Design à la campagne
Erwan Bouroullecs Bauernhaus im Burgund

Immer mehr Menschen zieht es zum Arbeiten aufs Land. Erwan Bouroullec ist einer von ihnen. In einem Dorf im Burgund hat er mit Unterstützung des Architekturbüros LVA einen alten Bauernhof in seinen „happy place“ verwandelt.
Wenn Kreative – Designer*innen, Architekt*innen und Künstler*innen – erklären, dass sie Inspiration in alltäglichen Beobachtungen finden oder Stimmungen und Atmosphären aus ihrer unmittelbaren Umgebung reflektieren, dann wirkt sich ihr Arbeitsort auf ihre Werke aus. Erwan Bouroullec ist bereits seit einem Vierteljahrhundert als Produktdesigner tätig und hat lange ein gemeinsames Studio mit seinem Bruder Ronan in Paris geführt. Er zählt zu den einflussreichsten Gestaltern seiner Generation. Immer wieder behandelt er in seinen Arbeiten die Verbindung von Natur und Design, arbeitet als Materialforscher, Maler oder Bildhauer.
Vor Kurzem hat Erwan Bouroullec eine Parallelresidenz zu seinem Zuhause in der französischen Hauptstadt gegründet und ist temporär samt Familie und Werkstatt ins Burgund gezogen. Es ist eine Rückkehr zu den eigenen Wurzeln, denn er wuchs auf dem Land auf – und zwar in der Bretagne. „Ein großer Teil meiner Designpraxis war von der Natur und der landwirtschaftlichen Umgebung geprägt, in der ich lebte, bis ich 20 Jahre alt war“, erzählt der französische Gestalter.
Tradition ja, aber kein Traditionalismus
„Baufällig“ ist noch eine charmante Umschreibung für den Zustand des Gebäudes, das Erwan Bouroullec erwarb. „Malerisch“ eine untertriebene Charakterisierung für die von sanften Hügeln, historischen Dörfern und satten Weiden geprägte Landschaft, in der La Grange, das Landhaus, steht. Zum ursprünglichen Ensemble gehörten ein Wohnhaus, aber auch Stallungen, Scheunen und Lager. Aus einer alten Scheune wurde ein Atelier, im Heuschober wird heute geschlafen und das einstige Maissilo ist nun ein Outdoor-Pool.
Bei der Renovierung und Planung unterstützte den Designer das Architekt*innen-Team von LVA aus Paris, mit dessen Mitgründerin Charlotte Vuarnesson Erwan Bouroullec schon lange befreundet ist. Sie war die ideale Komplizin, um mit viel Respekt und Wohlwollen den Bestand zu bewahren und die Spuren der Vergangenheit zu erhalten, ohne dabei in eine historisierende Architektursprache abzugleiten. „Wir waren intuitiv einer Meinung über eine Ethik der Herstellung. Wir wollten, dass alle zeitgenössischen Eingriffe klar erkennbar und bewusst gestaltet sind“, beschreibt Erwan Bouroullec die Zusammenarbeit. Ziel war eine pure und radikale Ästhetik, die sich zeitgenössisch und ökologisch, bescheiden und effizient in die umgebende Natur einfügt und kommende Veränderungen mitdenkt.
Formgestaltung nah an der Natur
Das Rustikale, das Archaische interessiert Erwan Bouroullec. Es passt zu seiner gestalterischen Haltung. Sein Projekt Man Made, bei dem aus krummen Ästen und Holzplatten Regale und Hocker werden, wurde auf dem Land entwickelt. „Als Kind auf dem Land wurde vieles nach einfachen Bedürfnissen und mit den verfügbaren Ressourcen vor Ort gemacht. Und meistens war es geprägt von der Idee der reinen Praktikabilität”, erzählt der Designer.Ähnlich arbeitet er heute in den Werkstätten in La Grange und lädt immer wieder Gäste ein: von seinem Team über Kund*innen bis hin zu Student*innen. In kollaborativer Arbeit können gemeinsame Designvisionen realisiert werden, vorzugsweise mit lokalen Ressourcen, limitiertem Werkzeug, aber viel Spielraum und Fantasie. Diese Herangehensweise ist auch eine Essenz des Landlebens, wo traditionell zwischen Maschinen, Werkzeugen und Hofgebäude eine klare und funktionale Designlogik herrscht.
Sensibel bis ins Detail
Auf dem Weg zum Lebens- und Arbeitscampus wurden die Bestandsgebäude, allen voran das alte Wohnhaus mit seinem angrenzenden Stall, bis auf die Grundmauern rückgebaut. Dächer, Türen, Fenster – alles musste neu eingepasst und auf den Ort und seinen Charakter abgestimmt werden. „Es war notwendig, das Gebäude freizulegen, um es weiterzuentwickeln. Wir haben uns die Zeit genommen, jede Frage sorgfältig zu betrachten“, resümiert Charlotte Vuarnesson.
Die Architektin und der Bauherr legten einen Fahrplan mit fünfzehn Parametern fest, die einen Rahmen für Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Landhauses schafften. Dazu gehörten Punkte wie der Respekt vor der Geschichte und vor dem Ort, der transformiert , jedoch nicht verfälscht werden sollte. Außerdem wollten sie sicherstellen, dass sich das Ensemble stetig weiterentwickeln kann. Fenster und Türen wurden so platziert, dass die Luft natürlich zirkuliert. Rückgebaute Materialien, wie Terrakottafliesen, Dachbalken und Findlinge, wurden zu Fensterbänken, Stürzen oder Sitztreppen.
Offenes Layout, offene Zukunft
La Grange ist ein dynamischer Ort mit großen, offenen Räumen, der die Grenzen zwischen Wohnen, Arbeiten und Freizeit auflöst. Die Wohnküche wird dabei zum Herzstück des Hauses zwischen den privaten Bereichen und dem Atelier in der Scheune. Alle Räume haben eine Öffnung zum Garten oder zur Terrasse, sodass die Natur des Burgunds immer nur wenige Schritte entfernt liegt. Von einem Schlussstrich unter den Modernisierungsarbeiten ist man aber noch weit entfernt. „Das Projekt geht weiter. Die Renovierung der Gebäude war nur der erste Schritt eines übergeordneten, noch andauernden Projekts“, erklärt Charlotte Vuarnesson. Die nächste Renovierungsaufgabe liegt auch schon auf dem Tisch: ein ehemaliger Taubenschlag mit funktionaler Architektur und einem mit flachen Schiefersteinen eingedeckten Dach.
FOTOGRAFIE Philippe Thibault, Charles Petillon
Philippe Thibault, Charles Petillon
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