Stories

Die Haut, in der wir wohnen

von Cordula Vielhauer, 02.11.2011


Wie kann ein zeitgenössisches Wohnhaus aussehen in einer Zeit, in der es dank staatlicher Überwachungsmechanismen und wirtschaftlich intendierter digitaler Datensammlungen im Grunde kaum noch eine Privatsphäre gibt? Mit dieser Frage schloss die spanischstämmige, in Princeton lehrende Architekturtheoretikerin Beatriz Colomina ihren Vortrag zum „Radical House“ im Laufen Forum des gleichnamigen Schweizer Sanitärkeramikherstellers.
Und obwohl sie gar nicht so gedacht war, entpuppte sich die im Anschluss stattfindende Präsentation des diesjährigen ar-Award-TrägersArchitekten Martenson und Nagel Theissen  – als eine mögliche Antwort auf die Frage nach dem Umgang mit Privatheit und Öffentlichkeit im Wohnhaus des 21. Jahrhunderts.


Ihre bekannten Thesen zur Rolle des Wohnhauses als wichtigstem Instrument der Ideenentwicklung und -vermittlung der Architektur des 20. Jahrhunderts hatte Colomina von den emblematischen Kunstsammler-Villen am Anfang des Jahrhunderts (Le Corbusiers Villa La Roche, Mallet-Stevens Villa Noailles, Eileen Grays Haus E1027) über die Erforschung neuer Wohntypologien in Ausstellungen und Bauausstellungen (De Stijl-Ausstellung in der Pariser Galerie L’Effort Moderne 1923, Weissenhof-Siedlung und Werkbund-Ausstellung in Stuttgart 1927, Berliner Bauausstellung Die Wohnung unserer Zeit  1931) aufgebaut bis zur Verschmelzung von Wohnhaustypologien mit Ausstellungsräumen (Mies van der Rohes Barcelona-Pavillon 1928, Breuers Modellhaus im MoMA-Garten 1948/49 bis hin zu den ab 1945 von unterschiedlichen Architekten entwickelten Case Study Houses).

Die Fotografie des sorgfältig arrangierten Innenraums wurde dabei zur (Re-) Präsentationsfläche der Architektur, während das bürgerliche Leben sich – zumindest in den Vereinigten Staaten – immer weiter am Rand der Städte, in den Suburbs, abspielte. Gleichzeitig lief dabei das Auto dem Haus den Rang als Statussymbol ab. Mit der Technifizierung und Mediatisierung des Wohnhauses drang die Öffentlichkeit zudem immer weiter in die Privatsphäre vor und besetzte diese schließlich fast komplett. Was ist heute noch privat? Und was ist öffentlich?

Privatheit und Öffentlichkeit im 21. Jahrhundert


Mit diesen Fragen eröffnete Colomina das Feld für eine Diskussion, die auch die Frage einschloss, ob Privatheit in einer Gesellschaft der permanenten medialen Selbstdarstellung und -inszenierung überhaupt noch ein Wert sei. Obwohl die im Anschluss an die Diskussion stattfindende Preisverleihung des ar Awards an die jungen Architekten AMUNT Martenson und Nagel Theissen (Stuttgart) inhaltlich zunächst wenig mit diesem Thema zu tun hatte, kann man das von ihnen gestaltete Haus Just K in Tübingen auch als Beispiel für ein zeitgenössisches Wohnhaus verwenden, das die Frage nach dem Umgang mit Privatheit und Öffentlichkeit thematisiert.

Das Haus als Platz und Weg
 
Just K hat nämlich zunächst keine repräsentative Fassade. Das liegt vor allem daran, dass es keinen sichtbaren Eingang gibt. Stattdessen verschwindet eine schmale Treppe im Dunkeln unter der äußeren Haut des Gebäudes, die sich wie ein leichter Mantel über den oberen Teil des Wohnhauses legt. Die sich nach oben hin verjüngenden Volumen werden nur durch diese dünne Kautschukfolie zusammengehalten, deren Ränder abstehen wie die Nähte eines von innen nach außen gedrehten Kleides. Das Tektonische des Hauses wird dadurch gestört. Im Inneren vollzieht sich ebenfalls ein Paradox. In Anlehnung an Josef Franks 1931 erschienenen Text „Das Haus als Platz und Weg“ (und nicht, wie man zunächst meinen könnte, angelehnt an Adolf Loos’ Raumplan) ist der Innenraum als Komposition aus Wegen und Plätzen gestaltet, die sich gleichzeitig in die Höhe entwickeln. Die Raumfolge mit ihren zuschaltbaren Zimmern und undefinierten Flächen mutet im Grundriss an wie ein mittelalterlicher Stadtgrundriss. Flexibilität wird hier gerade nicht über eine größtmögliche Leere (Loft) generiert, sondern über ein Angebot an zahlreichen Nischen, „Resträumen“ und vielfach nutzbaren Flächen wie der breiten, bespielbaren Treppe.

Innen nach außen

Während das Innere also eine Raumfolge reflektiert, die ursprünglich dem öffentlichen Raum zugeordnet war, bildet die Außenhaut des Hauses eine Innenseite ab. Die Fassade repräsentiert nichts mehr als eine Hülle, die das darin stattfindende Leben vor der Witterung schützt. Dennoch ist sie eine deutliche, undurchsichtige, raumbildende Grenze, die – anders als die gläserne Architektur der Moderne – keine Verschmelzung mit dem Außenraum sucht, sondern den Ausblick in diesen lediglich mittels gezielt gesetzter Fenster rahmt. Selbst die sich wie eine große Schublade aus dem Sockelgeschoss schiebende Terrasse formt mit der hohen Brüstung einen schützenden Raum, der in der offenen Landschaft zu schweben scheint. Just K ist damit ein klares Bekenntnis zum Wohnraum als schutzbedürftigem privatem Rückzugsort, in den die Öffentlichkeit nur einen kargen und wohldosierten Einblick erhält. Im Gegensatz dazu spielt jedoch die ungewöhnliche und weiche Oberfläche des Hauses mit der Empathie und Neugierde des Passanten.

www.laufen.com

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Just K

Ausführliche Projektbeschreibung

www.designlines.de

Architekten

AMUNT Architekten Martenson und Nagel Theissen

www.amunt.info

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