Eklektisch baden gehen
Das Apartmenthotel Nadler Hof auf Usedom
Auf Usedom sprang schon der Kaiser ins Meer. Die Berliner tun es sowieso. Und langsam rückt die Ostseeinsel auch aus Designsicht in den Fokus. Ein neoklassizistischer Apartmentbau sucht die stilistische Nähe zu Dänemark.
Es war ein Wettlauf mit der Zeit. 1824 eröffnete Swinemünde die Badesaison auf Usedom, ein Jahr später folgte das nur wenige Kilometer entfernte Heringsdorf. Mittendrin: ein kleiner, beschaulicher Ort namens Ahlbeck, der 1852 die Lizenz zur Beherbergung von Kurgästen erhielt. Die Verspätung war kein wirklicher Nachteil. Denn vor allem hier sollten die Berliner in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine Fülle an eindrucksvollen Villen errichten, die nicht immer einem verbindlichen Stil, doch dafür dem Geschmack ihrer jeweiligen Bauherren folgten. Das Eklektische war Programm. Und doch gab es subtile Hierarchien in der Auswahl der Referenzen.
Wilde Mixtur
Die einen beschwörten toskanische Renaissance-Villen und -Paläste herauf. Auch neobarocke Eingebungen fanden sich hier, ebenso wie der Jugendstil. Und doch: Wer eine tatsächliche Beziehung zum Ort suchte, war mit dem Klassizismus auf der richtigen Referenzseite. Der Grund: Als erstes Seebad an der Ostsee gilt Heiligendamm unweit von Rostock. Hier plante der von Schinkel beeinflusste Architekt Carl Theodor von Severin das 1817 fertig gestellte Kurhaus sowie zahlreiche weitere Bauten im nahe gelegenen Bad Doberan. Er lieferte damit die Blaupausen für die Bäderarchitektur, die sich bald entlang der Küste bis nach Königsberg erstreckte und vor allem auf Usedom zu besonderen Blüten heranwuchs.
Bis zum Nadler Hof sind es keine zwei Minuten Fußweg von der 1898 erbauten Seebrücke aus Holz – die 280 Meter ins Meer hineinreicht und im Loriot-Film Pappa Ante Portas als Kulisse diente. Der um 1900 errichtete Bau dient seit den Zwanzigerjahren als Hotel, das zuletzt unter dem Namen Villa Waltraut geführt wurde. 2017 bis 2018 ist das neoklassizistische Gebäude grundlegend saniert und in zehn Ferienwohnungen umgebaut worden, deren Größe zwischen 41 und 97 Quadratmetern variiert. Der Zeitpunkt des Umbaus führt zu einer stilistischen Sonderstellung. Viele Hotels auf Usedom haben direkt nach der Wende neue Inneneinrichtungen erhalten, die mit Buchenholzmöbeln und Teppichen in Primärfarben für einen etwas verblichenen rustikalen Charme sorgen. Davon ist hier nichts zu spüren.
Möbliertes Zeitreisen
Das Interieur setzt auf Moderne. Nicht mit Repliken, sondern mit ausgesuchten Vintage-Stücken, die auf den ersten Blick dänisch anmuten, jedoch vor allem lokal gefunden wurden: filigrane Leuchten, zurückhaltende Farben. Die Möbel balancieren auf leichten Füßen über dem Boden. Sie scheinen regelrecht zu schweben und geben den Räumen eine leichte, lockere Note. Die pastellenen Farben der Sitzmöbel werden von den Postern an den Wänden aufgegriffen, die auf die Olympischen Spiele 1972 in München verweisen.
Für einen eleganten Auftritt sorgt das restaurierte Parkett, das mit den Vintage-Stücken harmoniert und die Grandezza der Entstehungszeit des Baus heraufbeschwört, als Usedom nicht nur als Badewanne der Berliner galt, sondern ebenso als Hotspot des europäischen Hochadels. Kaiser Wilhelm II. pflegte den Seebädern Ahlbeck, Heringsdorf und Bansin regelmäßige Besuche abzustatten, was ihnen den Namen Kaiserbäder einbrachte. Der Nadler Hof ist dennoch nicht nostalgisch, sondern ganz im Hier und Jetzt verhaftet: Mit einer Mixtur aus neuen und alten Stücken verbreitet er einen gelebten, geerdeten Eindruck. Alle Wohnungen sind mit einer Küche ausgestattet, wenngleich natürlich unzählige Restaurants in Laufweite legen. Heute wie schon zu Kaisers Zeiten.
Usedom
Die Seebäder Ahlbeck, Heringsdorf und Bansin liegen in Laufweite voneinander entfernt. Man kann am Strand spazieren und sich an den jeweiligen Seepromenaden in ein Café setzen. Alle drei Orte verfügen über eine Seebrücke, wobei allein die in Ahlbeck historisch und mit ihren vier Ecktürmen zudem baulich am Interessantesten ist. Von dort sind es nur wenige hundert Meter bis zur polnischen Grenze. Dieser Aspekt fällt heute gar nicht mehr auf. Doch vor 1990 war die Grenze von der DDR zum Bruderland streng bewacht. Wer abends in Ahlbeck am Strand entlang ging, wurde immer wieder von großen Scheinwerferkegel erfasst, die über den Strand und das Meer wanderten. Ein schaurig schöner Nervenkitzel, vor allem wenn der Scheinwerfer für einen kurzen Moment auf einen selbst fixiert blieb und man förmlich die Gedanken der Grenzer im Turm lesen konnte: Wer sind die? Was machen die hier? Suspekt oder nicht? Dann zog der Scheinwerfer weiter – und man konnte beruhigt weitergehen. Natürlich ist im Sommer Hauptsaison. Doch die Region ist auch dann einen Besuch wert, wenn die Temperaturen unter null Grad sinken und das Meer gefriert: nicht als eine plane Fläche, sondern in Form von Schollen, die sich chaotisch übereinander schieben – genau wie es Caspar David Friedrich einst gemalt hat. Von der Seebrücke in Ahlbeck hat man den besten Blick auf das Naturschauspiel.
FOTOGRAFIE Sebastian Treytnar
Sebastian Treytnar