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Fabio Novembre: Ritter der dritten Dimension

Eine Frage der Haltung, nicht des Materials: Der Querdenker Fabio Novembre hat eine Antithese zum Thema Plastik. Ein Porträt.

von Kathrin Spohr, 30.04.2018

„There‘s a great future in plastics“, sagt Mr. McGuire zu Benjamin Braddock, gespielt von Dustin Hoffman, im 1967er-Filmklassiker The Graduate. Ein legendärer Satz, ganz im Zeitgeist der Sixties, den Fabio Novembre bei der Präsentation seiner drei neuen Produkte für Kartell in Köln zitiert. Ausgerechnet. Jetzt, im Jahr 2018. Novembres Statement könnte kontroverser nicht sein. Denn es passt so gar nicht zu aktuellen Nachrichten, apokalyptischen Szenarien, die uns derzeit zum Thema Plastikmüll ereilen. Ist es Ironie, Antithese?

Der italienische Architekt meint es ernst. Er erinnert daran, dass im Jahr 1963 der Nobelpreis für Chemie an der Erfinder organischer Polymere, Giulio Natta, ging und dass man in Kunststoffen große Potenziale sah. Die bis heute sehr einseitig genutzt seien. „Preiswerte Produkte aus Plastik wurden gleichgestellt mit schnellem Konsum. Eine völlige Missinterpretation des Materials“, verteidigt Novembre dieses vehement. „Denn Plastik ist langlebig. Seine Performance großartig. Polymere sind mittlerweile öko-kompatibel.“ Dass Trinkhalme, Plastiktüten, Plastikgeschirr zu Einmal- und Wegwerfprodukten wurden, sei also nicht Problem des Materials an sich, sondern eine Frage der Haltung, der Nutzung, der Zeit. Ein Stigma quasi, dass es aufzulösen gilt.

Wie man Plastik adelt, das weiß Kartell nur zu gut, ist der Hersteller doch Inbegriff für italienische hochwertige Designkultur aus Kunststoff. Ganze zwei Jahre haben Kartell und Novembre etwa an Lantern gearbeitet, bis sie zu einer wunderbaren, smarten Innovation wurde: Die LED-Leuchte aus transparentem Plastik ist tragbar, inklusive kabelloser Ladestation. Außerdem ist sie wasserdicht. „Man könnte Lantern auf einem See schwimmen lassen“, begeistert sich der Gestalter.

Novembre geht es um vielschichtige Qualität, die auch sehr human sein darf. So hat er kürzlich den Kartell-Klassiker Componibile von Anna Castelli Ferrieri neu interpretiert. Aussparungen im Material von Smile bringen ein freundliches Emoji-inspiriertes Gesicht zum Vorschein. „Durchaus ein Statement für eine emotionalere Designwelt. Ich habe dem Original Respekt gezollt, indem ich ihm eine neue Bedeutung gebe – durch das Weglassen von Materie. – Hat nicht jemand einmal gesagt: ‚Less is more?‘“, formuliert Novembre pointiert. Die emotionale Seite spielt in Novembres facettenreichen Arbeiten für renommierte Hersteller und Lifestylemarken wie Driade, Cappellini, Bisazza, Lavazza oder auch Replay eine große Rolle. Sein Portfolio umfasst Produkt-, Möbeldesign, Interiors, Installationen bis hin zu Architektur und Städteplanung. Es sind oft expressive, skulpturale Formen, die er kreiert. Mit der Formel „Form follows function“ habe er nie etwas anfangen können – Novembres Selbstverständnis: „Die Komplexität unserer Welt verlangt nach Inhalten.“

Das bedeutet für den Querdenker, kontroversen Reaktionen standzuhalten, die seine Entwürfe auslösen. Wie etwa die Stühle Her und Him für Casamania, die von der Rückseite betrachtet einen weiblichen beziehungsweise männlichen Akt darstellen. Auch sein Sofa Divina für Driade sorgte für Furore. Hier lehnt man sich nicht gegen eine normale Rückenpolsterung, sondern gegen einen weichen Frauenkörper. Novembre sagt dazu: „Ich bin ein sehr physisch orientierter Mensch. In einer Welt, die immer mehr ,flat‘ wird, indem sie das Leben auf den Bildschirm reduziert, sind Architekten für mich die letzten Ritter der Dreidimensionalität! Ich erlebe den Raum, der mich umgibt, sehr intensiv und das hilft natürlich auch, damit zu arbeiten.“ – Das Bild des Ritters passt, denn der Architekt trägt an diesem Abend ein Outfit mit metallisch schimmernden Applikationen.

Fabio Novembre wird 1966 geboren und wächst in Lecce auf, der sonnenverwöhnten apulischen Stadt mit großartigen barocken Kirchen und Gebäuden. – „Das wird immer meine Kreativität beeinflussen!“, erzählt Novembre. Mit 17 geht er nach Mailand, um Architektur zu studieren. Dabei übt die Strömung des Radical Design großen Einfluss auf ihn aus. Er lernt auch Designgrößen wie Ettore Sottsass und Alessandro Mendini kennen, freundet sich mit ihnen an. Novembre schätzt das Werk dieser Meister: „Ihre Bücher sind das Highlight in meiner Bibliothek. Aber wichtiger als alles andere ist doch die Tatsache, dass Sottsass und Mendini wunderbare Menschen sind!“ Und so hat Novembres Arbeitsweise ihre Wurzeln in der Tradition italienischer Maestri, die es verstanden, alles, vom Löffel bis zur Stadt, zu gestalten.

Diese Fähigkeit zum Skalieren hat einen konkreten Grund: Bis vor Kurzem konnte man in Italien nicht Design, sondern nur Architektur studieren. „Ich vergleiche das gern mit dem Filmemachen: Egal ob kurzes Video oder langer Kinofilm, alles verlangt dasselbe hohe Niveau an Fähigkeiten, Aufmerksamkeit und Sorgfalt. ‚Ist man Fellini oder nicht?‘, lautet die Frage.“ Novembre schreibt, adaptiert Storytelling-Methoden in den kreativen Prozess, wenn er neue Projekte startet. „Ich kann nicht auf Papier zeichnen“, betont er.

Im architektonischen Raum hingegen schon, so scheint es zumindest. Wenn man etwa seine beeindruckenden Interiors für die Stuart-Weitzman-Shops anschaut, deren Wände mit fluiden bandartigen Designelementen versehen sind, dann kommt das einem dreidimensionalen Zeichengestus gleich. Überhaupt kehrt das geschwungen geformte Band immer wieder. Ob bei Installationen für Milano Creative City oder die And Collection, Outdoor-Sitzelemente für Vondom. Möchte Fabio Novembre verbinden, zusammenfügen? – „Ich versuche die Balance zwischen Chaos und Ordnung zu finden. In den Stuart-Weitzman-Shops geht das Band so wild und frei wie möglich durch den Raum. Dabei ist es eine Kombination von lediglich acht Basiselementen. Die freie Geste zusammen mit einer soliden Herangehensweise ist das, was meine Arbeiten ausmacht.“

Denkt man die Form des offenen Bandes weiter, könnte sie auch zum geschlossenen Kreis werden. Vielleicht ist das ‚o‘ in der Logotype von Studio Novembre eine solche Fortführung: Denn hier ist es zu einer Schlange geworden, genauer gesagt einem Ouroboros, der in seinen eigenen Schwanz beißt. Ein starkes Bild der antiken Mythologie. Das Symbol für Unendlichkeit, für den Kreislauf. „Wir leben in einer Welt, in der wir nicht nur über die Neugeburt, sondern ebenso über den Tod der Dinge, die wir tun, sprechen sollten. Unser Handeln darf unserem Planeten keinen weiteren Schaden zufügen. Der Ouroboros steht dafür, wie wir uns künftig verhalten sollten.“

Es ist nicht die Ästhetik mit Ecken und Kanten, es sind die runden, die organischen Formen und der humane, der kollektive Aspekt, denen Novembre eine besondere Gewichtung gibt: Das wird auch deutlich, wenn er über das neue Headquarter des AC Mailand spricht, das er vor Kurzem gestaltet hat, und seine Liebe zum Fußball. Der begeisterte Sportler Novembre schwärmt mit einer weiteren Metapher: „Du kickst eine sphärische Form, quasi unsere Weltkugel, das platonische Symbol für Perfektion. Aber der beste Spieler ist nicht der, der den Ball einfach nur schießt, sondern derjenige, der den Ball mit den Füßen liebkost. Ziel des Spiels ist es, Solos zu vermeiden im Sinn einer gemeinsamen triumphalen Symphonie.“ Das Kopfkino startet. Novembres großes Filmfestival ist ein Kontinuum.


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