Neu aufgegleist
Umnutzung eines Ringlokschuppens in Osnabrück von Kresings

Der historische Ringlokschuppen in Osnabrück ist ein bedeutendes Denkmal der Dampflok-Ära. Dennoch stand er jahrzehntelang leer und verfiel langsam. Nun hat das Architekturbüro Kresings den Lokschuppen behutsam, aber tiefgreifend umgebaut. Zukünftig wird im neuen Coppenrath Innovation Centre für das KI-Zeitalter geforscht.
In Osnabrück treffen zwei wichtige Bahnlinien aufeinander. Die eine verläuft von Norden nach Süden und verbindet das Ruhrgebiet mit Hamburg und Bremen. Die andere führt von Amsterdam nach Hannover und Berlin in West-Ost-Richtung. Wegen dieser Funktion als Knotenpunkt entstanden während der Kaiserzeit in Osnabrück gleich mehrere Betriebswerke: große Instandhaltungseinrichtungen für Lokomotiven. Direkt hinter dem Hauptbahnhof baute die Preußische Staatsbahngesellschaft im Jahr 1913 einen Lokschuppen für nicht weniger als 34 Lokomotiven.
Ovale Gebäudeform
Die typische Bauweise für solche „Lokomotivgaragen“ war die als sogenannter Ringlokschuppen. Dabei wurden die einzelnen Unterstände radial um eine Drehscheibe angeordnet, auf der die Lok in die richtige Position „zum Einparken“ gedreht wurde. 34 Lokremisen konnten jedoch nicht um eine einzige Drehscheibe gruppiert werden, weswegen in Osnabrück eine seltene Doppeldrehscheibe zum Einsatz kam: Die Lokstellplätze waren um zwei nebeneinanderliegende Drehscheiben angeordnet. Dadurch ergab sich, anders als bei Ringlokschuppen üblich, nicht eine runde, sondern eine ovale Form der Gesamtanlage.
Denkmalgeschützter Lokschuppen
Der gewaltige Lokschuppen bildete für Jahrzehnte das Herzstück einer regelrechten „Lokstadt“ – einer Art Exklave, die kaum ein „Nicht-Bahner“ kannte. Mit dem Ende des Dampflokzeitalters kam jedoch auch das schleichende Ende des Betriebswerks. 1990 wurde es schließlich ganz stillgelegt. Während die anderen Anlagen zum Eisenbahnunterhalt in der „Lokstadt“ nach und nach verschwanden, wurde der außergewöhnliche Lokschuppen unter Denkmalschutz gestellt und blieb erhalten. Eine neue Nutzungsmöglichkeit fand sich aber lange Zeit nicht. Mit dem Abzug der britischen Rheinarmee waren der Stadt nach der Wiedervereinigung große Konversionsflächen zugefallen, auf denen in der Folge sowohl Wohnungsbau als auch die Erweiterung der Osnabrücker Hochschulen möglich wurde. Der Bedarf an zentrumsnahen Stadtentwicklungsflächen war dadurch lange Zeit gedeckt.
Ein neues Stadtviertel
Erst 2021 bot sich für den Lokschuppen eine neue Perspektive. Die Aloys und Brigitte Coppenrath-Stiftung hatte zuvor das 22 Hektar große ehemalige Bahngelände erworben. Die Stiftung plant, auf der Fläche des stillgelegten Bahnbetriebswerks in den kommenden Jahren gemeinsam mit der Kommune ein neues nachhaltiges Stadtviertel, die „Lokstadt“, zu realisieren. Dort soll zukünftig ein Mix aus Wohnen, Gewerbe und öffentlichen Nutzungen entstehen. Der ehemalige Lokschuppen soll als Standort des CIC – Coppenrath Innovation Centre einen wesentlichen Teil der gewerblichen Nutzungen aufnehmen. Dafür wurde das Denkmal zwischen 2021 und 2024 von Grund auf renoviert und an die neuen Aufgaben angepasst. Kresings Architektur aus Münster zeichnet dabei für Entwurf und Umsetzung verantwortlich. Das ambitionierte Projekt, bei dem die Nachhaltigkeit im Fokus stand, wurde inzwischen vielfach ausgezeichnet.
Erhalt der historischen Bausubstanz
Die Leitidee des Entwurfs von Kresings besteht darin, die historischen Lokstände in ihrer Struktur weitgehend unangetastet zu lassen und die für das Innovation Centre notwendigen Räumlichkeiten als hölzerne Kuben in den alten Lokschuppen hineinzustellen. Diese in Massivholz ausgeführten, zweistöckigen Einbauten nehmen nun die ehemaligen Standplätze der Lokomotiven ein. Sie halten respektvoll Abstand zu dem als Betonkonstruktion ausgeführten Bestand und vermitteln deutlich den Eindruck des Nachträglichen, Hinzugefügten. So konnte der imposante Raumeindruck, der durch die acht Meter hohen Decken, die Oberlichtfenster und den „Wald“ aus Betonstützen entsteht, bewahrt werden. Der Ursprung des Gebäudes als Eisenbahnbau vermittelt sich weiterhin und verleiht den neuen Büro- und Gewerbeflächen einen unverwechselbaren Charakter.
Die beiden radial um die Drehscheiben gruppierten Baukörper des Lokschuppens wurden von Beginn an durch einen rechteckigen, dreistöckigen Gebäudeteil verbunden. Diesen Mittelteil hat das Münsteraner Architekturbüro in ein Auditorium umgewandelt, das auch als Veranstaltungsfläche dient und das bis zu 400 Personen Platz bietet. Überfangen wird dieser Saal von einem durch hohe Pfeiler getragenen, offenen Betondachstuhl – „kathedralartig“ nennt es das Architekturbüro.
Ressourcenschonende Heizung
Das energetische Konzept des renovierten Lokschuppens profitiert von der Mehrhüllenlösung, sodass die historische Bausubstanz nur bedingt thermisch ertüchtigt werden musste. Die historischen Fenster wurden mit Zwei- und Dreifachverglasungen hinterfangen. Um im Sommer das Gebäude nachts abzukühlen und die gesamte Fläche querzulüften, können die ehemaligen Toröffnungen und Oberlichtfenster genutzt werden. Die alten Wartungsgänge im Boden dienen als Luftkanäle. Die historische Betonkonstruktion des Lokschuppens wird zudem als Wärme- beziehungsweise Kältespeicher aktiviert. Ein Wärmepumpensystem dient als ressourcenschonende Heizungsanlage.
Blick in die Zukunft
Als Ankermieter des Coppenrath Innovation Centre stand bereits zu einem frühen Zeitpunkt das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) fest. Es forscht im alten Lokschuppen an KI-gestützter Agrarrobotik für Erntemaschinen und soll zukünftig gemeinsam mit weiteren Institutionen und Unternehmen ein „Agrotech Valley“ in Osnabrück formen.
FOTOGRAFIE Nils Koenning und HG Esch
Nils Koenning und HG Esch
Bauherr/in: | Ringlokschuppen Osnabrück GmbH |
Fertigstellung: | 03/2024 |
Tragwerksplanung: | Ing. Büro Fleddermann GmbH, Osnabrück |
Technische Gebäudeausrüstung: | O&P Projektingenieure GmbH, Ibbenbüren |
Bauphysik: | Hansen+Partner Ingenieure GmbH, Wuppertal |
Energetik: | Transsolar Energietechnik GmbH, Stuttgart |
Brandschutz: | BKK Brechler.Kiküm.Klein GmbH, Warendorf |
Freianlagen: | MDL Müller Dams Landschaften, Osnabrück |
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