imm cologne 2018: Prinzip Partizipation
Nachwuchstalente setzen auf Möbel zum Mitmachen und regen damit zum Nachdenken an.
Was macht man als junger Designer – in einer Wegwerfgesellschaft groß geworden und mit einer Überdosis an perfekten Produkten? Man stellt in Frage. Und definiert die Idee von einem fertigen Produkt, von Perfektion neu. Unvollendet ist das neue vollendet, zeigt die New Talents Show 2018 der imm cologne.
Das Projekt erinnert an die berühmten One Minute Sculptures von Erwin Wurm: Der österreichische Künstler gibt Besuchern teils mit dazugehörender Ausstattung spezielle Handlungsanweisungen, um dann für eine kurze Zeit ungewohnte Positionen einzunehmen. Erst durch das Mitmachen des Besuchers werden seine Skulpturen vervollständigt. Auch der chinesische Designer Xiang Guan hat mit seinen Symbiotic Objects das Prinzip der Partizipation gewählt, allerdings nicht um Skulpturen zu kreieren, sondern um Möbel in Funktion zu bringen. Etwa einen Stuhl, dem die vorderen zwei Beine fehlen. Setzt man sich darauf, werden die eigenen zwei Beine zum essentiellen Bestandteil des Möbels – zu den vorderen Stuhlbeinen – und liefern die nötige Stabilität. So ganz mag man dem Konstrukt nicht trauen. Doch es funktioniert und ist wunderbar bequem, dank der wohlgeformten „Haken“, mit denen man seine Beine in passender Position hält. Guans Anliegen hat gesellschaftspolitische Dimension: „Was wäre, wenn Menschen eine symbiotische Beziehung zu ihren Alltagsgegenständen hätten, wenn Mensch und Objekt gleichberechtigt wären? Würden wir die Produkte immer noch so schnell wegwerfen? Könnten wir unnötigen Abfall vermeiden?“ Die Symbiotic Objects zielen darauf, Menschen dazu zu bewegen, ihre Sichtweise zu verändern.
Verkehrte Welt
Brauchen wir eigentlich das Möbel, oder braucht das Möbel uns? Partizipation, das scheint einer der Trends der diesjährigen imm cologne gewesen zu sein. Zumindest, wenn man sich beim Nachwuchs umschaut, wie etwa bei den Gewinnerbeiträgen des Pure Talents Contest 2018, zu denen auch die Symbiotic Objects von Xiang Guan nominiert waren. Die Zeit, der Nutzer selbst und fast vergessene Handwerkskünste – all das nimmt bei vielen Arbeiten Gestalt an.
Auch die israelische Textildesignerin Irena Mirer Artzi lädt den Menschen zum Mitmachen ein. Hier soll er sich am Design ihrer Stained Carpets beteiligen. Für ihre Teppiche hat sie wasserabweisende und -absorbierende Garne verarbeitet. Damit haben sie einen eingebauten Patina-Effekt. Vor Ort demonstrierte sie, wie etwa darauf verschütteter Rotwein wunderschöne Ornamente ans Licht bringt. Erst durch Abnutzungsspuren und Verfärbung erhalten die Teppiche ihre Muster und ihre endgültige Farbgebung. „Sie verlieren nicht, sie gewinnen an Wert“, erklärt Irena Mirer Artzi, die bereits ein Patent für ihre Erfindung angemeldet hat. Die Idee birgt großes Potenzial mit vielen Nutzungsmöglichkeiten: So hat der brasilianische Hersteller Par bereits Schuhe aus dem Textil gefertigt!
Um die Interaktion zwischen Nutzer und Möbel geht es auch beim Arbeitstisch Fold it des Designteams Alissa Arends, Leon Bucher und Yelim Kim von der Bauhaus-Universität Weimar. Sie haben eine schlaue und elegante Lösung entwickelt, um eine Tischplatte ganz einfach in ein klappbares Gestell einzuhaken, sodass die Platte zu einer Seite zu schweben scheint. Perfekt für aktuelle Bürokontexte, in denen flexibel und mobil Arbeitssituationen kreiert werden müssen. Die Idee zu Fold it hatten Arends, Bucher und Kim im Rahmen des Projekts think, make, evaluate an ihrer Hochschule. So war der Entwurf auch ursprünglich „nur“ für den studentischen Gebrauch gedacht. „Die drei haben etwas sehr Minimalistisches und Funktionales designt, das auch mit der Bauhaus-Geschichte verknüpft ist. Eine sehr smarte Idee, und man kann sie auch selbst machen“, sagt Designer Sebastian Herkner, einer der Juroren des Pure Talent Wettbewerbs.