Studiobesuch in Tiflis
Designerinnen Nata Janberidze und Keti Toloraia
Nata Janberidze und Keti Toloraia gründeten 2007, nur vier Jahre nach ihrem Interiordesign-Studium an der Kunsthochschule Tiflis, das Studio Rooms. Bestimmt und kompromisslos sichern sie sich heute einen Platz inmitten des Design-Hypes der georgischen Hauptstadt. Wir haben die zwei Gründerinnen in Tiflis besucht und uns angesehen, wie sie Elemente aus der georgischen Kultur mit ihren Entwürfen ins Hier und Jetzt übersetzen.
Es ist Februar, die Sonne scheint. Zum Stadtteil Vera, dem Bohème-Viertel von Tiflis, geht es steil bergauf. Die Straßen und Gassen sind gesäumt von heruntergekommenen, atmosphärischen Fin-de-siècle-Gebäuden und Tante-Emma-Läden, vor denen Nachbarn miteinander plaudern. Durch kleine Fenster wird aus Backstuben Brot und Süßes mit Walnüssen gereicht, Menschen sitzen rauchend vor den Cafés und genießen die ersten Sonnenstrahlen. Hier geht es beschaulich zu, fast wie in einem Dorf. Dabei ist die lärmende Hauptschlagader der Stadt nur einen Katzensprung entfernt: der Rustaweli Prospekt mit seinen imposanten Museen, dem georgischen Parlament, reich verzierten Gebäuden aus der Jahrhundertwende und sowjetischen Monumentalbauten.
Entwerfen mit Ausblick
Auch in Vera ist an jeder Ecke architektonisch Interessantes zu entdecken, eröffnen im schnellen Rhythmus Restaurants, Cafés, Galerien und Concept Stores mit georgischem Mode-, Schmuck- und Produktdesign. Im Mittelpunkt des Geschehens: das Stamba und das Rooms Hotel, die beide in einer ehemaligen Druckerei aus Sowjetzeiten untergebracht sind. Nicht weit vom stadtteilprägenden Hotelkomplex entfernt – der das Epizentrum der florierenden Designszene von Tiflis bildet –, entwerfen Nata Janberidze und Keti Toloraia ihre ungewöhnlichen Möbel, Leuchten und Accessoires. Ihr Studio ist in einem Haus am Ende einer idyllischen Sackgasse untergebracht. Nebenan gibt es Gärten mit freilaufenden Hühnern, Kinder spielen auf der Straße, im selben Komplex ist eines der beliebtesten Restaurants der Stadt untergebracht, das Keto & Kote.
Georgische Frauenpower
Das Haus erinnert an das Berlin der frühen Neunzigerjahre. Alles ist ein wenig verfallen, versprüht in seiner Morbidität aber den speziellen Charme des Aufbruchs. Eine massive Sitzbank aus Naturstein weist darauf hin, dass hinter der Flügeltür aus Holz irgendetwas Kreatives vor sich geht. Und richtig, hier befinden sich das Studio und der Showroom von Rooms – eine riesige Beletage mit schönen Altbauelementen und einem famosen Blick auf die Stadt. Nata Janberidze und Keti Toloraia gründeten Rooms Studio 2007, vier Jahre nach Abschluss ihres Interiordesign-Studiums an der Kunsthochschule in Tiflis. Und kletterten die Karriereleiter ziemlich schnell hinauf. Nicht nur haben sie für die inzwischen drei Rooms Hotels das Interiordesign entworfen, wobei das Rooms Hotel in Kohkta gerade fertiggestellt wurde. Ihre extravaganten Entwürfe werden von weltweit agierenden Galerien wie Rossana Orlandi (Mailand), Mint Shop (London), Garde (Los Angeles) und The Future Perfect (New York/Los Angeles) verkauft und auf hochkarätigen Messen wie Design Miami ausgestellt. Gerade planen die zwei Designerinnen ihre Teilnahme am Fuorisalone in Mailand. Von der italienischen Vogue wurden sie eingeladen, einen Raum in einem Palazzo einzurichten und bekamen dafür eine Carte blanche.
Lukrative Zwischenwelten
Nata Janberidze und Keti Toloraia, beide Jahrgang 1981, treten zurückhaltend und bescheiden auf. Doch wenn es um ihre Arbeit geht, sind sie überlegt, bestimmt und kompromisslos. „Es ist ziemlich einfach, in Georgien mit Design Geld zu verdienen, wenn man etwas Gutes macht“, sagt Nata. Die Szene sei schließlich klein, jeder kenne jeden und das Leben in Tiflis sei nicht teuer, fügt sie noch hinzu. Reines Industriedesign interessiert die beiden Enddreißigerinnen weniger, obwohl sie gerade ein Produkt für ein französisches Label entwerfen, das auf dem kommenden Salone del Mobile vorgestellt werden soll. Sie fühlen sich wohl in der Nische, sagen sie. Und die besteht im Fall von Rooms aus Entwürfen, die sich an der Schnittstelle von Kunst und Design bewegen, entweder Einzelstücke oder (limitierte) Editionen sind. Wenn eines für Nata Janberidze und Keti Toloraia besonders wichtig ist, dann die Wiederbelebung des georgischen Handwerks. Egal ob Keramiker oder Tischler: Die beiden schätzen enge Kooperationen mit Handwerkern, aber auch mit Künstlern und Musikern, die sie direkt vor der Haustür oder in den Außenbezirken der Stadt finden. „Es ist manchmal gar nicht so einfach, die Handwerker davon zu überzeugen, unsere Entwürfe so umzusetzen, wie wir sie haben wollen“, erzählt Nata und lacht.
Kulturelle Aneignungen
Das Studio von Rooms ist gleichzeitig Showroom und Kulisse für Produkt-Foto-Shootings. Gerade sind dort Möbel, Leuchten, Textilien und Accessoires aus ihren Kollektionen Wild Minimalism (2017), Life On Earth (2018) und DNA Archive (2019) ausgestellt und außerdem ein paar gesammelte Dinge wie georgische Tongefäße. Dazwischen wird gearbeitet oder in der Teeküche mit dem Team diskutiert. Da die Objekte von Rooms handgefertigt sind, gleicht kein Stück dem anderen. Die bevorzugten Materialien des Designerduos sind Holz und Metalle wie Messing, aber es gibt auch Stücke aus Ton oder Epoxidharz wie die ungewöhnliche Vase Mother Vessel aus der Kollektion DNA Archive mit plastischen Ornamenten in Form von weiblichen Brüsten. Wie Nata Janberidze und Keti Toloraia Elemente aus der georgischen Kultur ins Hier und Jetzt übersetzen, zeigt ein Stuhl aus Eichenholz aus der Kollektion Wild Minimalism, der die Form eines Granatapfels abstrahiert, einem immer wiederkehrenden Element in der georgischen Kunst. Gleich gegenüber im Raum ist die Love Collection aus derselben Kollektion platziert: monumentale Stühle und Bänke aus Eichenholz, das aus Abrissbauten stammt und wiederverwendet wurde. Dass die Entwürfe der beiden Designerinnen ausgewiesene skulpturale Qualitäten besitzen, zeigt auch die Kollektion Life On Earth: auf elementare Formen reduzierte Hocker und Bänke, die aus massivem Naturstein geformt sind.
Reduziert, rau, monumental, mit einem Hauch Folklore und zugleich glamourös: Die Entwürfe von Rooms sind eine außergewöhnliche Melange aus georgischer Kultur, sowjetischer Vergangenheit, (Kunst-)Handwerk und zeitgenössischen Impulsen. Warum ihr Design denn so ganz anders sei als alles, was man aus Europa kenne, wollen wir am Ende noch von den beiden Gestalterinnen wissen. „Wir sind hier sehr weit weg und deswegen viel weniger beeinflusst“, sagt Nata. Und es scheint so, als würde ihr das ziemlich gut gefallen.