Die Haut, in der wir wohnen
1 / 9
Wie kann ein zeitgenössisches Wohnhaus aussehen in einer Zeit, in der es dank staatlicher Überwachungsmechanismen und wirtschaftlich intendierter digitaler Datensammlungen im Grunde kaum noch eine Privatsphäre gibt? Mit dieser Frage schloss die spanischstämmige, in Princeton lehrende Architekturtheoretikerin Beatriz Colomina ihren Vortrag zum „Radical House“ im Laufen Forum des gleichnamigen Schweizer Sanitärkeramikherstellers. Und obwohl sie gar nicht so gedacht war, entpuppte sich die im Anschluss stattfindende Präsentation des diesjährigen ar-Award-Trägers – Architekten Martenson und Nagel Theissen – als eine mögliche Antwort auf die Frage nach dem Umgang mit Privatheit und Öffentlichkeit im Wohnhaus des 21. Jahrhunderts.
Ihre bekannten Thesen zur Rolle des Wohnhauses als wichtigstem Instrument der Ideenentwicklung und -vermittlung der Architektur des 20. Jahrhunderts hatte Colomina von den emblematischen Kunstsammler-Villen am Anfang des Jahrhunderts (Le Corbusiers Villa La Roche, Mallet-Stevens Villa Noailles, Eileen Grays Haus E1027) über die Erforschung neuer Wohntypologien in Ausstellungen und Bauausstellungen (De Stijl-Ausstellung in der Pariser Galerie L’Effort Moderne 1923, Weissenhof-Siedlung und Werkbund-Ausstellung in Stuttgart 1927, Berliner Bauausstellung Die Wohnung unserer Zeit 1931) aufgebaut bis zur Verschmelzung von Wohnhaustypologien mit Ausstellungsräumen (Mies van der Rohes Barcelona-Pavillon 1928, Breuers Modellhaus im MoMA-Garten 1948/49 bis hin zu den ab 1945 von unterschiedlichen Architekten entwickelten Case Study Houses).
Die Fotografie des sorgfältig arrangierten Innenraums wurde dabei zur (Re-) Präsentationsfläche der Architektur, während das bürgerliche Leben sich – zumindest in den Vereinigten Staaten – immer weiter am Rand der Städte, in den Suburbs, abspielte. Gleichzeitig lief dabei das Auto dem Haus den Rang als Statussymbol ab. Mit der Technifizierung und Mediatisierung des Wohnhauses drang die Öffentlichkeit zudem immer weiter in die Privatsphäre vor und besetzte diese schließlich fast komplett. Was ist heute noch privat? Und was ist öffentlich?
Privatheit und Öffentlichkeit im 21. Jahrhundert
Mit diesen Fragen eröffnete Colomina das Feld für eine Diskussion, die auch die Frage einschloss, ob Privatheit in einer Gesellschaft der permanenten medialen Selbstdarstellung und -inszenierung überhaupt noch ein Wert sei. Obwohl die im Anschluss an die Diskussion stattfindende Preisverleihung des ar Awards an die jungen Architekten AMUNT Martenson und Nagel Theissen (Stuttgart) inhaltlich zunächst wenig mit diesem Thema zu tun hatte, kann man das von ihnen gestaltete Haus Just K in Tübingen auch als Beispiel für ein zeitgenössisches Wohnhaus verwenden, das die Frage nach dem Umgang mit Privatheit und Öffentlichkeit thematisiert.
Das Haus als Platz und Weg
Just K hat nämlich zunächst keine repräsentative Fassade. Das liegt vor allem daran, dass es keinen sichtbaren Eingang gibt. Stattdessen verschwindet eine schmale Treppe im Dunkeln unter der äußeren Haut des Gebäudes, die sich wie ein leichter Mantel über den oberen Teil des Wohnhauses legt. Die sich nach oben hin verjüngenden Volumen werden nur durch diese dünne Kautschukfolie zusammengehalten, deren Ränder abstehen wie die Nähte eines von innen nach außen gedrehten Kleides. Das Tektonische des Hauses wird dadurch gestört. Im Inneren vollzieht sich ebenfalls ein Paradox. In Anlehnung an Josef Franks 1931 erschienenen Text „Das Haus als Platz und Weg“ (und nicht, wie man zunächst meinen könnte, angelehnt an Adolf Loos’ Raumplan) ist der Innenraum als Komposition aus Wegen und Plätzen gestaltet, die sich gleichzeitig in die Höhe entwickeln. Die Raumfolge mit ihren zuschaltbaren Zimmern und undefinierten Flächen mutet im Grundriss an wie ein mittelalterlicher Stadtgrundriss. Flexibilität wird hier gerade nicht über eine größtmögliche Leere (Loft) generiert, sondern über ein Angebot an zahlreichen Nischen, „Resträumen“ und vielfach nutzbaren Flächen wie der breiten, bespielbaren Treppe.
Innen nach außen
Während das Innere also eine Raumfolge reflektiert, die ursprünglich dem öffentlichen Raum zugeordnet war, bildet die Außenhaut des Hauses eine Innenseite ab. Die Fassade repräsentiert nichts mehr als eine Hülle, die das darin stattfindende Leben vor der Witterung schützt. Dennoch ist sie eine deutliche, undurchsichtige, raumbildende Grenze, die – anders als die gläserne Architektur der Moderne – keine Verschmelzung mit dem Außenraum sucht, sondern den Ausblick in diesen lediglich mittels gezielt gesetzter Fenster rahmt. Selbst die sich wie eine große Schublade aus dem Sockelgeschoss schiebende Terrasse formt mit der hohen Brüstung einen schützenden Raum, der in der offenen Landschaft zu schweben scheint. Just K ist damit ein klares Bekenntnis zum Wohnraum als schutzbedürftigem privatem Rückzugsort, in den die Öffentlichkeit nur einen kargen und wohldosierten Einblick erhält. Im Gegensatz dazu spielt jedoch die ungewöhnliche und weiche Oberfläche des Hauses mit der Empathie und Neugierde des Passanten.
www.laufen.com
FOTOGRAFIE Brigida González (5-9)
Brigida González (5-9)
Links
Mehr Stories
GREENTERIOR
Auftakt für das Sonderformat von BauNetz id beim Klimafestival in Berlin
Harmonische Kompositionen
Durchgefärbtes Feinsteinzeug als verbindendes Element im Raum
Entwässerung neu gedacht
Bewährtes Duschrinnensystem von Dallmer mit mehr Gestaltungsfreiheit
Einfache Lösungen mit System
Mehr Planungssicherheit und Komfort im Bad
Gut geplante Badsanierung
Barrierefreie Bäder nachrüsten – so gelingt die Sanierung im Bestand
Händewaschen ohne Anfassen
Berührungslose Armaturen von VOLA für Hotels, Flughäfen und Badezimmer
Digitale Werkzeuge in der Innenarchitektur
Wie ein Schweizer Büro Planung, Präsentation und Produktion verbindet
Natursteinästhetik in Keramik
Fünf neue Oberflächen erweitern das Feinsteinzeug-Programm des Herstellers FMG
Rauchzeichen aus dem Abfluss?
Wie Entwässerungstechnik zur Sicherheitslücke beim Brandschutz werden kann
Zwischen Zeitenwende und Tradition
Unsere Highlights der Munich Design Days und des Münchner Stoff Frühlings
Charaktervolle Bäder
Vier Planende geben Einblick in ihre persönlichen Gestaltungsansätze
Wellness für Zuhause
Wie das Badezimmer zur persönlichen Oase wird
Wellen, Wärme, Wohnlichkeit
Best-of ISH 2025
Maximale Gestaltungsfreiheit
Befliesbare Duschrinnen für dünne Bodenbeläge
Outdoor mit System
Clevere Lösungen für Außenbereiche von Schlüter-Systems
ITALIENISCHE HANDWERKSKUNST
Mit Möbeln, Leuchten und Textilien gestaltet SICIS ganzheitliche Wohnwelten
Farbenschöne Bäderwelt
Einfache Badgestaltung mit dem Farbfächer von Bette
Glas im Großformat
Das Material Vetrite von SICIS bringt Vielfalt ins Interior
Bunte Bäder
Bette präsentiert neues Farbkonzept
NACHHALTIGKEIT TRIFFT DESIGN
GREENTERIOR by BauNetz id auf dem Klimafestival 2025
Barrierefreier Komfort
Generationenübergreifende Badplanung mit Schlüter-Systems
Begehbare Kunstwerke, Teil 2
Weitere Gestalter*innen teilen ihre spannendsten Bodengeschichten mit uns
Vom funktionalen Raum zum designorientierten Lebensbereich
Wie Dallmer die Entwicklung des Badezimmers mitgestaltet
Made in Berlin
Drei originelle Badlösungen aus der Hauptstadt
Best-of Salone del Bagno 2024
Die wichtigsten Badtrends aus Mailand
Baden ohne Reue
Wie das Wannenbad mit Nachhaltigkeit in Einklang gebracht werden kann
Einmal um die Welt
180-seitiger Katalog gibt umfassende Einblicke in das Portfolio von Vola
Bunt und barrierefrei
Farbige Schalter und Notrufsysteme aus dem Programm LS 990 von JUNG
Verantwortungsvolle Bäder
Grohe sorgt mit ganzheitlicher Badplanung für Nachhaltigkeit
Ganzheitliches Designverständnis
Sonderpreise für Formafantasma und Vibia Lighting bei den Iconic Awards 2024