Win-win auf Sächsisch
Gesamtkunstwerk aus Märchen, Interieur, Likör: die Ausstellung Die falsche Blume von Hermann August Weizenegger.
Seidenblumen in der Designausstellung? Das Dresdner Kunstgewerbemuseum in Schloss Pillnitz zeigt seit dem vergangenen Wochenende die Schau Die falsche Blume. Ein Designmärchen von Hermann August Weizenegger, die die traditionelle Kunstblumenherstellung im sächsischen Sebnitz als Ausgangspunkt hat. Der Berliner Designer hat daraus ein erzählerisches Gesamtkunstwerk aus Märchen, Musik, Tanz, Likör und Interieur gemacht.
Eigentlich beschäftigt sich Hermann August Weizeneggers Ausstellung Die falsche Blume nicht mit ihrem Präsentationsort. Und doch ist sie ohne ihren Schauplatz, das Wasserpalais von Schloss Pillnitz direkt an der Elbe, nicht denkbar. Denn die barocke Schlossanlage im chinesischen Stil mit ihren pagodenartigen Dächern und den gezwirbelten Türmchen strahlt eine solche Heiterkeit und Leichtigkeit aus – diese Atmosphäre verlangt geradezu nach einer Ausstellung, die sich ihrem Thema auf verspielte Art nähert. „Hier draußen müssen wir etwas Heiteres zeigen“, sagte Tulga Beyerle, seit 2014 Direktorin des Kunstgewerbemuseums und Kuratorin der Ausstellung, während des Presserundgangs. „Hier haben wir das entsprechende Publikum.“ Schließlich ist Schloss Pillnitz ist nicht nur Sitz des Kunstgewerbemuseums, sondern auch Ausflugsziel unweit der Stadt.
Panorama des sächsischen Handwerks
Mit Sachsen hat Hermann August Weizeneggers ambitionierte Schau allerdings sehr viel zu tun: Der Berliner Designer zeigt im Kunstgewerbemuseum das Ergebnis von 16 Kooperationsprojekten, die er über ein Jahr lang mit meist sächsischen Manufakturen verfolgt hat. Weizenegger besuchte die Betriebe, recherchierte Materialien und Techniken, blümelte Seidenblumen und zeichnete Musterrapporte. „Ich habe mich in jede Firma reingedacht“, sagte er. So entstanden gemeinsam mit den Betrieben Entwürfe, die für die Ausstellung als Prototypen hergestellt wurden. Damit liefert er zugleich eine Bestandsaufnahme der Handwerkskultur der Region: Zu sehen sind natürlich Meissner Porzellan und Plauener Spitze, aber auch die namensgebenden Kunstblumen aus Sebnitz, Bett- und Tischwäsche aus dem Erzgebirge oder Holzmöbel aus Dresden.
Mut zum Experiment
Tapeten aus Berlin, Kristallglas aus dem Bayerischen Wald und Möbelstoffe aus dem benachbarten Oberfranken runden das Panorama traditioneller Produkte ab. In Kuratorin Tulga Beyerle hatte Weizenegger eine kundige Partnerin, war die Wienerin vor ihrem Umzug nach Dresden doch gemeinsam mit Lilli Hollein treibende Kraft hinter der Vienna Design Week, die örtliche Produzenten mit internationalen Gestaltern zusammenbringt. Beyerle erklärte, warum sich die Firmen auf solche Kooperationen einlassen: „Sie haben kein finanzielles Risiko, sie können experimenteller arbeiten, sich mehr trauen.“ Das Museum übernehme die Kosten der Entwicklung, die Firmen kämen ihnen dafür bei der Produktion entgegen. Manche Unternehmen hätten es auch als Leistungsschau gesehen: „Wir zeigen, was wir können.“
Szenografische Kabinette
Leicht hätte die Ausstellung allerdings zu einem sächsischen Souvenirladen geraten können – doch Weizenegger hat für die bewährten Materialien und Techniken jeweils einen eigenen, zeitgenössischen Ansatz gefunden. Plakativ wie beim Meissner Zwiebelmuster, das bei ihm zwar klassisch blau ist, aber aus Blumen aufgebaut. Oder subtiler wie bei den Seidenblumen, die Blütenstände aus 3D-gedrucktem Kunststoff schmücken, oder der Spitze, die sich als dreidimensionales, computergeneriertes Netz um eine Lichtquelle schlängelt. Zudem war Weizenegger so klug, mit dem Märchen vom Mädchen Lore und der falschen Blume eine Narration zu erfinden, die alle Exponate in einen größeren Kontext einbindet. Ergänzt von eigens entworfener Kleidung, einer Tanzperformance und einer Komposition für Geige und Klavier, hat das Projekt Gesamtkunstwerk-Anspruch. Und in der szenografischen Ausstellungsarchitektur im Wasserpalais kommt alles zusammen. Analog zu den Schauplätzen des Märchens gibt es mehrere Kabinette, in denen der Designer mit den Möbeln, Leuchten, Objekten, Stoffen und Tapeten Interieurs eingerichtet hat: die Werkstatt der Seidenblumenbinderinnen oder die Stube des Geldsacks, der den Frauen die Blumen abkauft.
Neues Selbstverständnis
Mit dieser Sommerschau bekräftigt das Museum sein Selbstverständnis, nicht nur Ort des Sammelns, Bewahrens und Ausstellens zu sein, und knüpft damit an seine eigene Geschichte an. „Das Dresdner Kunstgewerbemuseum wurde 1876 gegründet, um die Zusammenarbeit zwischen künstlerischer Gestaltung und gewerblicher Produktion zu fördern“, schreibt Tulga Beyerle in der Ausstellungs-Broschüre. Über die klassischen Aufgaben hinaus wolle man versuchen, „eine aktive Rolle in der Vermittlung und Initiierung von hochwertiger Gestaltung und Produktion“ einzunehmen. Einige der an Weizeneggers Projekt beteiligten Firmen hätten jedenfalls schon Interesse angemeldet, Entwürfe in Serie zu produzieren. Und so wird aus der falschen Blume vielleicht mehr als lediglich ein Designmärchen für einen Sommer.
Ausstellung
Die falsche Blume. Ein Designmärchen von Hermann August Weizenegger
Kunstgewerbemuseum in Schloss Pillnitz, Dresden
bis 13. September 2015
Außerdem zeigt das Kunstgewerbemuseum im Lipsius-Bau in der Dresdner Innenstadt noch bis zum 16. August 2015 die Ausstellung Die Teile des Ganzen. Geschichten aus der Sammlung des Kunstgewerbemuseums