Stories

Darf es ein bisschen fair sein

Elektronikgeräte entstehen unter fragwürdigen Bedingungen. Aber es gibt Alternativen!

von Judith Jenner, 26.02.2015

Im Gegensatz zu Kaffee oder Schokolade hat sich Fair Trade bei der Herstellung von Computern und Handys noch nicht durchgesetzt. Einige Graswurzelinitiativen wollen das ändern.

Egal ob Kaffee, Kleidung oder Schokolade: Viele Produkte gibt es inzwischen aus fairer Herstellung. Dass Bauern angemessen bezahlt werden oder sich Näherinnen gewerkschaftlich organisieren dürfen, motiviert viele Menschen dazu, für einen gerechteren Konsum tiefer in die Tasche zu greifen. Doch bei so komplexen Geräten wie Computern oder Mobiltelefonen steckt das Thema Fairness noch in den Kinderschuhen. Für die meisten Menschen zählen eher Kriterien wie die Leistungsfähigkeit, das Design und natürlich der Preis.

Faire IT steht noch am Anfang
Das ging auch Sebastian Jekutsch vom Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung so. Der Informatiker aus Hamburg achtete zwar bereits darauf, dass seine T-Shirts nicht aus Kinderarbeit stammten und er fairen Kaffee trank. Doch bis er überhaupt einen Gedanken daran verschwendete, wo und unter welchen Bedingungen sein Rechner zusammengebaut und die Rohstoffe für die technischen Einzelteile abgebaut wurden, musste einige Zeit vergehen. Vor etwa fünf Jahren begann er, das mehr und mehr zu hinterfragen, auch weil er sich als Nutznießer billiger IT-Produkte empfand. „Die Herstellung von Computern und Handys ist sehr komplex, was es kompliziert macht, ihre Fairness zu beurteilen“, sagt er. „Der Produktionsprozess beginnt mit der Rohstoffbeschaffung, geht über die Teileherstellung und das Zusammenbauen und schließt letztlich auch die Entsorgung mit ein.“

Bedarf an seltenen Erden steigt
Bis zu 30 Erze und seltene Erden werden für die Produktion eines aktuellen Mobiltelefons benötigt, Tendenz steigend, denn der Trend zu immer kleineren und flacheren Handys und Computer erfordert Spezialtechnologien. Seltene Erden werden unter anderem in den Flachbildschirmen und Smartphone-Displays sowie in Festplatten und Batterien der Geräte verbaut. Die Abbaugebiete dieser Rohstoffe liegen häufig in politisch instabilen Krisenregionen ohne Sicherheitskontrollen. Um an die Erze zu gelangen, werden oft ganze Landstriche zerstört und indigene Gruppen von ihrem Land vertrieben. In den Stollen herrschen menschenunwürdige Arbeitsbedingungen, häufig arbeiten dort Kinder. Im schlimmsten Fall finanzieren sogenannte conflict minerals sogar Bürgerkriege.

Schlechte Arbeitsbedingungen in der Produktion
Die Herstellung der Einzelteile und das Zusammenbauen der Geräte findet hauptsächlich in China, aber auch in Mexiko oder Brasilien statt. „Auch wenn in China die Arbeitsgesetze gut sind, werden sie oft nicht eingehalten“, bemängelt Sebastian Jekutsch. Stupide Arbeitsabläufe, eine hohe Arbeitsbelastung, schlechte Unterbringung von Arbeitern und der Umgang mit gefährlichen Chemikalien wurden in den letzten Jahren bekannt, besonders im Zusammenhang mit der Zuliefererfirma Foxconn, die Apple, Sony, Blackberry oder Microsoft belieferte. Das Recycling von Elektroschrott übernehmen im besten Fall deutsche Fachbetriebe. Das Umweltbundesamt schätzt jedoch, dass 150.000 Tonnen Elektroschrott pro Jahr illegal ins Ausland exportiert werden. In Entwicklungsländern landet er dann auf Schrottplätzen, wo oft Kinder versuchen, mit scharfen Chemikalien oder Bunsenbrennern wertvolle Metalle aus den Altgeräten zu lösen.

Was Verbraucher tun können
Seitdem mehr und mehr Berichte über Missstände wie diese an die Öffentlichkeit gelangen, beobachtet Sebastian Jekutsch ein langsam wachsendes Bewusstsein der Verbraucher für Fairness in der IT-Herstellung. „Die Unterschiede zwischen den Herstellern sind leider nur gering“, sagt Sebastian Jekutsch. Wer sich informieren möchte, wie fair und nachhaltig sein Lieblingsunternehmen produziert, dem empfiehlt er die Seite rankabrand.de. Apple, die Lieblingsmarke vieler Kreativer, schneidet dort verhältnismäßig gut ab, das Schlusslicht bilden Marken wie Nintendo und HTC. „Im Verhältnis dazu, wie teuer Apple-Produkte sind, tut das Unternehmen recht wenig und auch erst nach einer Aufforderung durch die Verbraucher“, kritisiert Sebastian Jekutsch allerdings. Er empfiehlt, den Unternehmen Feedback zu geben, warum man sie nicht kauft, auch wenn man wahrscheinlich nie eine Antwort bekommt. Ein Anhaltspunkt kann auch das Siegel TCO Development sein, das neben Umweltaspekten auch faire Herstellung beurteilt. Es kostet allerdings Geld, so dass sich kleinere Firmen gar nicht erst dafür bewerben.

Initiativen wie Fairphone & Co. geben Hoffnung
Doch in den letzten Jahren haben sich einige Graswurzelinitiativen gegründet, die sich auf faire IT spezialisiert haben. Aus Amsterdam stammt das Fairphone. Bei der Herstellung des Smartphones soll auf Mineralien aus Konfliktgebieten verzichtet werden. Zusammengebaut wird es unter fairen Bedingungen. Ein guter Anfang, findet die Sebastian Jekutsch, auch wenn das Start-up hier und da noch Abstriche in Sachen Fairness machen muss, zum Beispiel bei der Elektronik.

Nager-IT aus dem oberbayerischen Bichl fällt es leichter, eine faire Maus herzustellen, weil es sich um ein weniger komplexes Gerät handelt. Die Maus wird in einer Behindertenwerkstatt zusammengesetzt. Die meisten, doch noch nicht alle Komponenten stammen aus fairer Herstellung. „Durch das Projekt wollen wir aufzeigen, dass es durchaus möglich ist, auch unter anderen, menschenwürdigeren Umständen zu produzieren. Ziel ist es, dass andere Unternehmen in näherer Zukunft nachziehen“, sagt Brigitte Jordan von Nager-IT. „Bis jetzt haben wir gut 5.000 Mäuse verkauft und sind zufrieden damit. Wir wollen den Konsum ja nicht ankurbeln, sondern würden uns freuen, wenn Menschen, die sowieso eine neue PC-Maus benötigen, eine faire kaufen.“ Auch die faire Herstellung von Kaffee, Kleidung oder Schokolade hat einmal mit kleinen Projekten wie diesen begonnen und größere Firmen zum Teil dazu bewogen mitzuziehen. Vielleicht werden sie auch den Impuls für eine faire IT der Zukunft geben.

Mehr aus unserem Special „Seltene Erden“ lesen Sie hier…

Facebook Twitter Pinterest LinkedIn Mail
Links

Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung

www.fiff.de

Fairphone

www.fairphone.com

Nager IT

www.nager-it.de

Rank a brand

www.rankabrand.de

Seltene Erden

Alle Beiträge aus unserem großen Special, über alles, was aus dem Boden unter unseren Füßen erschaffen wird

www.designlines.de

Mehr Stories

Nachhaltig und komfortabel

Mit einem archetypischen Bürostuhl revolutioniert Wilkhahn das ergonomische Sitzen

Mit einem archetypischen Bürostuhl revolutioniert Wilkhahn das ergonomische Sitzen

Büro im Kreis gedacht

WINIs nachhaltige Möbelstrategie am Beispiel einer Spanplatte

WINIs nachhaltige Möbelstrategie am Beispiel einer Spanplatte

Der Stuhl, der CO₂ speichert

Mit einer Sitzschale aus Papier setzt Arper neue Maßstäbe für nachhaltige Materialien

Mit einer Sitzschale aus Papier setzt Arper neue Maßstäbe für nachhaltige Materialien

Zwei Marken, eine Mission

Wie Fellowes und Filex den Arbeitsplatz von morgen neu denken

Wie Fellowes und Filex den Arbeitsplatz von morgen neu denken

Außenräume und Innenräume

Wie die Architekturbiennale 2025 in Venedig neue Konzepte für ein Klima im Wandel entwirft

Wie die Architekturbiennale 2025 in Venedig neue Konzepte für ein Klima im Wandel entwirft

Digitale Werkzeuge in der Innenarchitektur

Wie ein Schweizer Büro Planung, Präsentation und Produktion verbindet

Wie ein Schweizer Büro Planung, Präsentation und Produktion verbindet

Wenn Möbel Wurzeln schlagen

Ausstellung mit USM Modulen bei der Architekturbiennale Venedig 2025

Ausstellung mit USM Modulen bei der Architekturbiennale Venedig 2025

Natursteinästhetik in Keramik

Fünf neue Oberflächen erweitern das Feinsteinzeug-Programm des Herstellers FMG

Fünf neue Oberflächen erweitern das Feinsteinzeug-Programm des Herstellers FMG

Creative Britannia

Unterwegs auf der London Craft Week und Clerkenwell Design Week

Unterwegs auf der London Craft Week und Clerkenwell Design Week

Best-of Licht & Leuchten 2025

Neuheiten aus Mailand: Euroluce und Milan Design Week

Neuheiten aus Mailand: Euroluce und Milan Design Week

Diskurs statt Dystopie

Deutschlands Vision für klimaresiliente Städte auf der Biennale 2025 in Venedig

Deutschlands Vision für klimaresiliente Städte auf der Biennale 2025 in Venedig

Auf stilvoller Welle

Ikonische Tischserie wave für exklusive Objekteinrichtungen von Brunner

Ikonische Tischserie wave für exklusive Objekteinrichtungen von Brunner

Analog sitzen, virtuell denken

Wie Interstuhl seine Designkompetenz ins Digitale erweitert

Wie Interstuhl seine Designkompetenz ins Digitale erweitert

Wilkhahn Refurbishment

Ein zweites Leben für besondere Modus-Drehsessel

Ein zweites Leben für besondere Modus-Drehsessel

Spektrum der Ruhe

Wie nachhaltig sind farbige Möbel?

Wie nachhaltig sind farbige Möbel?

Genähte Systemmöbel

Raphael Klug macht Pappe zum schlüssigen Material für nachhaltiges Möbeldesign

Raphael Klug macht Pappe zum schlüssigen Material für nachhaltiges Möbeldesign

Rauchzeichen aus dem Abfluss?

Wie Entwässerungstechnik zur Sicherheitslücke beim Brandschutz werden kann

Wie Entwässerungstechnik zur Sicherheitslücke beim Brandschutz werden kann

Design als kulturelles Gedächtnis

Ausstellung Romantic Brutalism über polnisches Design in Mailand

Ausstellung Romantic Brutalism über polnisches Design in Mailand

Alles Theater

Dramatische Inszenierungen auf der Milan Design Week 2025

Dramatische Inszenierungen auf der Milan Design Week 2025

Zurück zur Kultiviertheit

Neues vom Salone del Mobile 2025 in Mailand

Neues vom Salone del Mobile 2025 in Mailand

Dialog der Ikonen

Signature-Kollektion JS . THONET von Jil Sander für Thonet

Signature-Kollektion JS . THONET von Jil Sander für Thonet

Eine Discokugel aus Schaltern

Installation „Atmosphere“ in Mailand von Ippolito Fleitz Group für JUNG

Installation „Atmosphere“ in Mailand von Ippolito Fleitz Group für JUNG

Stoffe können Meer

Kreislauffähige Textilien aus Polyester von Delius

Kreislauffähige Textilien aus Polyester von Delius

Leben im Denkmal

Ausstellung Duett der Moderne im Berliner Mitte Museum

Ausstellung Duett der Moderne im Berliner Mitte Museum

Das Prinzip Ordnung

Ausstellung über Le Corbusier im Berner Zentrum Paul Klee

Ausstellung über Le Corbusier im Berner Zentrum Paul Klee

Mission Nachhaltigkeit

Stille Materialrevolutionen bei Vitra

Stille Materialrevolutionen bei Vitra

Von Mosaiken und Möbeln

Wie das Unternehmen SICIS bei Interiorprojekten unterstützt

Wie das Unternehmen SICIS bei Interiorprojekten unterstützt

Oasen der Ruhe

Kompakte Einzelkabinen fördern konzentriertes Arbeiten im Büro

Kompakte Einzelkabinen fördern konzentriertes Arbeiten im Büro

Zwischen Zeitenwende und Tradition

Unsere Highlights der Munich Design Days und des Münchner Stoff Frühlings

Unsere Highlights der Munich Design Days und des Münchner Stoff Frühlings

Charaktervolle Bäder

Vier Planende geben Einblick in ihre persönlichen Gestaltungsansätze

Vier Planende geben Einblick in ihre persönlichen Gestaltungsansätze