Disko unterm Fresko
Umbau einer Villa am Comer See durch J. Mayer H.
Eine Villa aus dem 18. Jahrhundert haben J. Mayer H. Architekten aus dem Dornröschenschlaf befreit. Die Innenräume intensivieren mit ihrer monochromen Farbigkeit die Wirkung des Comer Sees, der direkt von den Fenstern liegt. Möbelklassiker der Moderne treffen auf aktuelle Entwürfe. Der Pool wird von einer schwebenden Steinkante eingefasst. Hinzu kommt ein Hauch von Studio 54.
Der Comer See ist mehr als ein gewöhnliches Ausflugsziel am Fuße der Alpen. Er ist Inbegriff des Dolce Vita. Der Bond-Film Casino Royal wurde dort ebenso gedreht wie House of Gucci. Doch so altehrwürdig viele Häuser nach außen erscheinen, darf hinter den Kulissen eine Infusion von zeitgenössischem Design nicht fehlen. Jüngster Zugang: eine Villa aus dem 18. Jahrhundert, die J. Mayer H. Architekten aus Berlin mit dezentem Disko-Vibe ins Hier und Jetzt transferierten.
Es war der zweite Umbau in nur fünf Jahren. Über Jahrhunderte blieb das Haus unberührt, bis es 2019 auf überaus konventionelle Weise renoviert wurde. Danach kam die Villa auf den Markt und wurde von ihren heutigen Besitzer*innen erworben. Sie sahen das Potenzial dieses Ortes. Doch es war klar, dass das Gebäude so nicht bleiben konnte. Schließlich liegt der Charme des Comer Sees im Spiel des Lichts. Das Wasser wechselt seine Farben im Laufe eines Tages immer wieder und überträgt die Reflexionen der Sonnenstrahlen in die Zimmer der ufernahen Häuser.
Hell-Dunkel-Kontrast
„Alle vorgefundenen Oberflächen, Einbaumöbel und funktionalen Objekte wurden erhalten und durch einen monochromen Anstrich je Raum zu einer Einheit zusammengefasst. Durch den glänzenden Lack werden Unebenheiten und Gebrauchsspuren deutlich hervorgehoben, wodurch viele Zeitschichten sichtbar werden“, erklärt das Berliner Büro. Die zum See ausgerichteten Räume sind in hellen Farbtönen gehalten. Die Wände sollen das Sonnenlicht auffangen, während sich an den Decken die tänzelnden Spiegelungen des Wassers abzeichnen. Ganz anders die vom See abgewandten Räume. Sie sind in dunkleren Blau- und Brauntönen gehalten, um auch bei starker Sommersonne beruhigende Rückzugsorte zu schaffen.
Kolorit der Sonne
Die monochrome Farbigkeit verwandelt die einzelnen Räume in Bühnen. Auf ihnen kommen die Akteure des Hauses zur Geltung: Möbel- und Leuchtenklassiker gemischt mit zeitgenössischen Arbeiten. In leichtem Abstand vor den Wänden steht das Paustian Modular Sofa, ein Entwurf von Erik Rasmussen für den dänischen Polstermöbelhersteller Paustian aus dem Jahr 1969. Der Bezug nimmt denselben leuchtenden Gelbton auf wie die gepolsterten Sitzflächen und Rücken mehrerer Fauteuils Direction von Jean Prouvé (1951, produziert von Vitra), die den runden Esstisch umringen.
Direkt daneben geleiten gelb eingerahmte Fenstertüren hinaus auf eine kleine Terrasse am See. Sie ist mit zwei Sesseln und einem Sofa aus der Kollektion Roly Poly von Faye Toogood für Driade mit gelben Polstereinlagen ausgestattet. Der farbliche Gleichklang wird von einem Flag Halyard Chair unterbrochen, den Hans J. Wegner 1950 für PP Møbler entwarf. Sitzfläche und Rücken sind mit 240 Metern dezent-beiger Flaggenleine bespannt, auf denen ein langhaariges Schafsfell ruht. Die prismatische Faltung des Möbelstücks erweckt den Eindruck eines miniaturisierten Raumschiffs, das jeden Moment zum Abflug bereit ist.
Schlängelndes Sitzen
Ursprünglich waren alle Räume der Wohnetage mit Deckenfresken ausgestattet. Von denen ist nur ein einziges im ovalen Kaminzimmer erhalten geblieben. Die Wände sind dort in einem dunklen, rotstichigen Braunton gehalten, der Assoziationen an feinste Zartbitterschokolade erweckt. Die opulente Deckenmalerei wird durch mehrere Wandstrahler verstärkt. Auf dem Marmormosaikboden haben Jürgen Mayer H. und sein Team die Sitzschlange DS-600 von de Sede in schwarzem Leder platziert. Der Entwurf von U. Berger, E. Peduzzi Riva, H. Ulrich und K. Vogt aus dem Jahr 1972 stand schon im New Yorker Studio 54. Die einzelnen Segmente können zueinander leicht verdreht werden, sodass sich schlängelnde Konfigurationen ergeben. Das Möbel greift auf diese Weise die ovale Krümmung des Raums auf – und kontrastiert das Deckenmotiv auf Wolken sitzender, musizierender Frauenfiguren mit einer charmanten Prise Disko-Fieber.
Gemaltes Echo
Als Reminiszenz an das Fresko im Kaminzimmer gestaltete der Pariser Maler Matthieu Cossé die gewölbten Decken der beiden quadratischen Eckräume, die links und rechts an das Wohnzimmer anschließen: das Arbeitszimmer und das Esszimmer. Nicht nur die Position der beiden Räume ist gespiegelt, sondern auch die Farbigkeit. Im Arbeitszimmer heben sich die gelben Pinselstriche von einem zwischen Bordeaux, Pflaumenmarmelade und Rhabarber changierenden Untergrund ab. In der Küche ist es genau umgekehrt. Doch es sind keineswegs allein die Innenräume, die eine Veränderung erfahren haben. Die Fensterländen wurden in denselben, pastellenen Türkiston getaucht, der auch für die Sonnenschirme der großen Seeterrasse Verwendung findet.
Schwebende Poolkante
Die Tonalität korrespondiert mit der Innenverkleidung des Pools. Hierbei fiel die Wahl auf einen grünlichen Stein aus der Region, dessen Wirkung durch einfallendes Sonnenlicht verstärkt wird. Auch die Einfassung des Schwimmbeckens wurde überarbeitet. Ein steinernes Band mit abgerundeten Ecken schiebt sich über die Wasseroberfläche hinweg und ist breit genug, um an jeder Position bequem sitzen zu können. In der vorhandenen Grotte wurden Duschen und Umkleiden integriert. Davor haben die Architekt*innen ein Wasserbecken mit Springbrunnen, Seerosen und Fischen angelegt. Im ehemaligen Eiskeller befindet sich nun eine maßgefertigte Gartenküche aus Edelstahl, die in Zusammenarbeit mit dem Berliner Designbüro Ertl und Zull entstanden ist. Die Bootsgarage wurde um einen neuen Steg ergänzt, der das Anlegen größerer Boote ermöglicht. Die Villa verbindet sich dadurch noch stärker mit dem See.
FOTOGRAFIE David Franck David Franck
Projekt | Haus am Comer See |
Ort | Comer See, Italien |
Bauherrschaft | Privat |
Entwurf | J. Mayer H |
Team J. MAYER H | Hans Schneider, Jürgen Mayer H., Max Margorskyi |
Architekt vor Ort | Federico Bianchi, Studio di architettura Fabio Bianchi, Como |
Ausführende Baufirma | Petazzi Costruzioni SRL |
Fertigstellung | 2024 |