Philippe Grohe
Philippe Grohe wurde 1967 in Le Sentier in der Schweiz geboren. Nach einer dreijährigen Ausbildung arbeitete er bis 1992 als Fotograf und studierte anschließend Betriebswirtschaftslehre an der Berufsakademie in Villingen-Schwenningen. Nach verschiedenen Projekteinsätzen für die Hansgrohe AG in den USA und in Paris leitete er den Aufbau des Zentralbereichs Corporate Marketing in Schiltach. Seit 2001 ist der Enkel des Firmengründers Hans Grohe Leiter der Designermarke Axor. Seit Jahren arbeitet er mit international renommierten Designern wie Philippe Starck, Antonio Citterio und Jean-Marie Massaud zusammen und entwickelt mit ihnen umfassende Kollektionen mit höchster Ausdruckskraft. Wir trafen Philippe Grohe in Berlin und sprachen mit ihm über die Zukunft von Axor, neue Ideen für das Bad und ob eine Wolke, aus der es regnet, sich auch verkaufen lässt.
Herr Grohe, Sie leiten seit 6 Jahren bei Hansgrohe die Designermarke Axor. Wie haben sich die Ansprüche an das Bad in den letzten Jahren geändert?
Wenn man die Entwicklung historisch betrachtet, hat sich in Deutschland das private Hausbad erst in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts demokratisiert, also als Massenphänomen durchgesetzt. Anfang des 20. Jahrhundert besaß rund 5% der Bevölkerung ein Bad, in den 1980er Jahren waren es bereits 95%. Allerdings war das noch eher eine „Waschmaschine“, ein rein funktionaler Raum, der lediglich der Körperhygiene diente. In den letzten Jahren wandelt sich das Bad und verliert zunehmend seine ausschließlich funktionale Ausrichtung und wird immer mehr zum Wohlfühl-, zum Lebensraum. Was unterscheidet aber dieses ursprüngliche Bad von dem Wunsch nach einem privaten Spa, Ausgleich- oder Naturraum? Hier schwingen heute ganz andere Sachen mit. Dass wir beispielsweise Holz in die Bäder einbauen, das hat ja einen Grund. Der Mensch bewegt sich von der Natur weg, aber der Körper signalisiert uns, dass uns ein paar Sachen fehlen. Der Wasserraum zu Hause birgt eine große Chance, vor allem über das Element Wasser den Bezug zur Natur wieder ein Stück weit herzustellen und damit auch neue Bedürfnisse – etwa nach Ruhe, Entspannung, Balance – abzudecken. Nehmen Sie die Wanne. Baut man sie mit ein wenig mehr Platz außen herum, dann hat man eine Sitzfläche – Jean-Marie Massaud spricht hier gern von einem Strand –, die dazu einlädt, sich auch niederzulassen, während vielleicht der Partner ein Bad nimmt. Und ich persönlich genieße es, am Morgen wenn, wenn meine vier Kinder dabei sind, sich für die Schule fertig zu machen, mich ins Bad zurückzuziehen. Denn das sind meine letzten 30 Minuten im Tagesablauf, in denen ich einigermaßen Ruhe haben kann. Da kann ich mich nicht ins Wohnzimmer hocken. Da ist es schon schöner im Bad, wenn man nicht auf dem Klo sitzen muss, um die Zeitung zu lesen. [lacht]
Was möchten Sie mit Axor erreichen?
Die Designermarke Axor existiert jetzt seit 13 Jahren. Die Entwicklung der Hansgrohe AG war in den letzten Jahrzehnten überaus dynamisch, wobei wir viele neue und innovative Produkte auf den Markt gebracht haben. Bereits Ende der 1970er Jahre ist mein Vater, Klaus Grohe, vom Einzelproduktdesign zum Familiendesign übergegangen. Das heißt, wenn die Handbrause ein bestimmtes Aussehen hat, dann soll die Kopfbrause nicht gänzlich anders aussehen. Das war der erste Schritt zu einer Bad-Kollektion. Schon damals lautete unser Credo, dass Interieurdesign nicht vor der Badezimmertür enden muss.
Tatsächlich geht es uns nicht allein darum, qualitativ hochwertige Armaturen, Brausen und Accessoires anzubieten. Vielmehr interessiert uns die Ausstattung eines wichtigen Lebensraumes. Der Zusammenhang „Wasser – Mensch – Raum“ ist uns besonders wichtig. Ich bin richtig glücklich, dass ich in einem Moment in das Unternehmen eingestiegen bin, als das Bad begann, sich von der zitierten „Waschmaschine“ hin zu etwas ganz Neuem zu entwickeln. Man verbringt im Bad inzwischen viel mehr Zeit, weil man sich dort eben nicht nur wäscht. Wasser ist eben doch nicht nur zum Waschen da. Und neue Bedürfnisse bedeuten auch neue Lösungen, Möglichkeiten und Herausforderungen. Gegenwärtig muss man sich keine tolle Marketingstory ausdenken, es gibt einfach ganz neue Ansätze.
Jetzt, da das Wasser kostbar wird, besinnt man sich auf andere Werte?
Ja. Es gibt ein stark wachsendes Bedürfnis nach dem „Sich Wohlfühlen“, und das hat etwas damit zu tun, dass [das Telefon von Philippe Grohe klingelt] zum Beispiel dauernd das Telefon bimmelt. Wir haben einen Terminkalender, der rammelvoll ist, müssen von einem Flieger zum nächsten und, wenn wir raus gehen, stecken wir erst einmal im Stau. Unser Leben hat sich in den letzten 20 bis 30 Jahren dramatisch verändert, und in diesem Zusammenhang scheint es wichtiger geworden zu sein, dass es im Bad um mehr als Körperhygiene geht. Jean-Marie Massaud bringt es auf den Punkt, wenn er sagt: „Wir brauchen keine Armaturen, sondern Wasser.“ Wir verstehen unsere Produkte nicht allein als funktionelle Gegenstände. Das geht damit los, dass wir Lösungen anbieten, um Wasser besser, sprich effizienter und nachhaltiger zu nutzen. Zum Beispiel mit der AIR- oder EcoSmart-Technologie in unseren Brausen, die den Wasserverbrauch reduziert, ohne dass aber der Duschkomfort leidet. Oder nehmen Sie den von Hansgrohe entwickelten dynamischen Luftsprudler in Armaturen. Da gehen, unabhängig vom Wasserdruck, immer sieben Liter pro Minute durch. Mehr braucht man nicht um sich die Hände zu waschen oder die Zähne zu putzen. Man kennt das ja von Hotels, da gibt es Armaturen, die macht man auf, und dann spritzt es einem schon fast aufs Hemd.
Vor zwei Jahren haben Sie mit Erwan und Ronan Bouroullec, Jean-Marie Massaud und Patricia Urquiola das „Axor WaterDream“-Projekt gemacht. Worum ging es dabei?
Das Projekt „Axor WaterDream“ ist als ein unabhängiger, offener Dialog angelegt, der den Visionen innovativer Gestalter eine Plattform bietet. Uns geht es dabei nicht um die Entwicklung neuer Produkte. Beim „Axor WaterDream 2005“, den wir damals auf der Möbelmesse in Mailand vorgestellt haben, baten wir die genannten Designer darum, Visionen vom Bad der Zukunft zu entwickeln. Alle drei haben ganz unterschiedliche, spannende Ansätze verwirklicht. Die Brüder Bouroullec beispielsweise arbeiten mit einem systemischen Ansatz und einem sehr minimalistischen Design. Für sie spielt die Überlegung eine zentrale Rolle, an welchem Punkt man eigentlich dem Kunden ein Produkt überlassen kann, damit er es ergänzen und sich besser aneignen kann. Sie kennen ja sicher die Tischsysteme von Vitra, die man bis zu einem gewissen Grad selbst gestalten kann. Ronan und Erwan Bouroullec entwickelten aus unserem Duschpaneel ein Wannen- und ein Waschtischpaneel, und plötzlich waren Armaturenmöbel entstanden. Sie hatten die Idee, die Konstruktionsdaten einfach herauszugeben. Der Architekt oder der Innenarchitekt sollte dann selbst bestimmen, ob nun grüner Marmor oder Holz verwendet wird. Für uns wäre es – rein logistisch betrachtet – unmöglich, all diese Materialien anzubieten. Leider haben wir bisher noch keine technische Lösung für diesen Ansatz gefunden.
Wie entscheiden Sie sich, mit wem Sie schließlich eine ganze Kollektion entwickeln?
Zuerst einmal suche ich den Dialog mit den Designern und Architekten. Anfangs ist es besonders spannend, denn sie haben zwar ihre Ideen, aber zumeist wenig Erfahrung mit dem Wasser und der Technik, die in Armaturen und Brausen steckt. Ihre Ansätze werden bei uns akribisch analysiert und auf ihre Realisierbarkeit überprüft. Sich zu entscheiden, mit welchem Designer oder Architekten wir eine ganze Kollektion entwickeln, ist dann eine wahre Kunst. Denn dieser Prozess dauert etwa drei bis vier Jahre. In dieser Zeit setzen wir uns ja nicht nur mit einem Produkt auseinander. Bei Antonio Citterio waren es in der ersten Zusammenarbeit etwa 64 Produkte. Da gibt es Kreuz- und Hebelgriffe, es gibt die klassische Variante und die moderne, es gibt Stand-, Wand- und Küchenarmaturen. Natürlich muss das Produkt auch für Bidet, Wanne und Brause dekliniert werden, und mitunter beschäftigt man sich auch mal mit einem ganz neuen Produkt. Die große Motivation ist es, wirkliche Neuheiten zu entwickeln, wie beispielsweise die Wanne, auf die wir einen Waschtisch gestellt und damit aus zwei Produkten eines gemacht haben. Auch eine Architektenidee. Es sieht nicht nur schön aus, sondern ist auch noch platzsparend und kann für die Raumgestaltung genutzt werden. Das sind drei bis vier Jahre Herausforderung. Denn natürlich muss sich eine Kollektion am Ende auch verkaufen können.
Wie unterscheidet sich das vom „Axor WaterDream“?
Beim „Axor WaterDream“ geht es um Zukunftsentwürfe. Hier werden viele tolle Ideen entwickelt, bei denen wir am Ende aber nicht wissen, wie man diese realisieren kann oder ob die Leute sie verstehen werden. Das interessiert uns aber auch gar nicht. Wir wollen hier einfach über den Horizont hinausschauen, um ein Gespür für kommende Entwicklungen zu bekommen. Nehmen Sie die „Axor WaterDream“-Installation von Jean-Marie Massaud. Er denkt beim Bad an einen Raum, vom dem er sagt: „Wir brauchen keine Brausen. Wir brauchen eine Wolke, aus der es Wasser regnet, denn die Leute möchten kein Metallteil über sich schweben haben. Das ist doch wie ein Damoklesschwert. Und wer braucht überhaupt noch eine Wanne? Das Einzige, was wir brauchen, ist eine Vertiefung, wo sich das Wasser ansammeln kann. Die Wanne ist idiotisch per se, weil ein so schrecklicher Rand um sie herum ist, der auch noch sehr unbequem ist. Die Leute wollen doch eigentlich einen Strand haben. Einen Strand und Wasser. Die wollen nicht eine Wanne mit Fliesen drumherum.“ Wir haben diesen Raum gebaut. Jean-Marie Massaud hat einen ganz eigenwilligen, aber überzeugenden Denkansatz, da fiel mir die Entscheidung für die Zusammenarbeit ganz leicht. Haben Sie sein Fußballstadion gesehen?
Das mit dem schwebenden Dach?
Genau. Er sagt ganz einfach: „Es geht doch nicht darum, wieder nur irgendein Monument zu bauen, worauf die Leute dann starren müssen, während es die überwiegende Zeit ungenutzt bleibt. Lass uns einen schönen Park anlegen, in dem die Leute picknicken können und wenn es dann ein Fußballspiel gibt, kann man auch noch Fußball schauen.“ Das ist eine eigenwillige Idee. Was mich interessiert und fasziniert ist nämlich nicht, noch ein Produkt und noch ein Produkt zu machen. Ich verfolge da eher einen holistischen Ansatz: einen Schritt zurücktreten und sich das Ganze von weitem anschauen. Dabei will ich nicht nur das Produkt betrachten, sondern das, was die Leute am Ende damit machen können.
Aber können Sie ein Bad von Jean Marie Massaud, wo das Wasser aus der Decke kommt, am Ende auch verkaufen?
Das werden wir erst wissen, wenn wir es anbieten. Wir arbeiten daran. Natürlich kann ich keine „Wolke“ verkaufen. Aber ich kann in diese Richtung denken. Das Produkt wird kommen, auch wenn es noch eine Weile dauern wird. Jean-Marie Massaud hat sich beispielsweise die Wannen-Mulde aus weichem und nicht aus hartem Material vorgestellt. Solche Materialien gibt es bereits. Wenn wir das schaffen, dann hätten wir auch ein Sofa entwickelt und plötzlich hätten wir wieder Raum gespart. Wir begannen ernsthaft nach einem geeigneten Material zu suchen. Leider hatten wir bisher keinen Erfolg, denn wenn man mit Stöckelschuhen auf diesem Kunststoffmöbel herumläuft, sind schnell Löcher drin. Am Ende holt einen die Realität schon wieder ein. Aber eben nicht immer.
Sie haben ja einen kreativen Beruf erlernt und als Fotograf gearbeitet. Warum sind Sie eigentlich nicht selbst Designer geworden?
Wenn ich in Mathematik besser gewesen wäre, hätte ich Physik studiert. Ich war aber zu schlecht und bin dann kurz vor dem Abitur aufgewacht und dachte: Verdammt noch mal, die Wissenschaft hat mich ja fasziniert, aber da gibt es ja auch noch etwas anderes. Die Fotografie war für mich ein Weg, mir diese andere, diese kretaive, gestalterische Seite anzueignen. Fotografie umfasst eben beides, auch Technik, Optik und Chemie – damals auf jeden Fall noch. Für mich war das ein Einstieg, mit dem ich mich ganz wohl gefühlt habe und in einer anderen Welt vorwärts kommen konnte. Heute bin ich bei Axor zwar nach außen im Dialog mit den Designern der Spezialist für die Technik, während ich nach Innen als der Designexperte gelte. Tatsächlich fühle ich mich eher als Vermittler und bin in beiden Welten zuhause. Das passt ganz gut.
Und Sie haben es nicht bereut, dass Sie zu Hansgrohe gegangen sind?
Nein. Der Deal war damals: Wenn ich nach drei Jahren wieder etwas anderes machen will, dann wird das auch finanziert. [lacht] Wir haben uns aber nie wieder darüber unterhalten. Meine Arbeit macht mir unheimlich Spaß. Selbst dann, wenn jetzt vielleicht etwas anderes Interessantes anstünde, möchte ich aus dieser Ecke nicht mehr heraus. Es gibt da einfach noch so viele Sachen zu tun. Aber immerhin weiß ich auch, dass ich etwas anderes machen könnte, wenn es sein müsste oder wenn es mich wirklich reizen würde.
Vielen Dank für das Gespräch.
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