imm cologne 2015: The Dark Turn
Warum viele Hersteller in Köln auf gedämpfte Farb- und Materialpaletten setzten und was das über den Zeitgeist verrät.

Klares Licht, Pastelltöne von Altrosa bis Himmelblau, fröhliche Muster, naturbelassenes Holz, und ab und an blitzt Messing: So sieht das nordische Interior-Klischee aus – und so wurde es in den vergangenen Jahren eifrig gepflegt in der Möbelindustrie, auch weit südlich von Kopenhagen, Stockholm oder Helsinki. Das ist vorbei. Die Stimmung war zwar gut während der imm cologne 2015, aber viele Standinszenierungen und Produktneuheiten sprachen eine andere Sprache: Dunkel war es, die Hersteller setzten auf gedämpfte Farb- und Materialpaletten. Ernst ist das neue Heiter.
Und wer würde sich wundern über einen Dark Turn? In Zeiten, in denen man vor lauter Krisen, Katastrophen und Kriegen gar keine Nachrichten mehr schauen oder lesen mag, wirkt unbeschwerte Heiterkeit irgendwie daneben. Offensichtlich scheint die Gegenwart so bedrückend, dass Eskapismus auch keine Lösung ist. Statt uns eine bessere Welt vorzustellen, richten wir uns lieber Schutzräume im Hier und Jetzt ein. Denn nichts Anderes sind sie ja, die Interieurs, die das Publikum vergangene Woche zur 66. Ausgabe der Möbelmesse in Köln besichtigen konnte. Schwarze Wände, schwarze Küchen, schwarze Tische, schwarze Regale, Polstermöbel in Dunkelgrau, Nachtblau oder Weinrot, kuschelig bezogen mit dreidimensionalen Wollstoffen, Samt oder kostbar-plüschigem Mohairvelours. Solche Interieurs erzeugen ein Gefühl von Geborgenheit, denn dunkle Umgebungen wirken tiefer, weicher und bieten verschattete Ecken. Gehäuse, um darin zu versinken, Höhlen, um sich darin zu verstecken. Selbst Spiegel sind nun abgedunkelt oder gar verschleiert: Als könnten wir der Realität nicht mehr ins Auge sehen.
Zwischen Geborgenheit und Vereinzelung
Den Ton der Messe getroffen hat Das Haus. Die von der Koelnmesse initiierte Interior-Inszenierung in Halle 2.2 verantwortete in diesem Jahr das chinesische Architektenpaar Neri&Hu aus Shanghai. Während Louise Campbell 2014 mit ihrer offenen Scheune die Fröhlichkeit und Gemeinschaftlichkeit skandinavischer Mittsommernächte beschworen hatte, schickten Neri&Hu die Besucher in die Gassen ihrer Heimatstadt, wo es eng und dunkel ist und für Europäer vielleicht auch bedrückend. Sie inszenierten überreiche Räume, angefüllt mit Möbeln und Objekten, die die Besucher jedoch nicht betreten, sondern nur durch Öffnungen betrachten durften. Das Haus war voller erzählerischer Details, in die man sich vertiefen, die man aber oft gar nicht entschlüsseln konnte. Eine dichte, tiefe, geheimnisvolle Atmosphäre entstand so, changierend zwischen China und Europa, zwischen Geborgenheit und Vereinzelung. Keine Möbelausstellung, auch kein Eins-zu-eins-Architekturmodell, eher eine Szenografie zum Innehalten und Eintauchen.
Raus aus dem Versteck!
Und wir haben ja auch allen Grund, uns zu verstecken. Nicht nur vor dem Chaos der Welt da draußen. Auch zu Hause sind wir nicht mehr unbeobachtet, seit wir mit einer breiten Datenspur bereitwillig Auskunft geben über Gewohnheiten, Konsumverhalten oder Beziehungen. Unsere Identität ist Handelsware und Überwachungsgegenstand, und in diesem Sinne verschieben sich die Grenzen zwischen privat und öffentlich zusehens. Selbst unter der Bettdecke sind wir nicht mehr unsichtbar, wenn wir auf dem Smartphone Nachrichten tippen oder ein letztes Mal Facebook checken. Dass eine gemütlich-dunkel eingerichtete Wohnung da auch nicht weiterhilft, versteht sich von selbst. Interessantere Perspektiven bot in dieser Hinsicht die Ausstellung Domestic Affairs. New Voices in Dutch Design, die während der imm cologne in Köln Exponate aus den Grenzbereichen zwischen experimentellem Design, Kunst und Aktivismus zeigte. Einige Arbeiten thematisierten die Eigenproduktion im Kontext von 3-D-Druck und DIY-Spirit und den Versuch, sich damit unabhängig von Industriefertigung und Konzernmarketing zu machen. Andere Arbeiten setzten sich mit Fragen von Sichtbarkeit auseinander: Wie kann man der Überwachung durch Google oder NSA entgehen? Und lassen sich die kursierenden Datenmengen eigentlich auch für eigene Interessen nutzen? Bezeichnenderweise war die Stimmung der Ausstellung auch nicht gedämpft-dunkel wie auf der Messe. Es vermittelten sich eher ein nerdiger Erfindergeist, der Wille zum Aufbruch, aber auch Wut und Aggression.
Neues wagen!
Der Dark Turn ist eine denkbar defensive Reaktion auf die Zeit, in der wir leben. Emotional natürlich mehr als nachvollziehbar. Doch der Reflex, sich im Dunkel zu verstecken, hilft nicht weiter, wenn zumindest gefühlt mal wieder die Welt ein bisschen untergeht. Und das wünschen wir uns ja, dass die gerade so ängstliche und restaurative Möbelindustrie mal wieder nach vorne schaut, den Aufbruch sucht, Neues wagt jenseits von Farbkonzepten, Gestellvarianten oder Bezugsstoffen.
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