Menschen

Kenneth Grange

Der britische Designer über gesellige Sofas, geschwätzige Banker und den Reiz der Einfachheit. 

von Norman Kietzmann, 09.09.2014

Kenneth Grange hat die Moderne nach Großbritannien gebracht. Designikonen sind dem 1929 geborenen Londoner wie am Fließband gelungen. Seine Kameras für Kodak waren die weltweit ersten Modelle aus Kunststoff. Auch andere Alltagsprodukte wie der Wilkinson Sword-Rasierer, die Schreibtischleuchte Type 3 von Anglepoise, Füllfederhalter von Parker oder die äußere Hülle des Zuges InterCity 125 hat der umtriebige Brite gestaltet, der heute am Londoner Royal College of Art unterrichtet. Ein Gespräch über gesellige Sofas, geschwätzige Banker und den Reiz der Einfachheit. 

Sir Grange, mit den Produkten, die Sie seit der Gründung ihres Designstudios 1958 entworfen haben, sind mehrere Generationen aufgewachsen. Auch heute, mit 85 Jahren, denken Sie noch lange nicht ans Aufhören. Was treibt Sie an?
In den letzten sechs Jahren habe ich zum ersten Mal in meinem Leben unterrichtet. Viele Designer nehmen gleich am Anfang ihrer Karriere eine Professur an, um ihre Brötchen zu verdienen. Doch ich habe das Glück, ich erst sehr spät zum Unterrichten zu kommen. Es fühlt sich gut an, mein Wissen und meine Erfahrungen aus all diesen Jahren an die nächste Generation weiterzugeben. Meine Frau denkt ja immer, dass ich bald aufhören werde. Doch ich kann nicht aufhören (lacht), weil ich liebe, was ich tue. Außerdem schwirren mir noch immer viele Ideen durch den Kopf. Ich denke, dass es keinen besseren Lebensabend gibt, als einfach weiter zu machen.

Ihr neuester Entwurf ist die Polsterkollektion April, die Sie zusammen mit dem jungen englischen Designer Jack Smith für den Möbelhersteller Modus entworfen haben. Was hat es damit auf sich?
Es ist sehr erfrischend, einen talentierten und hilfreichen Partner zu haben. Wir haben bereits bei anderen Produkten zusammengearbeitet. Doch es ist das erste Mal, dass wir diese Partnerschaft offiziell bekannt gegeben haben. Das Interessante war, auf diese Weise verschiedene Erfahrungen zu ein und demselben Problem einbringen zu können. Ich selbst bin immer ein wenig besessen von Komfort – ein Aspekt, der bei vielen heutigen Möbeln nicht unbedingt an vorderster Stelle steht. Genau das wollen wir nun ändern. Die Füllung des Sofas besteht aus einem Sandwich unterschiedlicher Schaumschichten. Fühlt es sich beim ersten Kontakt wie ein weiches Kopfkissen an, sorgen etwas festere Schichten im Inneren des Sofas für die nötige Stabilität. Schließlich ist es wichtig, dass man nicht nur gut darin sitzen, sondern ebenso leicht wieder aufstehen kann.

Ungewöhnlich ist die leicht konkave Krümmung der Sofas. Vor allem der Dreisitzer wirkt dadurch kommunikativer, weil man sich besser anschauen kann. 
Die Kurve gibt ein geselligeres und ungezwungeneres Gefühl als bei linear aufgebauten Sofas. Auch wirkt sie deutlich einladender. Es ist interessant, dass runde Formen bei Polstermöbeln in den vergangenen Jahren fast ausnahmslos verschwunden sind. Das Problem von eckigen Polsterprogrammen sind die Ecken, in denen niemand sitzen kann. Sie sind verlorener Raum. Im Grunde genommen sind diese Objekte keine Möbel, sondern ein Teil der Architektur. Ich bin da anderer Meinung. Nur weil die Raumfluchten linear verlaufen, müssen Möbel noch lange nicht eckig sein (lacht).

Das Design hat heute ganz andere Felder erobert als noch vor 50 Jahren – von limitierten Editionen bis hin zur Eigenproduktion. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?
Auch Versicherungsvertreter und Banker erzählen ja heute gerne, sie hätten etwas designt. Von meinem eigenen Hintergrund her müsste ich sagen, dass das nicht erlaubt ist. Aber es passiert eben (lacht). Auch mit anderen Begriffen sollte man behutsam umgehen. Wenn jemand einen Gegenstand entwirft und diesen Stuhl nennt, dann erzählt er den Leuten, dass dieser Gegenstand auch als Stuhl benutzt werden soll. Wenn aber niemand drauf sitzen kann, dann ist es eben kein Stuhl. Vielleicht bin ich an dieser Stelle etwas altmodisch. Dennoch hat diese Entwicklung auch etwas Gutes, weil das Bewusstsein für die Designprofession gewachsen ist.

Als Sie in den Sechzigerjahren Kameras für Kodak entwickelt haben, wurden die Modelle über vergleichsweise lange Zeiträume verkauft. Heute verkürzen sich die Produktzyklen vor allem im Consumer-Bereich auf nur noch wenige Monate. 
Das Design kann unter solchen Bedingungen natürlich nur oberflächlich sein. Eine weitere Tragödie ist, dass die Software-Designer in dieses Phänomen mit einbezogen werden. Mehr Komplexität hat noch nie einen Vorteil hinsichtlich der Funktionalität gebracht. Im Gegenteil: Umso mehr ein Produkt kann, umso schwieriger kann man damit umgehen. Heute ist es ja fast unmöglich geworden, etwas Einfaches zu kaufen. Doch ich bin recht optimistisch. Europa und nicht zuletzt England sind ein Anlaufpunkt für junge Designer aus der ganzen Welt geworden. Die Universitäten haben sich in unglaublich internationale Orte verwandelt, an denen die Studenten ihre kulturellen Erfahrungen einbringen. Ging man früher in ein Geschäft, konnte man sofort erkennen, welches Produkt aus Japan kommt. Ich denke, dass sich das nun ändert. Wir sind an einen Punkt gelangt, an dem sich die Produktkulturen vermischen und somit gegenseitig profitieren. Das ist eine gute Entwicklung. 
Sie haben zahlreiche Ikonen des Alltags entworfen, darunter das Äußere des InterCity 125. Was ist das für ein Gefühl, wenn Sie in einen dieser Züge steigen?
Wenn ich auf dem Bahnsteig stehe und der Zug einfährt, fühlt sich das natürlich sehr gut an. Aber ich bin mir gleichzeitig auch sehr bewusst, dass die Züge nie genug gewartet werden, ganz gleich ob in den Toiletten, in den Gepäckfächern oder bei den Sitzen. Ich war erst neulich bei einem Treffen mit dem Unternehmen, das die Züge besitzt. Es ist nicht zu verwechseln mit dem Unternehmen, das die Züge betreibt. Und kaufe ich mir eine Fahrkarte, dann tue ich das bei einem dritten Unternehmen. Das zeigt schon, wie weit sich die Zuständigkeiten verteilen. Das Unternehmen, dem die Züge gehören, will die Lebensspanne der Fahrzeuge natürlich so weit wie möglich verlängern. Unser Gespräch drehte sich darum, wie wir die Züge verbessern können. Dieses Update hätte eigentlich schon vor 30 Jahren passieren müssen. Doch weil der Betreiber den Markt beherrscht und die Kunden kaum Alternative haben, fuhren die Züge immer weiter. Ich denke, dass sie nun gezwungen werden, die Züge auf den aktuellen Stand zu bringen. Wenn das passiert, werde ich ein richtig glücklicher Mann sein (lacht).

Wie sollte ein Zug der Zukunft aussehen?
In England wird gerade eine große neue Bahnlinie gebaut, die von einem Ende des Landes zum anderen führt. Die Kosten liegen bei 40 bis 50 Milliarden Pfund. Eine riesige Summe. Eine Fünf-Stunden-Fahrt kann dann in vier Stunden absolviert werden. Das Problem ist nur: Die Planer reden allein von der Fahrzeitverkürzung, doch nie über die Qualitäten an Bord. Was bringt es, wenn ich eine Stunde schneller bin, aber dafür an Bord nicht richtig arbeiten kann? Züge sollten so gemacht sein, dass man sich in ihnen wohlfühlt und gerne Zeit verbringt. Vor allem der unterstützende Service wie ein gutes Restaurant oder Café können dazu einen immensen Beitrag leisten. Doch viele Planer betrachten das als unwichtig. Ich denke, dass sich diese Einstellung in Zukunft ändern wird und das Wohlbefinden an Bord zum entscheidenden Kriterium für die Verkehrsmittel von morgen werden wird.

Gibt es ein Produkt, dass Sie gerne noch entwerfen würden?
Ich bin im Moment sehr glücklich, kleine Dinge zu entwerfen und nicht mehr die großen. Als ich heute Morgen im Flugzeug saß, habe ich einen neuen Kleiderhaken gezeichnet (lacht). Es gibt wahrscheinlich kein einfacheres Ding als einen Haken. Dennoch ist es möglich, immer wieder etwas Neues zu machen. Die meisten Menschen suchen heute nicht mehr nach der kleinen Schlaufe an der Innenseite ihrer Mäntel und Jacken. Sie hängen die Kleidung als Ganzes auf. Die Funktionsweise eines Kleiderhakens kann auf diese Weise sogar das Verhalten der Öffentlichkeit widerspiegeln. Darum ist es spannend, selbst ein so kleines Objekt zu entwerfen. Sie sehen schon: Es will mir einfach nicht gelingen, aufzuhören (lacht).

Vielen Dank für das Gespräch.

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