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Die Kunst der Isolation

Mikroarchitekturen als Orte der Inspiration

Urlaub ist in Corona-Zeiten eine ungewisse Angelegenheit. Werden wir wirklich diesen Sommer reisen können? Haben Hotels und Strände wieder geöffnet? Wie steht es mit Restaurants und Strandbars? Wird Social Distancing zu einem Akt der Unmöglichkeit? Vielleicht wird in den nächsten Monaten und Jahren eine Typologie an Vorsprung gewinnen, die Erholungs- und Rückzugsort in einem ist: das Cabanon.

von Norman Kietzmann, 06.05.2020

Wer sich konzentrieren will, braucht Ruhe. Schon Le Corbusier ließ 1952 das quirlige Paris hinter sich und verbrachte die Sommermonate in einem winzigen Holzbau in Roquebrune-Cap-Martin an der Côte-d’Azur – nur wenige Meter von Eileen Grays Villa E1027 entfernt. Die aus vorfabrizierten Holzbauteilen konstruierte Hütte – ihr Erbauer nannte sie schlichtweg Cabanon, dem französischen Wort für Schuppen – wurde von außen mit Schwartenbrettern verkleidet und maß gerade einmal 14 Quadratmeter. Wohnen, Schlafen und Arbeiten erfolgten in einem Raum, eine Küche gab es nicht. Der Schweizer Architekt musste dennoch nicht hungern. Er öffnete einfach eine Tür und stand im Restaurant eines Freundes, das an den Minibau direkt angrenzte. Le Corbusier gelang eine Neuinterpretation der Mönchszelle. Nicht zur Buße oder zum Beten, sondern zum Denken, Kreativsein, Runterschalten. Ein Ort der Inspiration.

Adieu Ballast!
Ein Cabanon steht für ein neues Werteverständnis. Es geht um Entmaterialisierung. Weg mit den überflüssigen Dingen. Weg mit dem Firlefanz eines Grandhotels. Wer braucht schon eine ausufernde Pool-Landschaft, wenn das Meer oder ein See nur wenige Meter entfernt liegen? Der Verzicht auf Raum, Komfort und Service garantiert andere Qualitäten: Ruhe, Naturverbundenheit und das gute Gefühl in Corona-Zeiten, die 1,5 Meter Sicherheitsabstand zu anderen Menschen problemlos einhalten und auf das Tragen einer Maske verzichten zu können. Schließlich ist ein Cabanon ein Rückzugsort für eine, maximal zwei Personen. Indem die romantische Idee des Einsiedlertums als temporäres Übernachtungskonzept verstanden wird, gewinnen wir eine Form von Freiheit zurück, die es in den Städten oder Urlaubsorten wohl nicht mehr ganz so schnell geben wird.

Maximierung des Naturerlebnis
Cabanons sind Eskapismus in Reinform. Man ist umgeben von Bäumen, Farnen, Gräsern und allen Arten von Tieren. Man wacht mit den ersten Sonnenstrahlen am frühen Morgen auf und geht weitaus eher zu Bett, als man es in der Stadt oder mit Bars gesäumten Strandpromenaden tun würde. Es gibt ja nicht viel zu tun. Und genau das ist das Schöne daran. Wichtig ist nur, das Mobiltelefon und vor allem das Internet auszuschalten. Wer inmitten der Natur die Social-Media-Kanäle verfolgt, hat das Wirkungsprinzip des Ortes nicht verstanden. Es geht um die Loslösung von der allgegenwärtigen Vernetzung – und manchmal sogar die Trennung vom Stromnetz. Viele Cabanons werden nur mit Kerzen, Kamin oder solarbetriebenen LED-Leuchten illuminiert. Die Reduktion der Ablenkung führt zur Maximierung des Naturerlebnisses.

Geborgter Raum 
Das bauliche Spektrum ist weit gefächert. Steht die kompakte Architektur am Meer, am See, im hohen Gebirge oder im Wald? Ist es sinnvoll, sie direkt auf dem Boden zu platzieren oder kann sie nicht angehoben werden hinauf in die Baumwipfel? Idealerweise wird ein Cabanon aus Holz konstruiert: ein klimaneutraler Baustoff, der leicht und demontierbar ist. Nicht für die Ewigkeit und dennoch langlebig genug, um viele Jahrzehnte zu überdauern. Auch Metall und Glas kommen in der freien Wildbahn zum Einsatz. Ganz wichtig: Ein Cabanon besitzt weder einen Keller noch ein massives Fundament. Wird es wieder abgebaut, lässt es keine bleibenden Spuren zurück. Der Raum wird nicht für immer und ewig okkupiert. Er wird nur für eine bestimmte Zeit geborgt. 

Inside-Out-Prinzip 
Ein Cabanon bietet Schutz. Und doch funktioniert es wie ein Schaukasten. Ein großes Panoramafenster ist wünschenswert, um die Natur im Innenraum erlebbar zu machen. Die Möblierung nimmt sich bewusst zurück. Ein Bett, ein Sessel, eine Leseleuchte, ein kleiner Schreibtisch. Das Wohnen auf wenigen Quadratmetern ist eine spannende Übung: Was brauche ich wirklich? Was kann weg? Küche, Bad und Toilette sind ebenfalls so kompakt wie möglich gehalten. Dazu kommt eine Terrasse oder Balkon: ein kleiner Außenbereich, um regengeschützt im Freien zu sein – ganz ohne Nachbarn und erzwungene Kommunikation. Das einzige Gezeter kommt von Vögeln und anderen Tieren. Ein Umstand, an den sich Städter erst einmal gewöhnen müssen. Doch genau darum geht es hier: Das isolierte Wohnen schärft die Sinne – und hält uns in diesen besonderen Zeiten bei Verstand.

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Cap Moderne

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Atelier Lavit

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Bio-Architects

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Gartnerfuglen Arkitekter

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Spinn Arkitekter

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Kudhava

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Espen Surnevik

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