vierzehn verschiedenen Farben an. Es sind gedämpfte, gebrochene Töne wie Sand, Olive, Petrol oder ein helles Graublau, die edel akzentuieren statt billig aufzutragen. Mit matten Oberflächen wird eine wärmere und weniger abweisende Erscheinung erzielt, die mit dem typischen Badezimmer-Charme nichts mehr gemeinsam hat. Die Folge sind schlüssige Anknüpfungspunkte zur Möblierung aus naturbelassenen, unlackierten Hölzern – die sich zu einem stimmigen Ensemble gegenseitig ergänzen.
Wohnliche Aufwertung
Eine Welt aus einem Guss haben Foster & Partners mit der Kollektion Tono für den spanischen Hersteller Porcelanosa entworfen. Die Waschbecken, WCs, Duschen und Möbel „sind das Ergebnis von physischem Machen und weniger von theoretischen Ideen“, wie die Londoner Architekten erklären. Die Entwicklung wurde auf empirischem Wege durch beständiges Testen und Ausprobieren der Formen erzielt, die nicht nur den Augen schmeicheln, sondern ebenso im alltäglichen Gebrauch von Bestand sein sollen. Es sind unaufgeregte Formen, die auf Ausschnitten von Kreisen basieren und sich nicht in den Vordergrund spielen. Ein schönes Detail markiert eine hölzerne Ablage, die das WC im ungenutzten Zustand versteckt und die wohnliche Aufwertung der einstigen Nasszelle treffend auf den Punkt bringt.
Eher skurril wirkt hingegen die schwungvolle Bäderkollektion Vitae, die Zaha Hadid Architects für die Porcelanosa-Tochter Noken umgesetzt haben. Die Waschbecken gleichen in die Länge gestreckten Muschelgehäusen, deren Kurvenschlag von den passenden Schränken, Armaturen und Spiegeln aufgegriffen wird. Auch wenn die Keramik-Kurvenwunder mit der Liquidität des Wassers korrespondieren sollen, wirkt das Ganze reichlich über das Ziel hinausgeschossen.
Atmosphärischer Wandel
Die Botschaft dieser Cersaie: Wände und Böden werden aus ihrem Dornröschenschlaf erweckt. Statt steriler, glatter, abweisender Oberflächen ziehen reliefartige, verspielte und unregelmäßige Wandfliesen und Bodenkacheln die Blicke auf sich. Und auch die Sanitärprodukte beweisen, dass Sinnlichkeit und Funktionalität keine Antipoden, sondern vielmehr zwei Seiten von ein und derselben Medaille sind.
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