Stories

A S K – Steffen Kehrle

Ein Porträt über den Münchner Designer von Thomas Wagner

von Thomas Wagner, 04.12.2018

Steffen Kehrle entwirft mit einem Sinn für das Wesentliche. Sein Industriedesign mit Betonung auf Industrie ist oft einfach, aber wirkungsvoll. Von einem, der auf zwei Flammen kocht.

Wie man seine Arbeit öffentlich präsentiert, einen stimmigen Auftritt hinlegt, ist heutzutage essenziell. Der Designer Steffen Kehrle weiß das. Es ist nicht lange her, dass er das Erscheinungsbild seines Ateliers in Zusammenarbeit mit Wiegand von Hartmann neu gestalten ließ. Schon das Corporate Design verrät viel über Anspruch und Vorgehen des umtriebigen Designers. Dass sein „Atelier Steffen Kehrle“ nun unter dem zum Logo verdichteten Kürzel A S K firmiert, ist keineswegs Zufall: Die richtigen Fragen zu stellen, gehört bei Steffen Kehrle zum Programm. Er liebt es, sich Fragen auszudenken, sie im Kopf hin- und herzuwenden, sie zu filtern und immer weiter zu präzisieren, bis aus spontanen Ideen und noch vagen Vorstellungen nach und nach präzise Projekte werden, die oft über das Übliche hinausgehen und gängige Typologien transzendieren. Entsprechend weit gefasst ist der Horizont, vor dem Kehrle sich positioniert.

Steffen Kehrle hat an einer Kunsthochschule studiert, an der Universität für angewandte Kunst in Wien. Die Weite des Spektrums der dort praktizierten Lehre, erzählt er, habe ihm gefallen, ihn angeregt und seine Neugier immer wieder von Neuem geweckt – vor allem in Seminaren bei Designern wie Bořek Šípek, Paolo Piva, Ross Lovegrove und Hartmut Esslinger ebenso wie in anderen Fachbereichen unter Raf Simons, Gregg Lynn und Zaha Hadid, bei Künstlern wie Erwin Wurm. „Dieser Spirit“, so Kehrle, „hat natürlich auf mich eingewirkt, was mir heute zugutekommt.“ Einschränkend fügt er hinzu: „Was man an einer Kunsthochschule nicht lernt: Man braucht auch ein Business-Modell.“ Vor neun Jahren hat Kehrle sein eigenes Atelier gegründet, in München. Längst hat er seine Lektionen gelernt und sich erfolgreich positioniert: „Ich sehe mich“, erklärt er, „ganz klar als interdisziplinäres Atelier für Industriedesign. Wir arbeiten an den verschiedensten Sachen, vom Mini-Möbel bis zur Architektur. Wir haben schon die unterschiedlichsten Sachen gemacht, auch für Konzerne wie BASF und E.ON.

Zwar hatte Kehrle schon an „der Angewandten“ hauptsächlich Möbel entworfen, dabei aber stets das Bedürfnis verspürt, möglichst abwechslungsreiche Projekte zu realisieren: „Wenn etwas anfängt, mich zu langweilen, dann war’s das. Deshalb versuche ich immer, an Projekten zu arbeiten, die herausfordern – was es nicht unbedingt einfacher macht und dazu führt, dass Projekte auch mal über mehrere Jahre laufen.“

Der Add Stool, ein Hocker, den er für Stattmann Neue Möbel gestaltet hat, war so ein Projekt, das seine Zeit gebraucht hat – am Ende länger als zwei Jahre. „Das liegt schlicht daran, dass der Anspruch, den wir an uns und unsere Arbeit stellen, sehr hoch ist.“ Von der Methode, für eine Firma gleich zehn neue Produkte zu entwerfen, um dann zu schauen, welches sich am Markt behaupten kann, hält er wenig. Für kleine Labels wie Stattmann Neue Möbel – mit Nicola Stattmann arbeitet er schon viele Jahre zusammen –, geht das ohnehin nicht: „Da gilt es, genau zu überlegen: What’s next? Ganz gleich, für was man sich entscheidet, es muss einfach top sein.“

Kehrle arbeitet gern im Team – möglichst an mehreren Projekten gleichzeitig. „Ich bin nicht der Typ, der im stillen Kämmerlein entwirft. Wir entwickeln ja nicht nur Produkte, sondern arbeiten auch an Installationen oder Szenografien, abseits der Gestaltung von Serienprodukten. Derzeit ist das ein Projekt im Schwabinger Tor, einem neuen städtebaulichen Komplex in der Münchner Leopoldstraße“, sagt er. Dort gestaltet A S K gemeinsam mit Yves Peitzner für die Lobby des Andaz-Hotels, dem Designableger des Hyatt, eine Lichtinstallation. „Die fragen immer heimische Künstler oder Designer, etwas mit einem Ortsbezug zu machen, in München also am liebsten etwas mit Brezn und Trachten – ungefähr in diese Richtung. Also haben wir uns mit dem Thema München auseinandergesetzt, und München ist nun mal weißblau. Nun realisieren wir eine Lichtinstallation, die sich mit dem Himmel über München beschäftigt“, so Kehrle.

„Es reizt mich, Industriedesign zu machen – mit Betonung auf Industrie", bekennt Kehrle, „Mich reizen neue Technologien und Automatisierungsprozesse; es interessiert mich, darüber nachzudenken, wie man neue Wege gehen kann, welche Wege überhaupt neu sind, welche neuen Werkstoffe es gibt. Aber bei all dem achte ich eben auch auf das Gesellschaftliche: Wie verändert sich die Gesellschaft? Was können wir als Designer überhaupt zu einer besseren Gesellschaft beitragen? Noch mehr Luxus? Noch mehr Konsum? – Ich selbst bin überhaupt kein Konsummensch, bei mir zuhause sieht es eher spartanisch aus.“

Steffen Kehrle auf eine spartanische Lebensführung festlegen zu wollen, wäre ein fataler Fehler. Das kulturelle Spektrum seines Ansatzes beschränkt sich keineswegs auf das Lebensnotwendige. Bei seinen Entwürfen regiert nicht allein der Zweck, auch der Genuss kommt zu seinem Recht, sucht Kehrle doch nach nicht weniger als einer zeitgemäßen Balance zwischen Luxus und Askese: „Ich mag gute Sachen, ich mag gutes Essen – aber ich will nicht zu viel essen; ich mag eine gute Einrichtung – aber ich will nicht zu viel eingerichtet sein. Und ich will vor allem nicht von der Mode abhängig sein. Genau das interessiert mich auch mit Blick auf die Gesellschaft: Wie macht man etwas richtig? Was kann ich dazu beitragen? Das verstehe ich auch als Herausforderung für mein Atelier.“

Dazu passt, dass Kehrle gewachsene kulturelle Strukturen schätzt und dem deutschen Furor, alles halbwegs Alte permanent bis zur Uniformität modernisieren zu müssen, skeptisch gegenübersteht: „So etwas wie die Wiener Kaffeehauskultur gibt es Deutschland nicht; es gibt Cafés, und mancher hat auch hierzulande sein Stammcafé, aber in Wien war ich jeden zweiten Tag im Prückel – und keiner hätte sich erlauben können, so ein Kaffeehaus umzubauen.“

Erst wenn sie in einem kulturellen Humus wurzeln, ergeben interdisziplinäre Projekte für Kehrle einen Sinn, ganz gleich, ob es sich um Essensbehälter, eine Badeinrichtung oder Sitzmöbel und deren Präsentation handelt – wie in der Kooperation mit dem Möbellabel Sitzfeldt, wo er als Creative Director agiert: „Wir haben intensiv daran gearbeitet – zusammen mit meinem Team, einem Fotografen und einem Stylisten – eine völlig neue Sitzfeldt-Welt zu entwickeln, samt kompletter neuer Bildsprache und Kommunikation. Dabei zeigen wir das Sofa auf einer Bühne und wie das Sofa zu einer Bühne des alltäglichen Lebens wird. Was machst du auf dem Sofa? Nichts Besonderes: Du sitzt, du liest, du schmust, du isst, du schläfst, du arbeitest, du spielst, du hörst Musik – und genau das zeigen wir, mit Leuten, die dazu passen: vom Münchner Clubbesitzer bis zum Fotografen. Wir wollten den Qualitätsanspruch und den Designanspruch in den Vordergrund stellen und eine überzeugende Lösung finden, die das Sofa mitten ins Leben holt, ohne sich in Folklore zu verlieren.“ So sehr Kehrle seine Neugier betont, Kontinuität und gewachsenes Vertrauen spielen in der Zusammenarbeit ebenfalls eine zentrale Rolle. Mit Sitzfeldt beispielsweise arbeitet er seit acht Jahren zusammen, nicht nur, was Produktlinie, Bildsprache und Außendarstellung angeht. Gerade hat er für den Hersteller View ein Sofa in diversen Varianten vorgestellt, das aber darauf reduziert ist, was Kehrle für wesentlich hält: Eleganz, Minimalismus und Komfort. Und als wäre das noch nicht genug des kontinuierlichen Engagements, hat er aktuell noch ein neues Produkt in der Pipeline: ein Sitzmöbel, das Ted heißt und ein stabiler und ultraleichter Sessel ist, der von klug gesetzten Nähten in Form gehalten wird.

Wer mit Kehrle über seine Projekte spricht, versteht sofort, weshalb er die Abwechslung liebt. Parallel zu seinen anderen Projekten arbeitet er beispielsweise an der Entwicklung eines Grills für ein Start-up. Der Trend gehe zum Zweitgrill – wobei sich immer die Frage stelle: Gas oder Holzkohle? „Gas ist super einfach“, meint der Designer. „Holzkohle bringt größere Hitze und Aroma, einfach mehr Geschmack. Also kombinieren wir beides miteinander, bauen ein Hybrid. Mit dem Ergebnis: Man kann entweder mit Gas oder mit Holzkohle grillen, aber auch mit beidem gleichzeitig. Kross anbraten auf Holzkohle und bei geringerer Temperatur auf Gas weitergaren. Das gibt es bisher nicht, das ist ein neues Patent.“ Steffen Kehrle erklärt, wo dabei die Schwierigkeiten liegen: „Erstens muss man die Idee haben, das verbinden zu wollen, und zweitens hat man es mit extremen Temperaturunterschieden zu tun, was materialseitig, in der Kombination von Guss- und Edelstahlteilen, eine besondere Herausforderung darstellt.“ Noch sind nicht alle Fragen beantwortet, aber das kann Kehrles Optimismus nichts anhaben: „Man braucht Geduld, aber die Zeit wird kommen, in der das Ding auf dem Markt sein wird.“ Ganz gleich, was er anpackt, eines ist immer zu bemerken: Kehrle versucht ständig weiterzudenken – in Richtung neuer, anders gearteter Produkte.

Und dann steht in einer Ecke des Ateliers noch ein seltsames weißes Objekt, eine Mischung aus Kasten und Sitzgelegenheit, eine Art Sofa oder Pod, der aus sechs Teilen besteht und in den man sich zurückziehen kann. Steffen Kehrle nennt das sich noch im Stadium eines Prototyps befindende Objekt „ein bisschen simpel“, dabei trifft es exakt den Zeitgeist eines nomadischen Lebens und des Beweglich-Bleibens. Das Projekt entsteht, auch das überrascht, nicht für irgendein Möbel-Label, sondern für Master & Dynamic, einen amerikanischen Hersteller hochwertiger Kopfhörer. Das komplette Möbel ist seine eigene Transportbox. Es besteht aus einem mit Integralschaum gepolsterten und mit Stoff bespannten Gerüst – außen hart und innen weich –, dessen Teile mittels Spritzguss-Scharnieren miteinander verbunden sind, wobei die Stabilität aus der Verbindung der Teile mit der zentralen Kiste entsteht. Die Idee dahinter: Hier können ein, zwei Leute sitzen, Musik hören, arbeiten. „So etwas“, erklärt Kehrle, „gibt es eben noch nicht, dafür existiert keine Typologie.“

„Um solche Projekte realisieren zu können“, bekräftigt Kehrle immer wieder, „brauchen wir moderne, engagierte und mutige Unternehmen und Unternehmer, die sich zu einem Projekt bekennen. Sie müssen uns und wir müssen sie leiten, sonst geht es nicht. Gelingt es, machen solche Projekte nicht nur Spaß, sie sind auch in jeglicher Hinsicht aussichtsreich – nicht nur, was das Profil des Ateliers angeht.“ Man versteht: Kehrle ist vernarrt in die Vielfalt, ob es, wie bei Sitzfeldt oder der eigenen Webseite, um die Bildsprache oder ob es um Industrieprodukte geht. Vor allem aber interessiert diesen unruhigen Geist, wie es weitergeht: Welche Dinge werden wir in den kommenden 20 Jahren brauchen? 

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