3 Days of Design 2020
Neuheiten aus Kopenhagen

Die Dänen haben die wichtigste Designveranstaltung des Landes knallhart durchgezogen, Corona hin oder her. Bei schönstem Spätsommerwetter flanierte man durch Showrooms, Studios und Werkstätten. Unser Fazit: Ohne Holz, Hygge und Designklassiker geht im Norden nichts. Plus: eine Bilderstrecke mit 61 Fotos.
Anfang September gab es endlich mal wieder eine Designveranstaltung, die stattgefunden hat. Und zwar nicht digital, sondern in Kopenhagen. Schon allein deshalb war die Laune ziemlich gut in der dänischen Metropole. Und was gab es nicht alles zu entdecken: Metalleimer-Hersteller, die jetzt auch Holzmöbel machen (Vipp), kunstvolle Hängematten in Feinstrick (Kvadrat), Tiny Houses mit leuchtenden Designklassikern (Lyfa), eine Enkelin von Børge Mogensen, die sich an das Erbe ihres Großvaters wagt (FDB Møbler), und japanisches Handwerk, das sich zwischen die Dänen mischt (Karimoku Kunst). Von spektakulärer Architektur (The Silo von Cobe, Müllverbrennungsanlage mit Skipiste von BIG), New Nordic Cuisine und Hipster-Kaffeeröstereien einmal ganz abgesehen.
Eine dänische Sache
Die Designveranstaltung 3 Days of Design findet seit 2013 in Kopenhagen statt – ganz ohne flankierende Messe, wie es bei den Design Weeks in Stockholm und Helsinki der Fall ist. Kommerzieller und weniger charmant als bei den nordischen Nachbarn besteht das Programm von 3 Days of Design vor allem aus mehr oder weniger spektakulären Präsentationen in den Showrooms der Hersteller. Unabhängige Veranstaltungen wie Ausstellungen und Talks gibt es nicht. Wegen der Corona-Situation und der damit einhergehenden Absage von wichtigen Messen wie Salone del Mobile und Light + Building nutzten viele Unternehmen die Veranstaltung, um ihre Neuheiten vorzustellen – Möbel, Leuchten, Textilien und Accessoires. Und zwar vor allem dänische Hersteller, darunter bekannte Namen wie Fritz Hansen, Menu, Gubi, Hay, Louis Poulsen und Stelton. Es waren aber die kleineren Unternehmen, die gestalterisch für Überraschungen sorgten und sich wegbewegen von einem, zugegebenermaßen schönen, aber oft glattgebügelten Scandi-Look-Hygge-Allerlei, bei dem die Entwürfe kaum noch voneinander unterscheidbar sind.
Designentwürfe aus dem Hinterhof
Dort, wo es in Kopenhagen interessant wurde, waren meist wenig bekannte Hersteller, Manufakturen und Studios im Spiel. Mit einem Schlauchboot auf Islands Brygge angelandet, versteckt sich in der Sturlasgade 14 in einem unscheinbaren Hinterhof das atmosphärische Michelin-Restaurant Alouette. Es ist mit Möbeln der 2006 gegründeten KBH Københavns Møbelsnedkeri eingerichtet, die gleich um die Ecke gefertigt werden. In der Tischlerei werden Stühle, Kommoden und Küchen von Hand gemacht, in einer Werkstatt nebenan Beschläge aus Messing und Edelstahl. Außerdem gibt es einen Showroom mit Geheimtür und im Studio ist neben Arbeitstischen und Moodboards eine handwerklich aufwendig gefertigte Küche aufgebaut. Auf die Küche gekommen sind auch Stilleben Architects: Zusammen mit dem Architekten Ditlev Rahbek entwerfen Ditte Reckweg und Jelena Schou Nordentoft im multikulturellen Stadtteil Nørrebro handwerklich hochwertige Küchenmöbel, wovon gleich mehrere im Studio stehen: in Pastelltönen, mit abgerundeten Sitzbänken und Glasvitrinen, ausgestattet mit dazu passender, selbst entworfener Tableware.
Farbexplosionen
Stellt man sich skandinavisches (Interior-)Design gemeinhin in einer zurückhaltenden Farbpalette vor – in gedeckten Pastell-, Beige- und Brauntönen, die kombiniert werden mit Weiß oder Schwarz – gab es bei einigen dänischen Herstellern regelrechte Farbexplosionen zu sehen. Gleich gegenüber vom Hinterhof-Studio von Stilleben Architects präsentierte Raawii seine Kollektion von farbintensiven Vasen, Krügen und Schalen. Die schlichten Stücke, die allein durch ihre Farbe wirken, werden in Portugal hergestellt und waren in einem White Cube mit schönen Blumenarrangements kombiniert. Im hinteren Raum gab es eine Tischleuchte mit indirektem Licht zu sehen, ebenfalls aus Keramik gefertigt und in vielen Farben erhältlich. Ungleich spektakulärer war der Auftritt von Kvadrat im eigenen Showroom im neuen Stadtteil Nordhavn. Unter dem Titel Knit! zeigten die Dänen eine Ausstellung mit Entwürfen von 28 Designern. Sie hatten mit den dehnbaren Stricktextilien von Kvadrat Febrik experimentiert, wobei erstaunliche, dreidimensionale Objekte entstanden sind. Während Adam Goodrum aus Australien mit Conversation Pieces ein organisch geformtes Sofas in Regenbogenfarben entwarf, das von viktorianischen Sitzmöbeln inspiriert ist, zeigte Wataru Kumano aus Japan mit seinem Hammock Chair, dass man mitunter nur wenig braucht, um ein gestalterisches Aha-Erlebnis zu erzeugen.
Immer wieder Holz
Es war aber vor allem ein Material, dem man in Kopenhagen nicht entkommen konnte: Holz. Erwartet hatte man es bei Herstellern, die traditionell auf dänische Möbelklassiker aus den Fünfziger- und Sechzigerjahren setzen – so wie The House of Finn Juhl, Carl Hansen & Søn und FDB Møbler. Dass aber nun auch Unternehmen ins (Möbel-)Holzfach drängen, die damit vorher nichts zu tun hatten, war eine echte Überraschung. Vipp beispielsweise war bisher bekannt für Treteimer aus Edelstahl, wobei das Sortiment in den letzten Jahren um Wohnprodukte wie Küchenmöbel, Leuchten, Tableware und sogar um ein Haus (Vipp Shelter) erweitert wurde. Nun haben die Dänen in Kopenhagen ihre ersten Entwürfe aus massivem Holz präsentiert: Cabin – das sind ein Stuhl, ein runder und ein rechteckiger Tisch. Oder aber Dinesen: Bisher bekannt für hochwertige Holzdielen, drängt das dänische Unternehmen nun ebenfalls ins Möbelgeschäft. Die acht Entwürfe von Design Studies – darunter Daybed, Hocker, Tisch und Bank – gibt es aus Eichenholz oder Douglasie, zuweilen kombiniert mit Leder, wie es typisch ist für Skandinavien.
Nachdem in Kopenhagen vor allem die dänischen Hersteller ihre Aufwartung machten, schaut die Designszene Ende September gespannt nach Mailand. Milano Design City heißt die Veranstaltung, die halbwegs kompensieren soll, was im April als Salone del Mobile und Fuori Salone nicht möglich war. Hier werden viele der italienischen Hersteller ihre Neuheiten präsentieren und dann erst wird sich zeigen, wohin in diesem Jahr die (Design-)Reise geht. Glanz und Glamour all'italiana oder doch skandinavischer Purismus.
3 Days of Design
3daysofdesign.dkMehr Stories
Best-of Outdoor
Die schönsten Neuheiten für Garten, Terrasse und Balkon

Best-of Textilien, Teppiche & Tapeten
Was 2021 auf den Boden und an die Wand kommt

Architektur im Ausnahmezustand
Veränderte Ansprüche an das Wohnen durch Corona?

Zwischen Design und Desaster
Experiment und Improvisation im Gestaltungsprozess

160 Jahre Ligne Roset
Von der Sonnenschirm-Manufaktur zur Designmarke

Fliesen mit Format
Über die Wirkung von Größe, Form und Farbe

Avantgardist, Kritiker, Angeklagter
150 Jahre Adolf Loos

Die Chemie des Designs
Mit Nicole Dietz von der Küche in die Werkstatt

Fliese, Fliese an der Wand
Fünf Designstudios stellen ihre Lieblingsfliese vor

Sternstunde des Designs
Virtuelle Werkschau De-siderio von Studiopepe

Teilnahmebedingungen
Adventstombola 2020: Wir verlosen 4 Produkte

Digitales Design-Event
baunetz interior|design virtuell – It’s All About the Details

Design der Entmaterialisierung
Im realen Jogger auf dem Sofa, in Couture zum virtuellen Meeting

Ihrer Zeit voraus
Wegweisende Produkte aus den letzten zwei Jahrzehnten

Nordisch dynamisch
2000-2020: Über den Aufstieg der New-Nordic-Marken

Als die Locher lachen lernten
2000-2020: Humorvolle Produkte von Alessi, Koziol & Co

Neustart in Mailand
Streifzug durch die Milano Design City 2020

Välkommen 2000
Ein Rückblick auf die demokratischen IKEA-Lebenswelten

Bloß nicht anecken
2000-2020: Die neue Zeitlosigkeit im Möbeldesign

Best of Interior 2020
Callwey Verlag verleiht zum sechsten Mal den Award

German Design Graduates 2020
Award geht in die zweite Runde

London Design Festival 2020
Handwerk, limitierte Editionen und neue Schulterschlüsse

Atmosphärische Zeiten
Hermann August Weizenegger im Berliner Kunstgewerbemuseum

Einstieg ins Smart Home
Modulare Gira-Produkte setzen neue Impulse

Best-of Holz
Ein Werkstoff mit inneren Werten und Potential im Sinne der Nachhaltigkeit

Mit Herz von Hand
Im Werk von Brunner trifft Industrie auf Manufaktur

Unsere besten Bücher
Ans Herz gewachsene Lektüre über Design und Gestaltung

Materialising Colour
Giulio Ridolfos Reise zu den Farben der Welt

Jung, kreativ, bietet...
Eine von der Möbelwirtschaft unabhängige Gestaltergeneration

Textile Bodenbeläge
Zwischen Technologie, Gestaltung und Nachhaltigkeit
