Solidarische Superstruktur
Florian Bengerts No-Stop Homeoffice soll Menschen verbinden
Innerhalb kürzester Zeit hat sich die Welt und das Arbeiten grundlegend verändert. Um die Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen und unsere Mitmenschen zu schützen, sind wir ins Homeoffice umgezogen. Das Arbeitsleben hat eine Digitalisierung im Schnelldurchlauf erfahren und unser Alltag plötzlich von Video-Anrufen und dem Laptop am Küchentisch geprägt.
So geht es auch Florian Bengert aus München, der sich mit BNGRT nicht nur der praktischen Architektur, sondern auch ihrer Theorie und Forschung verschrieben hat. In einem Open Call über Instagram fordert er mit einer Idee, die zum Mitmachen animieren soll, nach mehr Solidarität inmitten des „Social Distancing“: Er ruft dazu auf, den aktuellen Arbeitsplatz und seine umgebenden Charakteristiken zu skizzieren und einzusenden – als genordetes DWG-Format im Maßstab 1:100.
Architektur ohne physische Entsprechung
Bengert möchte daraus ein No-Stop Homeoffice erschaffen, einen großen Cluster aus all unseren heimischen Arbeitsplätzen, der zeigt: Wir mögen räumlich getrennt sein, aber rücken in Zeiten wie diesen eng zusammen. Wände, die in der Regel eine Abgrenzung darstellen, werden verbunden. Es entsteht eine fortlaufende architektonische Struktur, ohne physische Entsprechung. Denn derzeit ist es vorwiegend der solidarische Gedanke und das Meistern einer Krisensituation, die eine Verbindung zwischen den Menschen aufbaut. „Niemand ist alleine, wir alle sitzen in einer solidarischen Superstruktur – dem No-Stop Homeoffice“, so Bengert.
Ein kollektives Miteinander
Einerseits geht es dem Initiator darum, den Status quo plangrafisch festzuhalten, zum anderen auch, den Fokus auf die sich verändernden Strukturen zu legen. Die aktuellen Maßnahmen verursachen plötzlich eine Umkehrung des öffentlichen und privaten Raums. Der persönliche Ort der Entspannung, das intime Zuhause, muss zum extrovertierten Schauplatz der Produktivität und Leistungsfähigkeit umfunktioniert werden – mit oder ohne Bürostuhl, auf dem Sofa, auf dem Balkon oder im Schlafzimmer.
Florian Bengert möchte das Projekt nicht als „lustige Zeichenaufgabe zum Zeitvertreib“ verstanden sehen, sondern sieht darin durchaus sozialkritisches Potential. Nicht jeder habe die Möglichkeit, im Homeoffice zu arbeiten, denn viele Menschen verlieren ihre Jobs und sehen sich mit finanziellen Problemen und Ungewissheit konfrontiert. Das Homeoffice an sich sei nicht zwangsläufig ein schöner Ort, insbesondere dann, wenn es notgedrungen und provisorisch errichtet werden müsse. Doch trotz und auch aufgrund der negativen Auswirkungen verweist Bengert auf die positiven Aspekte seiner Idee. Die Architektur ist in diesem Fall ein mächtiges Werkzeug, das einen Gegenschauplatz aufzeigen kann und so die Gewissheit vor Augen führt, dass man nicht alleine ist, sondern als Kollektiv eine schwerwiegende Situation gemeinsam bewältigt.
Über internationale Grenzen hinaus
Die Rückmeldungen, die Bengert in den ersten zwei Wochen für sein Projekt erhalten hat, sind durchweg positiv und zahlreich. Nahezu 700 Einsendungen haben ihn bisher erreicht, die in nächster Zeit gesichtet, sortiert und zur einer Superstruktur zusammengefügt werden sollen. Das No-Stop Homeoffice scheint sogar internationale Grenzen einzureißen: „Ich habe Einsendungen aus aller Welt erhalten, aus komplett Europa über Indien, Japan, Südamerika, USA, Kanada bis hin zu Australien und Neuseeland.“
Für ihn selbst haben sich in der Krise keine allzu wesentlichen Veränderungen eingestellt. Als Selbstständiger und freischaffender Kreativer ist es für Bengert üblich, von Zuhause aus zu arbeiten und auch seine Lehrtätigkeit am KIT und der HfT Stuttgart werden mit einem Fokus auf das „Co“ in Co-Working fortgesetzt: Das bedeutet Video-Konferenzen und großer organisatorischer Aufwand, die zukünftig auch eine große Chance für die Lehre sein könnten.
Von klassisch bis kurios
In der Isolation seines Münchener Zuhauses wird er sich nun an die Aufgabe machen, die Grundrisse zu einem großen Cluster zusammenzufügen. Bis dahin postet er die Einsendungen auf Instagram, um den Fortschritt zu dokumentieren und noch mehr Interaktion anzustoßen. Die täglichen Updates stillen die Neugierde, in die Arbeitsräumlichkeiten der Mitmenschen blicken zu können. Denn die können ausgefallen, herkömmlich und manchmal auch witzig sein. „Ich möchte nicht zu viel verraten, aber es sind einige kuriose Räumlichkeiten dabei!“