Supersalone 2021
Die Highlights aus Mailand
Alles anders in Milano? Die erste Mailänder Möbelmesse nach der Pandemie präsentierte sich im Vorfeld mit einem moderaten Konzept. Weniger Neuheiten, weniger Aussteller, weniger Spektakel, dafür aber mehr Nachhaltigkeit? Wir haben uns fünf Tage in Mailand umgeschaut und einige Highlights zusammengetragen.
Ein Leben mit Schmetterlingen: Studiopepe x Mohd
In der Nähe des Hauptbahnhofes, in der Via Macchi 82, hat das Designbüro Studiopepe für den italienischen Retailer Mohd eine über 500 Quadratmeter große historische Halle in ein beeindruckendes Erlebnis für zeitgenössisches Design verwandelt. Der Titel ist Programm: „Botanica Collettiva“ ist ein üppig begrünter Indoor-Garten, in dem man von einer Inszenierung zur nächsten wandert – und gar nicht mehr woanders hin will. Hier möchte man ruhen, hier möchte man arbeiten und die ausgesprochen feinsinnige Inszenierung der Produkte genießen. „Botanica Collettiva“ könnte eine gelungene Blaupause für zukünftige Büros sein: Wenn schon wieder ins Office, dann bitte in einen Garten. Mit Schmetterlingen. as
Alcova: Ausstellungsort mit morbidem Charme
Auch in diesem Jahr okkupiert Alcova wieder einen in Vergessenheit geratenen Ort in Mailand, der eine besondere Kulisse zum Erkunden und Innehalten bietet: Auf dem Gelände eines ehemaligen Militärkrankenhauses im Südwesten der Stadt zeigt die von Space Caviar und Studio Vedèt organisierte Ausstellungsplattform in drei Gebäuden und unter freiem Himmel die Arbeiten von über 50 Ausstellern – von Designschulabsolvent*innen über Studios wie Lukas Wegwerth und Llot Llov oder das Teppichlabel Nomad bis hin zu Galerien wie Nilufar. kh
Nature Squared: Fliesen aus Eierschalen
Einer der Vorteile der Mailänder Designwoche ist es, entlang der geplanten Wegstrecke außergewöhnliche Entdeckungen machen zu können. So geschehen im Kosmos von Rossana Orlandi in der Via Matteo Bandello. Dort stellt Lay Koon Tan, die Mitgründerin des in London ansässigen Labels Nature Squared, eine charmant inszenierte Fliesenkollektion vor, die aus Eierschalenabfällen besteht. Der offene Stand im Hof der Galerie wurde von der Textildesignerin Elaine Yan Ling Ng entworfen und zeigt unterschiedliche Anwendungsmöglichkeiten des teilweise hauchdünn eingesetzten Materials. Das ethisch orientierte Unternehmen, das vor allem Bespoke-Lösungen für Kunden entwickelt, wurde im Jahr 2000 gegründet und verbindet nach eigenen Aussagen traditionelle Handwerkskunst mit innovativen technischen Lösungen. Produziert werden Materialoberflächen – unter anderem auch aus Muscheln, Rinde, Samen oder Tierhäuten. mbf
Breakfast at Bocci's
Die mitunter beeindruckendsten Momente, die der Salone bereithält, sind die seltenen Einblicke in sonst unzugängliche Palazzi und Gärten, Dachterrassen und Privatwohnungen. Wie beispielsweise das wunderbare Apartment von Nicolas Bellavance-Lecompte, dem Gründer der Carwan Gallery. Die Galerie steht für ausgesuchtes „Collectible Design“ – Objekte also, die man im Alltag eher selten zu Gesicht bekommt. Zum Supersalone haben Omer Arbel, Kreativdirektor und Mitbegründer von Bocci, und Nicolas Bellavance-Lecompte gemeinsam die Räume des Apartments kuratiert. Das Set-up beschert dem Besucher zahlreiche Entdeckungen. Begleitet von einem begeisternden Omer Arbel werden Einblicke in dessen experimentelle und reflektierte Arbeitsweise gegeben. So werden etwa ausgewählte Objektstudien gezeigt, bei denen er das Verhalten von unterschiedlichen Glas- und Kupferverbindungen untersucht hat. Zahlreiche dieser Versuche sind in Omer Arbels Debütmonografie zu sehen, die kürzlich bei Phaidon erschienen ist. Aber im Apartment von Nicolas Bellavance-Lecompte erhalten die Objekte noch einmal eine ganz neue Kraft. ads
THE STONE HOUSE: Installation von Stefan Scholten
„Nachhaltigkeit ist nicht länger ein Trend, sondern eine Notwendigkeit“, meint Stefan Scholten. Mit seiner Installation The Stone House im Palazzo Turati möchte der niederländische Designer die vielfältigen Möglichkeiten des Upcyclings von Steinabfällen aufzeigen. Für das Projekt arbeitete er mit verschiedenen Steinbrüchen sowie Unternehmen in Italien zusammen und setzte sich mit jahrhundertealten Techniken der Steinverarbeitung auseinander. Er experimentierte mit neuen Farb- und Materialkombinationen und gestaltete aus Sägeresten, Bruchstücken, Brocken oder Marmorsplittern Wände, Böden und Möbel mit zeitgenössischen Mustern und der für Stefan Scholten typischen Farbwelt. kh
SUPERSALONE: Die Messe in Rho
Es sind nun vier und nicht – wie anfänglich angekündigt – zwei Hallen, die auf dem Messegelände in Rho bespielt werden. In dem von Stefano Boeri und Andrea Caputo entwickelten offenen Standkonzept stellen über 400 internationale Hersteller in einer Art provisorischem Boxensystem aus, das beidseitig genutzt wird. Die Firmen haben je nach Budget verschiedene Längen gemietet, die teils etwas lieblos genutzt, teils geschickt inszeniert werden. Auch wenn einige Stimmen das Ausstellungssystem als „zu unspektakulär“ oder „zu einschränkend für die Hersteller“ befinden: Laut der Pressemitteilung der Messe werden durch das unter anderem von dem Designer Lukas Wegwerth entwickelte Konzept über eine 1.125 Tonnen CO2 eingespart. kh
The Makers Show
Zwischen den Präsentationsflächen der etablierten Möbelhersteller stellen erstmalig die sogenannten „Maker“ ihre Produkte vor. Die dunkel abgesetzten Bereiche sind jungen Ateliers, Designbüros, Start-ups und Studios vorbehalten, die Designexperimente, neue Produktionstechniken und Materialforschung kombinieren, um in Eigenregie Produkte zu entwickeln und zu vermarkten. Endlich wird also auch eine Plattform für Designproduktionen geschaffen, die sich unabhängig von den großen der Möbelbranche machen. mbf
The Lost Graduation Show
Die Sonderschau im Zentrum von Halle 2 und 4 wurde von Anniina Koivu, Designautorin, Kuratorin und Lehrende an der University of Art and Design Lausanne ECAL, kuratiert. 170 Projekte von Studierenden, die zwischen 2020 und 2021 ihren Abschluss gemacht haben, werden auf einer Landschaft aus Ytong-Steinen ausgestellt. Sie haben ihre Abschlüsse an einer von 48 Designschulen aus 22 verschiedenen Ländern weltweit gemacht. Neu ist, dass neben Möbeldesigns auch Arbeiten aus anderen Designdisziplinen zugelassen wurden. Im Sinne einer holistischen Weltanschauung sind Produkte aus Bereichen wie Mobilität, Medizin- und Sportdesign oder Material- und Nachhaltigkeitsforschung zu sehen. mbf
Showroom: JUNG LOVES ... Exhibition of Things
Im Showroom des Schalterherstellers Jung in der Via Palermo 1 in Brera geht es in diesem Jahr um das Thema „Liebe“. Die Installation JUNG LOVES ... Exhibition of Things stammt vom Düsseldorfer Innenarchitekturbüro raumkontor. Eine schmale Treppe führt vom malerischen Mailänder Hinterhof in die Räume einer Ballettschule, die auch schon vor zwei Jahren der Installation Chromatic (ebenfalls raumkontor) als Schauplatz diente. Ein lautes Pochen, ein stark verstärkter Herzschlag, empfängt die Besucher*innen, während sie einen abgedunkelten Raum betreten. In dem schwebt eine fast raumhohe, rot beleuchtete Skulptur, ein überdimensionales Herz, zusammengesetzt aus allerlei Alltagsgegenständen. „Die Installation öffnet den Raum für deutlich weitläufigere Assoziationsfelder, die um den Begriff „Liebe“ kreisen. Unser Herz schlägt glücklicherweise für vieles, sehnt sich nach weit Entlegenem, tanzt voller Lust und ist zugleich fragil – und für dieses unausdrückbare Gefühl findet die neue Rauminstallation atmosphärisch dichte Bilder“, erklären Andrea Weitz und Jens Wendland von raumkontor. Und warum sind wir noch hier? Stimmt: Irgendwo zwischen all den Gegenständen, die das Herz formen, findet sich auch der ein oder andere Schalterklassiker: der LS 990 in originalen Les Couleurs® Le Corbusier Farben. mbf
PAST PRESENT FUTURE: Ausstellung von Dimorestudio
Mit der Ausstellung PAST PRESENT FUTURE widmet sich Dimorestudio in seiner Apartment-Galerie in der Via Solferino dem italienischen Design des 20. Jahrhunderts. Aufgeteilt in drei Bereiche zelebriert PAST den italienischen Rationalismus und zeigt exklusive Möbelentwürfe von Piero Portaluppi, Marcello Piacentini, Ignazio Gardella oder auch Gae Aulenti und Nanda Vigo. Für eine passende Inszenierung wurden die Wände mit handgemalten und handbestickten Tapeten aus dem Archiv des britischen Herstellers de Gournay verkleidet und die Zimmer mit Vasen aus der Sammlung des toskanischen Unternehmens Bitossi dekoriert. Der zweite Teil FUTURE ist die erste Retrospektive des Mailänder Architekten und Industriedesigners Claudio Salocchi. Bei dem Video-Event PRESENT werden am Mittwoch um 17 Uhr aktuelle Arbeiten von den Dimorestudio-Gründern Britt Moran und Emiliano Salci gezeigt. kh
Materialliebe: „Matéria Series“ von Christian Haas für Classicon
Mit der Matéria Series hat Christian Haas Tische geschaffen, die eine große Ruhe ausstrahlen: Das Ahornholz des Tischgestells ist samtig, der Travertin der Tischplatte hat eine weiche Textur. Eigentlich möchte man sich gar nicht mehr mit seinem Gegenüber unterhalten, sondern sich in der Struktur des Steins verlieren, die mit ihren feinen Farbabstufungen kleine Landschaften zeichnet. Die Kollektion kommt in zwei Ausführungen. Einmal wird der helle Stein in seiner natürlichen Farbe belassen und fein geschliffen. In der anderen Version mit Indigo eingefärbt. „Durch die Porosität wird die Farbe tief in die Struktur getragen. Dadurch werden die wunderbaren Schichtungen des Steins noch einmal verstärkt“, erzählt uns Christian Haas im Showroom von Classicon in Brera. ads