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Art Basel Unlimited

Die Art Basel Unlimited ist eine Schau für große Sachen. Große Namen sind natürlich auch dabei.

von Jeanette Kunsmann, 23.06.2015

Eine Ausstellung, in der Künstler wie Ai Weiwei und Olafur Eliasson am Rand stehen? Gibt es selten. Anders auf der Kunstmesse Art Basel. Hier kann man sich in der Sektion Unlimited in Gregor Schneiders Liebeslaube den Kopf stoßen, während Julius von Bismarck sechs Tage lang in seinem Egocentric System im Kreis rotiert, und Kader Attia mit Steinen auf leere Glasvitrinen wirft. Die Besucher laufen durch Scherben.

Marlene Dumas, Paul Gauguin und Tobias Rehberger warten in der Fondation Beyerle, das Vitra Design Museum zeigt Making Africa. Depot, Liste oder die Buchmesse I Never Read – es gibt unzählige Veranstaltungen, die alljährlich den Trubel rund um die Art Basel begleiten. Ein Highlight in diesem Jahr findet sich direkt in den Messehallen: der Sektor Unlimited in Halle 1. Seit 15 Jahren gibt es dieses Format parallel zur Kunstmesse, um Galerien die Gelegenheit zu bieten, auch überdimensionale Skulpturen, Videoprojektionen, Installationen oder Performance-Kunst auszustellen, die in einem Messestand nicht gezeigt werden können. Entsprechend dieser Übergröße ist auch der Raum dimensioniert, entsprechend der wilden Mischung ist die Lautstärke. 74 Kunstprojekte auf 17.000 Quadratmetern – Messe en masse. Wiederkehrendes Element sind die Grundformen Kreis und Quadrat. Das Rad muss nicht neu erfunden werden – es muss sich nur anders drehen.

Musik und Plünderungen
Live-Performance schlägt die Malerei, sobald dieser die richtige Hängung fehlt. Pedro Reyes hat für seine Arbeit Disarm, Mechanized II (2014) konfiszierte Maschinengewehre und andere Schusswaffen gesammelt und aus deren Einzelteilen selbsterfundene Musikinstrumente gebaut. Das klingt zunächst gewohnt, sorgt aber als Konzert mit unsichtbaren Musikern für eine eher unheimliche Atmosphäre. Das Bild der zerschlagenen Vitrinen von Arab Spring ist weitaus direkter: Hier griff der Künstler selbst zu den Steinen. Der in Paris geborene Künstler algerischer Herkunft Kader Attia spielt mit dieser Arbeit auf die Plünderung des Ägyptischen Museums in Kairo an und reflektiert so den Misserfolg der politischen Aufstände im Mittleren Osten Anfang des Jahres 2011.

Im Gelb verschwinden
Stiller hingegen ist es bei Franz Erhard Walthers Textilskulptur Wallformation Gelbmodellierung (1980/81). In einen gelben Mantel gekleidet, verschwindet der Künstler in der ebenso gelben Wand und wird selbst zum bildhauerischen Material. Diese seit 1989 nicht mehr ausgestellte Arbeit kann man als Bild, Skulptur oder auch als Aktionsraum verstehen. Bei David Shrigleys Life Model (2012) werden nicht die Künstler, sondern die Zuschauer zum Teil der Performance, wenn sie sich um die drei Meter große, comichafte Aktfigur im Kreis gruppieren, um sich im Freihandzeichnen zu üben.

Ordnung, Unordnung, Dekonstruktion
Julius von Bismarck versteht sich selbst als Material und lässt sich (und einen Künstlerkollegen) sechs Tage lang in einer Swimmingpool-großen Schüssel im Uhrzeigersinn rotieren – und das mit vier Sekunden pro Umdrehung in einem Tempo, bei dem den meisten schon vom Zuschauen schwindelig wird. Ausgestattet mit Stuhl, Tisch und Matratze, bleiben Handy und iPad die einzige Verbindung zur Außenwelt. Ein Experiment. Seinem drehenden Paraboloid ist der junge Berliner gewachsen, schließlich hat er ähnliches nur wenige Tage zuvor auf der Momentum-Biennale mit einem VW Polo gemacht. „Irgendwann stabilisiert man sich“, sagt von Bismarck in einem Interview mit Monopol. „Man glaubt selber stillzustehen, während sich die Welt um einen dreht.“ Ein Bild, das ebenso gut auf den aktuellen Kunstmarkt zutrifft.

Neue Horizonte
Die Umstrukturierung von Hierarchien und die Neuerfindung von gewohnten Ordnungen findet sich auch in anderen Arbeiten wieder. Hans-Peter Feldmann reiht alte Werke der Landschaftsmalerei in Öl an ihrem Horizont aneinander und kreiert so ein neues Bild. Ähnlich, aber wesentlich reduzierter ist Marcia Hafifs An Extended Gray Scale (1973): eine an drei Wänden gehängte Abfolge von Weiß- und Grautönen. Robert Irwin ordnet in seiner Installation ebenfalls Schwarz und Weiß auf eigene Weise und spannt dabei einen Raum auf. Wer in Black3 (2008) durch die engen Reihen zwischen den durchscheinenden Paneelen geht, wird ein anderes Bild haben, als derjenige, der das schwarze Quadrat frontal betrachtet.  

Wiedersehen
Es gibt auch Wiedersehen: Der New Yorker Galerist David Zwirner hat Dan Flavins leuchtende Farbspiele aus European Couples, 1966–1971 in einer der weißen Kabinen installieren lassen. Auch Günther Ueckers Sandmühle/Sand Mill aus dem Jahr 1969 wurde 2014 neu „aufgelegt“. Und Gianni Colombos Architettura cacogoniometrica. Ambiente, 1984 ist eine Rekonstruktion seines Beitrags auf der Kunstbiennale in Venedig vor 31 Jahren. Die Säulenkomposition auf schrägen Böden spielt mit der eigenen Stabilität und provoziert Schwanken und Schwindelgefühle. Jeppe Heins 360° Illusion III (2007) hingegen schwebt still über den Köpfen der Besucher. Der verspiegelte, abstrakte Riesen-Bumerang rotiert nur langsam, gibt den Besuchern dabei aber ein andere Perspektive, ein neues Selbstbild. Und anders als von unten, sieht von schräg oben jeder gut aus – solange man aufmerksam bleibt, und zwischen all den Exponaten und Installationen den Blick auch in die Höhe hebt. Grenzen kennt Kunst bekanntlich nicht, schon gar nicht in einer Messehalle.

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