Stories

Le Corbusiers Klaviatur der Farben

von Claudia Simone Hoff, 24.02.2009


Die weiße Moderne hat sich irgendwie in unseren Köpfen festgesetzt, obwohl sie so weiß ja gar nicht war. Ganz im Gegenteil: Denken wir nur an die Bauhaus-Meisterhäuser in Dessau oder Bruno Tauts Onkel-Tom-Siedlung in Berlin – im Volksmund damals sinnigerweise als „Papageiensiedlung“ verspottet – dann wird eines rasch klar: Farbe ist aus der Architektur der klassischen Moderne nicht wegzudenken. Es war vor allem der Schweizer Architekt, Möbelentwerfer und Künstler Le Corbusier (1887 – 1965), der sich intensiv mit dem Thema Architektur, Interior-Design und Farbe beschäftigte.

Prädestiniert war er dafür ganz besonders, hatte er sich doch – als er 1917 nach Paris übersiedelte – vorwiegend mit Malerei und Bildhauerei beschäftigt. Und natürlich hatte er sich dabei auch mit der Rolle der Farben auseinandergesetzt. Die beinahe obsessive Beschäftigung vieler Architekten mit der Farbe im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts ist nicht denkbar ohne Anregungen aus der bildenden Kunst. Und wenn man schon nicht selbst als Künstler tätig war wie Le Corbusier oder Bruno Taut – der sich lange nicht zwischen dem Metier des Malers und dem des Architekten entscheiden konnte – so war man doch zumindest mit Künstlern befreundet. Oder schloss sich einer Künstlerbewegung wie De Stijl an, in der der Maler Piet Mondrian ebenso vertreten war wie der Architekt J. J. P. Oud. Von diesem intensiven Nachdenken über das Zusammenspiel von Form und Farbe legt eine Architekturikone Zeugnis ab: das 1924 entstandene Schröder-Haus von Gerrit Thomas Rietveld im niederländischen Utrecht. Doch zurück in die Schweiz und zu Le Corbusier.

Wie eine weiße Villa farbig wurde

Bereits 1912 entstand in seinem Schweizer Geburtsort La Chaux-de-Fonds Le Corbusiers erster selbständig verantworteter Bau: die Villa Jeanneret-Perret (Maison Blanche), die er für seine Eltern entwarf. Vor einiger Zeit restauriert und soweit wie möglich in den Originalzustand zurückversetzt, begrüßt uns schon der Eingangsbereich mit einer Pergola und einer strahlend in Ultramarinblau leuchtenden Wand. Und im Innenraum ging es seit 1919 dann polychrom weiter, denn fast alle Wände waren mit „Salubra“-Tapeten verkleidet. Sie ersetzten auch die Tapete mit dem grünen Blumenmuster, die sich hier ursprünglich befunden hatte und über die man heute wieder staunen kann.

Die Tapetenkollektion für den Schweizer Hersteller Salubra hatte Le Corbusier 1931 entworfen. Sie bestand aus ausgeklappten „Clavier de couleurs“. Innerhalb dieser empirisch erarbeiteten Farbskalen ließen sich mit zwei „Brillen“ aus Karton jeweils geeignete Farbkombinationen isolieren. Dabei löste jede Farbklaviatur eine bestimmte Farbstimmung aus. Le Corbusier setzte Räume nämlich nicht nur in ihrer Abfolge und Kubatur, sondern auch im Dekor miteinander in Beziehung, im Innen- sowie im Außenraum. Und so tritt das Ultramarinblau der Pergola an der Zierlinie des Traufladens der Maison Blanche wieder auf.

„… eine höchst talentierte Salonästhetik“

So lautete 1929 das ätzende Urteil des Architekten Bruno Taut über die Anwendung der Farben durch Le Corbusier. Letzterer nutzte Farben, um Raumvolumen zu verändern und Räume zu dynamisieren. Dabei ging es entweder um das Auflösen oder das Schließen eines Raumes mittels der Farbgebung und der Auswahl der Wände. Indem beispielsweise alle vier Wände und die Decke in demselben Farbton gestrichen wurden, konnte ein zu weit geöffneter Raum wieder Zusammenhalt finden.

Seit den 1920er Jahren benutzte Le Corbusier eine streng begrenzte Familie von meist mineralischen Farbpigmenten, die er als Grande Gamme (Große Farbreihe) bezeichnete. Dazu gehörten gelber und roter Ocker, Erdfarben, Weiß, Schwarz, Ultramarin und die daraus ableitbaren Farbtöne. Diese Farbnormierung machte ihn unabhängig von den inzwischen unzählig vorhandenen Angeboten der Farbenindustrie.
 
Polychromie architecturale 

In der am Ende einer Privatstraße gelegenen Villa La Roche im vornehmen Pariser Stadtteil Auteuil wurde Le Corbusiers „Polychromie architecturale“ erstmals angewendet, um den räumlichen Charakter der einzelnen Räume zu betonen. Das Doppelhaus La Roche und Jeanneret-Rääf entstand 1923. Der Teil des Doppelhauses, in dem der Schweizer Bankier und Kunstsammler Raoul La Roche wohnte und seine famose Kunstsammlung präsentierte, ist heute der Öffentlichkeit zugänglich. Von außen ganz in Weiß gehalten, explodieren die Innenräume geradezu vor Farbigkeit. Wohl auch deshalb zeigte sich der Auftraggeber so begeistert von dem fertigen Bau, dass er ihn als „Gedicht von Wänden“ bezeichnete. Denn nicht nur auf den (heute) präsentierten Gemälden und Skulpturen Le Corbusiers finden sich dessen Vorstellungen von der Harmonie der Farben wieder, sondern vor allem an den Wänden, an den Decken und auf dem Boden. Der polychrom bemalte Wohnraum, von dem eine Rampe in das Obergeschoss führt, beherbergt nicht nur wunderbare Möbelentwürfe Le Corbusiers wie die legendären LC1-Sessel, Regale und einen im Boden verankerten Tisch, sondern zeigt exemplarisch das Zusammenspiel von Farbgebung, Möblierung und Architektur und Le Corbusiers Idee einer Synthese der Künste.
 
Le Corbusier für’s Wohnzimmer

Eigentlich logisch, dass irgendwann jemand auf die spitzfindige Idee kommen musste, den Architektur- und Design-Afficionados käuflich erwerbbare Farbtöpfe in Le-Corbusier-Palette zur Verfügung zu stellen. Und so wurden nach einem komplizierten Rekonstruktions- und Herstellungsprozess im Jahr 2000 von einem Schweizer Hersteller zwanzig Farbtöne unter dem Namen „Polychromie Le Corbusier” auf den Markt gebracht.
 
Interessant ist im Übrigen, dass Le Corbusier in seiner eigenen Wohnung in der Pariser Rue Jacob fantasievolle Tapetenmuster liebte: So war sein Schlafzimmer mit einer schwarzen, mit farbigen Ranken verzierten Tapete ausgestattet, während die Dachschräge des Antichambre eine rot bedruckte Tapete mit Monumenten des alten Paris zierte. Und ja, passende Vorhänge mit demselben Muster gab es auch noch. 
 
Facebook Twitter Pinterest LinkedIn Mail
Links

Fondation Le Corbusier

www.fondationlecorbusier.asso.fr

kt.color

Polychromie Le Corbusier

www.ktcolor.ch

Association La Maison Blanche

www.maisonblanche.ch

Centre Le Corbusier

www.centerlecorbusier.com

Weißenhofsiedlung

www.weissenhofsiedlung.de

Im Gespräch: Giulio Ridolfo

www.designlines.de

Mehr Stories

Alles Rhabarber

Die Neuheiten vom Salone del Mobile 2024

Die Neuheiten vom Salone del Mobile 2024

Zirkuläres, Erhellendes & Entspannendes

Unsere Highlights der Milan Design Week 2024 – Teil 2

Unsere Highlights der Milan Design Week 2024 – Teil 2

Villen, Leuchten & Materialinnovationen

Unsere Highlights der Milan Design Week 2024 - Teil 1

Unsere Highlights der Milan Design Week 2024 - Teil 1

Hommage an die Natur

Polsterkollektion Siwa von Altherr Désile Park für COR

Polsterkollektion Siwa von Altherr Désile Park für COR

Möbel mit Raumwirkung

more präsentiert seine Neuheiten 2024 in Mailand

more präsentiert seine Neuheiten 2024 in Mailand

Keine Kreislaufprobleme

Vollständig recycelbarer Teppich von Object Carpet

Vollständig recycelbarer Teppich von Object Carpet

Best-of Teppiche 2024

Wie die Kunst auf den Teppich kam

Wie die Kunst auf den Teppich kam

Zweites Leben für Textilien

Das Recyclingsystem ReTurn von Delius

Das Recyclingsystem ReTurn von Delius

Brutalistische Kiefernholzmöbel

Studiobesuch bei Vaarnii in Helsinki

Studiobesuch bei Vaarnii in Helsinki

Best-of Raumausstattung 2024

Neue Tapeten, Farben & Textilien

Neue Tapeten, Farben & Textilien

Formal-Informal

Ligne Roset editiert Michel Ducaroys Polsterprogramm Kashima

Ligne Roset editiert Michel Ducaroys Polsterprogramm Kashima

CO2-Neutral und plastikfrei

Karcher Design setzt Nachhaltigkeit ganzheitlich um

Karcher Design setzt Nachhaltigkeit ganzheitlich um

Perfekte Imperfektion

Sebastian Herkner taucht die Bauhaus-Klassiker von Thonet in neue Farben

Sebastian Herkner taucht die Bauhaus-Klassiker von Thonet in neue Farben

Der Ikea-Effekt

Wenn aus Arbeit Liebe wird

Wenn aus Arbeit Liebe wird

Best-of Outdoor 2024

Möbelneuheiten für das Wohnen unter freiem Himmel

Möbelneuheiten für das Wohnen unter freiem Himmel

Ein Herz für Vintage

Wie der Hersteller COR gebrauchte Möbel neu editiert

Wie der Hersteller COR gebrauchte Möbel neu editiert

Kuratierter Kraftakt

Die Neuheiten der Stockholmer Möbelmesse 2024

Die Neuheiten der Stockholmer Möbelmesse 2024

Die Macht der Visualisierung

Wie Raumplanungen digital zum Leben erweckt werden

Wie Raumplanungen digital zum Leben erweckt werden

Best-of Tableware 2024

Neuheiten für die Küche und den gedeckten Tisch

Neuheiten für die Küche und den gedeckten Tisch

Ein Kessel Buntes in Paris

Die Neuheiten von Maison & Objet und Déco Off 2024

Die Neuheiten von Maison & Objet und Déco Off 2024

Skandinavische Designtradition

Das schwedische Unternehmen Kinnarps im Porträt

Das schwedische Unternehmen Kinnarps im Porträt

Dimensionen der Weichheit

Neuheiten von der imm cologne 2024

Neuheiten von der imm cologne 2024

Bühne für den Boden

Vorschau auf die Domotex 2024

Vorschau auf die Domotex 2024

Was darf ich für Dich tun

KI – Künstliche Intelligenz oder Kreative Invasion?

KI – Künstliche Intelligenz oder Kreative Invasion?

Wrestling & Fabelwesen

Neues von der Design Miami und Alcova Miami

Neues von der Design Miami und Alcova Miami

Alles auf einmal

Die Bundeskunsthalle in Bonn feiert die Postmoderne

Die Bundeskunsthalle in Bonn feiert die Postmoderne

Breite Eleganz

Fischgrätplanken von PROJECT FLOORS in neuen Formaten

Fischgrätplanken von PROJECT FLOORS in neuen Formaten

Alles auf eine Bank

Die Möbelkollektion Semiton von García Cumini für Arper

Die Möbelkollektion Semiton von García Cumini für Arper

Homeoffice im Wandel

Gestaltende über Lösungen für das Arbeiten zu Hause – Teil 2

Gestaltende über Lösungen für das Arbeiten zu Hause – Teil 2

Blick ins Homeoffice

Gestaltende über Lösungen für das Arbeiten zu Hause – Teil 1

Gestaltende über Lösungen für das Arbeiten zu Hause – Teil 1