Die Anti-Lehre
Der Hamburger Bahnhof widmet dem legendären Black Mountain College eine Ausstellung.

Der Name Black Mountain College steht heute sinnbildlich für die amerikanische Avantgarde. Das Pionierprojekt war geprägt von humanistischem Geist, der sich der Aufklärung und dem Wissenstransfer verschrieben hatte und abseits traditioneller Bildungswege Raum für Entfaltung bot. Die Ausstellung Black Mountain. Ein interdisziplinäres Experiment 1933 – 1957 im Hamburger Bahnhof in Berlin widmet sich nun der Geschichte der alternativen Lehrstätte.
Radikaler Schaffensgeist und Aufgeschlossenheit gegenüber neuen Denkansätzen, dem Umgang mit Materialien und Formverständnis waren eine gute Voraussetzung für ein Studium am Black Mountain College. Der ausschlaggebende Wesenszug im demokratischen Ordnungsprinzip der Schule war jedoch der wohlwollende Ansatz, durch Bildung und Erkenntnisvermögen die Gesellschaft zu verändern.
Prozessfindung im Dialog
Der Grundstein hierfür wurde 1933 von John Andrew Rice gelegt, der zuvor am Rollins College in Florida als Professor tätig und wegen seiner Kritik an den herrschenden Unterrichtsmethoden entlassen worden war. Zusammen mit solidarischen Kollegen und Studenten wollte er seinen Traum vom idealen College verwirklichen. Seine Intention war es nicht, eine perfekte demokratische Gemeinschaft zu bilden, noch vorbildliche Lehrpläne für die Studenten zu erstellen. Vielmehr wollte er den bestmöglichen Ort für das Lernen in übergreifenden Studiengängen etablieren, an dem neben den Geistes- und Naturwissenschaften die Kunst zu einer freien Entwicklung der Persönlichkeit verhelfen sollte. Unter diesen Bedingungen begann im September 1933 in einem geradezu optimalen Betreuungsschlüssel von 12 Lehrern und 22 Studenten in der Nähe der Ortschaft Black Mountain in North Carolina der Unterricht in einer neuen selbstverwalteten Struktur.
Europäische Moderne und amerikanischer Pragmatismus
Dorthin verschlug es auch Josef Albers, der nach der Schließung des Bauhauses 1933 unter den Nationalsozialisten an das College berufen wurde und dort in der Tradition des Bauhauses Kunst unterrichtete. Auch Walter Gropius, Gründer der legendären deutschen Designschule, übte enormen Einfluss aus. Selbst wenn er nicht dauerhaft vor Ort lehrte, hatte er doch eine beratende Funktion und sorgte dafür, dass seine Tochter Ati ebenda ihr Studium abschließen konnte. Die Lehrenden konzentrierten sich vor allem auf die Methodologie, um durch direkte Erfahrung und ein so gewonnenes Verständnis des Prozesses Lösungen zu finden. Learning by Doing war ein Leitgedanke. Die Schüler wiederum verstanden, dass sie etwas Einzigartiges und Wertvolles erlebten, nicht nur in der Erprobung neuer Praktiken, sondern auch in der gemeinschaftlichen Verantwortung für das kollektive Experiment.
In den späteren Jahren bis zur Schließung im Jahr 1957 waren vor allem amerikanische Künstler und Wissenschaftler wie John Cage, Merce Cunningham, Robert Motherwell oder Willem de Kooning nachhaltig am Campus am Lake Eden aktiv und prägten die Atmosphäre in dem Maße, wie auch ihre eigene Arbeit von den Freiräumen profitierte. Mit den ab 1944 stattfindenden Sommerakademien wurden prominente Gastprofessoren wie Albert Einstein oder Clement Greenberg an das College eingeladen, die das Lehrangebot wesentlich bereicherten. Richard Buckminster Fuller verwirklichte dort auch seine ersten geodätischen Kuppeln mit Hilfe von Studenten.
Black Mountain in Berlin
In der ersten umfassenden Schau über das Black Mountain College in Deutschland lässt sich erahnen, wie prägend für die Kunstgeschichte und unseren aktuellen Gegenwartskunstbegriff die Schule ist. Die Ausstellung Black Mountain. Ein interdisziplinäres Experiment 1933 – 1957 zeichnet den anfänglichen, produktiven Austausch mit der deutschen – und europäischen – Avantgarde nach und empfängt bereits am Eingang mit Briefen aus dem Jahr 1933, in denen zunächst Mies van der Rohe die endgültige Schließung des Bauhaus verkündet und kurz darauf Theodore Dreier, Gründungsmitglied des Black Mountain College, Josef Albers und seine Frau Anni einlädt, an der neuen Schule Kunst zu unterrichten. Der zur Ausstellung erscheinende Katalog zeigt, dass die eigentliche kuratorische Arbeit in der Aufarbeitung von Archivbeständen, Verbindung von Fragmenten und dem Aufspüren biografisch relevanter Werke lag. Vor Ort führt die Ausstellung in drei Zeitabschnitten durch die Geschichte der experimentellen Universität und zeigt sich trotz allem reduziert und gestaltend und nicht als Materialschlacht, die ohne Zweifel auch möglich gewesen wäre.
Rückblick mit Gegenwartsanspruch
Die aus einem eigens ausgeschriebenen Wettbewerb als Siegerentwurf hervorgegangene Ausstellungsarchitektur des Berliner Architektenkollektivs Raumlabor trägt wesentlich dazu bei, den relativ sparsam eingesetzten Dokumenten und Leihgaben aus vornehmlich Berliner Archiven und Sammlungen zu einer zeitgenössischen Lesart zu verhelfen. Als stilisierende, aus Holzelementen gefertigte Imitation von Stahlgerüst, Glas und Wellblech zieht sich der Campus als fragmentarische Attrappe durch die Halle des Hamburger Bahnhof. Bekannte Bilder aus dem Alltag des Black Mountain College sind großflächig als Fotopanele zu sehen, so auch eine eindrucksvolle Aufnahme der Fotografin Hazel Larsen Archer, die das Umfeld der Schule in den 1940ern und frühen 1950ern ausgiebig dokumentierte. Die ikonische Aufnahme eines unter freiem Himmel tanzenden Robert Rauschenberg blickt auf dessen Gemälde an der gegenüberliegenden Wand.
Insgesamt ist die konzentrierte Auswahl der Arbeiten der Mitwirkenden am Black Mountain College sehr gelungen. In Zwischenräumen und Glasvitrinen wurden ephemere Gegenstände, Partituren und Zeichnungen übersichtlich arrangiert. In der Entscheidung, historische Zusammenhänge durch assoziative Elemente zu inszenieren, zeigt sich ein deutlicher kuratorischer Gestus, wie wenn der Einfluss mexikanischer Kulturen auf das Œuvre der Albers mit Leihgaben des ethnologischen Museums zu Dahlem veranschaulicht wird. Als Manifest geistiger Größe in kleinen Formaten wird hier mit der Leichtigkeit eines Denkanstoßes vor allem ein Eindruck der Spannweite des Schaffens in Black Mountain vermittelt, anstatt sich in Paraphernalien zu verzetteln, und wird dem Geist der Anti-Institution dadurch umso gerechter. Der gegenwärtige Zeitgeist im Umgang mit Geschichte wird besonders in den sichtbar gemachten Leerstellen der Ausstellungsarchitektur spürbar, die symbolisch zur Partizipation aufrufen.
Performing the Black Mountain Archive
Der Parcours mündet in Holzstufen neben dem symbolischen Archiv, das, in einem Regal in vertikal gelagerten Kisten untergebracht, als Ausgangsmaterial für eine Wiederbelebung dienen wird. Performing the Black Mountain Archive nennt sich die von dem Künstler und Komponisten Arnold Dreyblatt konzipierte Reihe, in der Studenten von zehn kooperierenden Kunsthochschulen in Lesungen, Konzerten und Performances, Materialien aus den Beständen des Black Mountain College neu interpretieren. Irgendwo im Raum steht ein Konzertflügel. Man denkt an John Cage, der mal gesagt haben soll: „Ich verstehe nicht, warum Leute Angst vor neuen Ideen haben. Ich habe Angst vor den alten.“
Black Mountain. Ein interdisziplinäres Experiment 1933 - 1957
bis 27. September 2015 im Hamburger Bahnhof, Museum für Gegenwart, Berlin
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