Barcode in der Landschaft
Sauerbruch Hutton erweitert den Gira-Firmensitz in Radevormwald
Partner: Gira
Der Schalter- und Smart-Home-Hersteller Gira hat seinen Standort um ein neues Gebäude ergänzt. Entwicklung, Produktion, Lager und Versand werden in einem 30.000-Quadratmeter-Komplex gebündelt, der Flächen für zukünftige Erweiterungen bereithält. Sauerbruch Hutton hat dem Industriebau ein prägnantes Gewand verliehen.
Industriegebiete sind heute vor allem eines: eine Abfolge unscheinbarer Kisten, die wie zufällig in der Landschaft stehen. Die Bauten sind funktional, praktisch, aber gewiss keine erkennbare Visitenkarte. Der Schalter- und Gebäudetechnik-Hersteller Gira ist an dieser Stelle einen anderen Weg gegangen. Nur wenige hundert Meter vom historischen Firmensitz im nordrhein-westfälischen Radevormwald ist ein Neubau in einem Industriegebiet entstanden. Sowohl durch seine Kubatur als auch durch seine Fassadengestaltung tanzt der Entwurf von Sauerbruch Hutton aus der Reihe der 0815-Industriebauten heraus.
Bündelung der Prozesse
Den Impuls zum Neubau gab die Bündelung von Aktivitäten. Zuvor hatte das Unternehmen mehrere externe Hallen für Fertigung und Logistik angemietet, was „nicht zu idealen Prozessen“ und zu einer „sehr aufwändigen internen Logistik“ geführt habe, so Dirk Giersiepen, bis Juli 2022 geschäftsführender Gesellschafter von Gira. Im neuen Haus wird der gesamte Produktionskreislauf an einem Ort zusammengeführt und durch die Verkürzung der Wege effizienter organisiert: von der Entwicklungsabteilung über die Fertigung und Logistik (einschließlich eines Hochregallagers) bis zum Versand. 550 Mitarbeiter*innen sind in dem 30.640 Quadratmeter großen Neubau tätig.
Rhythmische Sprünge
Die einzelnen Arbeitsschritte sind auf vier Baukörper verteilt, die sich in Länge, Breite und Höhe voneinander unterscheiden. Allerdings bilden sie keine Solitäre. Um das Grundstück besser auszunutzen, rücken die Volumina direkt aneinander und werden über einen zentralen Korridor erschlossen. Die Entwicklungsabteilung ist aus Gründen der Platzoptimierung auf das Dach der Produktionshalle gestapelt worden.
So konnte rund ein Drittel des Grundstücks für zukünftige Erweiterungen freigehalten werden – ein Umstand, der nicht nur für die flächenmäßig am größten dimensionierte Produktionsabteilung gilt. „Hinzu kam die Forderung nach einer unabhängigen Erweiterbarkeit aller Einzelelemente des eng vernetzten Komplexes, sodass dessen Kapazitäten bei Bedarf insgesamt auf bis zu 50.000 Quadratmeter ausgebaut werden können“, erklärt Architekt Matthias Sauerbruch. Auch für die Bereiche Entwicklung, Logistik und Versand sind Freiflächen für künftige Anbauten einkalkuliert worden.
Komplexe Geometrie
Die Konsequenz daraus ist ein wohltuendes Ausbrechen aus der strengen Ordnung. Die einzelnen Baukörper springen vor und zurück. Sie variieren ebenso in ihrer Höhe. Und doch entsteht kein visuelles Chaos. Der Grund dafür liegt in der Fassadengestaltung mit vorgehängten und hinterlüfteten Metallkassetten. Die vertikalen Segmente definieren ein abstraktes Muster aus vertikalen Strichen, die Assoziationen an Barcodes erwecken. Louisa Hutton und Matthias Sauerbruch haben die sonst zur Signatur ihres Berliner Büros gewordenen Farben zur Seite gelegt und allein mit Graunuancen gearbeitet: ein Bezug zum Sortiment von Gira, das neben Schaltern auch Haustechnik umfasst. Die gibt es zwar in zahlreichen Farben. Doch der Großteil der Angebots wird in Schwarz, Weiß, Grau oder kühlen Metalltönen geordert.
Die vertikalen Balken gliedern die verschiedenen Baukörper in dunkle Sockelzonen sowie helle Aufbauten. Dabei werden die Höhensprünge der einzelnen Volumina auf spielerische Weise aufgegriffen und weitergeführt, sodass kein Eindruck von Monotonie entsteht. Das Barcode-Raster erlaubt auch die schlüssige Integration der Fenster für die Büros der Entwicklungsabteilung sowie der Fertigung. So entsteht kein visueller Bruch gegenüber geschlossenen Baukörpern wie dem Hochregallager oder dem Logistikkomplex, an den die Lkws andocken. Die einzelnen Bausegmente werden durch das vertikale Strichraster zusammengehalten und sind doch eigenständig lesbar.
Höfe als Lichtfänger
Die Innenräume werden durch Oberlichter mit viel Tageslicht versorgt. Im Bereich der Produktionsanlagen erforderte dies ein gewisses Fingerspitzengefühl bei der Planung, da schließlich die Büros der Entwicklungsabteilungen auf dem Dach platziert sind. Die Lösung bestand in einer „Stanzung“ der oberen Gebäudeebene: Sie wird von einem Raster aus Innenhöfen durchbrochen, die die Sonnenstrahlen ungehindert durch die in ihrer Mitte platzierten Oberlichter wandern lassen. Die Hallen verfügen über offene Grundrisse, die eine flexible Nutzung und Anpassung der Produktionsprozesse zulassen.
„Für die nächsten 15 Prozent Wachstum müssen wir nicht bauen oder anmieten. Für die internationale Wettbewerbs- und Zukunftsfähigkeit ist dieses Projekt ein wichtiger Meilenstein“, sagt Dirk Giersiepen. Und sollte tatsächlich ein Anbau nötig sein, können die metallenen Fassadensegmente einfach abgenommen und an anderer Stelle neu montiert werden. Der Ansatz ist organisch. Industriearchitektur wird nicht als fertig betrachtet. Sie beschreibt den Momentzustand eines Prozesses ständiger Veränderung. Der Barcode-Bau von Radevormwald ist für künftige Verwandlungen bereit.
Bauherr: | Gira Giersiepen GmbH & Co KG |
Typologie | Industrie, Logistik, Büro |
Standort | Radevormwald, Deutschland |
Entwurf | Sauerbruch Hutton |
Bruttogeschossfläche | 30.640 Quadratmeter |
Bauzeit | 2014-2019 |
Projektteam | Jürgen Bartenschlag Thomas Braun Katja Correll Margarita De San Valentin Viton Ramiro Forné Falco Herrmann Philipp Hesse Wilhelm Jouaux Mareike Lamm Erik Levander Jörg Maier Isabelle McKinnon Konrad Opitz Amaia Sanchez Velasco Markus Weber Juan Lucas Young |
Gira
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