Formsache: Wohnst du noch oder kuratierst du schon?
Gerade war ich in einer sauberen schwedischen Kleinstadt, mitten im Wald. Es war zufällig der Ort, an dem der sympathische Weltkonzern Ikea gegründet wurde, und deswegen gibt es dort heute einen lustigen Kreisverkehr mit Straßenschildern, die in die ganze Welt zeigen. Und es gibt natürlich noch jede Menge Ikea in Älmhult. Ein Museum, ein Test-Lab, ein modernes Headquarter mit netten Kaffeetrink-Zonen für die Mitarbeiter und auch das Studio, in dem immer noch der Katalog fotografiert wird.
Die Menschen hier sind alle auf diese skandinavische Art froh und frisch gewaschen, sie rufen: „Hej, hej!“, und wenn sie hören, dass man Journalist ist, fallen ihnen sofort sehr viele Floskeln aus dem Mund, die gut klingen und immer eine Variation von „People-Planet-Happiness- Children-Play-Nature-Sustainabilty-Democratic“ enthalten. So ist das eben bei den großen Duz-Konzernen heute. Jeder einzelne hat die Aufgabe angenommen, die Welt zu retten. Aber davor müssen erst noch ein paar Millionen Einheiten Irgendwas verkauft werden.
Abends werden für die geladenen Influencer Lachse gegrillt, Hipster-Hüte aus kultigen Ikea-Taschen verteilt und die Kooperationen für die nächsten Jahre vorgestellt. Adidas. Lego. Stefan Diez. Olafur Eliassaon. Klare Botschaft: Ikea-Sein reicht nicht mehr. Billy-Regal und heimische Kartonschlacht reichen nicht mehr. Es wird demnächst einen Bluetooth- Speaker von Ikea geben, auf dem Sonos steht. Es wird einen Fake-Perser des US-Designers Virgil Abloh geben, auf dem subversiv „Keep Off“ eingewebt ist. Eine Kollektion für Millennials, eine von Solange Knowles und eine für professionelle Computerspieler. Cool.
Genau das ist das Problem. Das neue Ikea ist so cool, dass es sich nicht mehr nach Ikea anfühlt. Dabei hatte diese Marke doch gerade jene Form der würdevollen Gelassenheit erreicht, die jedem gut steht, der das 75. Lebensjahr erreicht hat. Man war endlich jenseits der Bürowitze angekommen, jenseits der Billig-, Kopie-, Aufbauanleitung-Diskussionen.
Eigentlich war Ikea so was wie unsere Eltern – nicht besonders cool, aber eben doch lebenswichtig. Jeder vernünftige Mensch ging ein- bis zweimal im Jahr hin, holte sich die drei Sachen, die er nur hier zu diesem Preis bekam, dazu zehn Dinge, die auf dem Weg zur Kasse in den Wagen sprangen und dann noch einen Hotdog, weil es eh schon egal war. Man war nicht stolz, aber auch nicht irgendwie beschämt, die Marke begleitete einen durchs Leben, und der Katalog lag auf dem Klo.
Sicherlich, aus Sicht der Marketingabteilung ist dieser Zustand kein erstrebenswerter. Aber die massive Aufladung mit Subkultur und Fremdmarken jetzt, die limitierten Editionen und das eingekaufte Autorendesign machen die Sache unnötig kompliziert. Als würde ein angenehm ruhiger Nachbar auf einmal mit Ausdruckstanz und Schlagzeug anfangen. Wieso muss Massenware plötzlich cool werden? Werden die jungen Individualisten es dem Konzern danken, dass er sie so kräftig umwirbt? Werden in Studentenwohnheimen die Ikea-Sofas von Tom Dixon und die ironischen Teppiche von Herrn Abloh einziehen? Muss man diese Dinge künftig begehren, und wird der Ausflug zu Ikea zu einem Akt der Popkultur? Ich glaube nicht. Ich glaube, Ikea verzettelt sich und wird in ein paar Jahren wieder ganz einfaches Zeug machen, ein bisschen nett, ein bisschen langweilig, in sehr großen Stückzahlen. Macht nichts. Der vegetarische Hotdog, der in Älmhult vorgestellt wurde, wird bleiben, denn der war gar nicht so übel. Und die Welt können sie trotzdem retten.
FOTOGRAFIE © Ikea
© Ikea
Max Scharnigg
schreibt über Stil und Lebensart bei der Süddeutschen Zeitung und über Reisen, Leben und Liebe in seinen Büchern. Seine eigene Wohnvorstellung realisiert er gerade in seinem Landhaus, was man auf Instagram verfolgen kann.
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