Klimaschutz vom Sofa aus
Innovative, nachhaltige Werkstoffe für Möbel und Interior
											
											
					Das Nachhaltigkeitsbewusstsein in Gesellschaft und Industrie steigt. Auch in der Interiorbranche liegt Aufbruchsstimmung in der Luft. baunetz id wirft einen genaueren Blick auf vielversprechende Entwicklungen im Möbeldesign, die oft zusätzlich eine neue, nie dagewesene Gestaltungsfreiheit mit sich bringen.
Dekarbonisierung und ein aktives Bewältigen der Klimakrise sind die Ziele. Vielerorts wird geforscht, vielerorts prosperieren interessante Ideen: Start-ups, Designer*innen, Möbelmarken, Materialhersteller und -verarbeiter, wissenschaftliche Institute sowie die Green-Tech-Szene arbeiten – oft in Kooperationen – an umweltfreundlichen, recycelbaren, pflanzenbasierten Materialien, an innovativen Verfahren und an neuen Produkten, um unsere Wohnwelt grüner und gesünder zu machen.
        
											
											
					
Erntefrische Sitze
Der niederländische Möbelhersteller Vepa hat eine Stuhlkollektion namens Hemp Fine auf den Markt gebracht, bei der die Sitzschalen aus einem außergewöhnlichen nachwachsenden Rohstoff bestehen. Die dafür verwendeten Materialien Hanf und ein spezielles Harz-Bindemittel sind beide zu 100 Prozent pflanzlichen Ursprungs und recyclingfähig. Es kommen Faserreste aus der Hanfverarbeitung in Form von Matten zum Einsatz. Diese werden mit einem organischen Harzleim behandelt und zu Sitzschalen gepresst, die im Folgenden nicht weiterbearbeitet werden müssen. Auch den Aspekt der Regionalität berücksichtigt das Projekt Hemp Fine: Den verwendeten Hanf baut Vepa in den Niederlanden an. Die neue Kollektion wird damit vollständig regional gefertigt und umfasst Stühle sowie Barhocker mit verschiedenen Gestellen aus PEFC-zertifiziertem Holz oder Stahl. Der gesamte Produktionsprozess absorbiert mehr CO2 als er emittiert. Das liegt auch an den vielen positiven Eigenschaften der Hanfpflanze: Sie wächst ohne Pestizideinsatz oder Kunstdünger, benötigt kaum Wasser, ist sehr robust und bindet besonders viel CO2. Außerdem werden die Stühle so konstruiert, dass sich die Bestandteile leicht trennen lassen. Die Hanf-Sitzschalen sind endlos und ohne Qualitätsverlust wiederverwendbar. Ein Aspekt, der zum Erfolg dieser neuen Stuhlkollektion beitragen könnte: Laut niederländischer Regierungserklärung müssen dort alle Industriezweige bis 2050 zirkulär wirtschaften.
        
											
											
					
Organischer Holzersatz
Auch das deutsche Holzwerk Rockenhausen setzt mit seinem neuen Verbundwerkstoff auf Hanf: OrganiQ besteht aus den schnell nachwachsenden Pflanzenfasern Hanf und Kenaf sowie aus einem nachhaltigen Bindemittel auf Wasserbasis. Der zukunftsweisende Werkstoff kann nicht nur ästhetisch mit Massivholz mithalten, sondern stellt – laut Hersteller – auch eine preislich attraktive Alternative dar. Er bietet zudem exzellente mechanische Eigenschaften, lässt sich dreidimensional verformen, ist sehr leicht, widerstandsfähig und lebensmittelverträglich. Das Unternehmen stellt aus dem Material, das gemeinsam mit dem Institut für Verbundwerkstoffe an der TU Kaiserslautern entwickelt wurde, maßgeschneiderte Einsätze für Schubladen und -auszüge her. Namhafte Küchenhersteller in ganz Europa setzen die Produkte aus OrganiQ bereits ein. Damit ist sein Potenzial sicher längst nicht ausgeschöpft, denn insbesondere die dreidimensionale Verformbarkeit bietet ein neues Gestaltungsspektrum.
        
											
											
					
Sofa Funghi
Das Experiment mit Pilzen als Basis für die Herstellung nachhaltiger Werkstoffe ist im Designbereich seit Jahren populär. Großen Erfolg verbucht derzeit das kalifornische Biotechunternehmen MycoWorks mit seinem Flagship-Produkt Reishi, einem lab-gezüchteten Material aus Mycelium, der Wurzelstruktur von Pilzen. Reishi steht feinstem Leder haptisch und optisch in nichts nach. Rückenwind erhielt die Innovation, als 2021 die französische Luxusmodemarke Hermès eine Taschenkollektion aus dem Werkstoff lancierte. Das große Interesse ist inzwischen von der Mode- auf die Automobilindustrie übergesprungen und hat nun auch die Möbelbranche erreicht, die immerhin etwa 10 Prozent des weltweiten Leder- und Kunstledermarktes ausmacht. Im Dezember 2022 wurde die neueste Kooperation mit Ligne Roset bekannt gegeben. Damit ist die französische Traditionsmarke der erste Möbelhersteller, der die Lederalternative Reishi in seine Kollektion integriert. Bereits seit zwei Jahren arbeiten Ligne Roset und MycoWorks zusammen, um das neuartige Material so zu verfeinern, dass es den spezifischen Qualitätsstandards der Möbelindustrie entspricht. Die Premiere der Kollaboration wird noch in diesem Jahr mit Teneo erwartet, einer limitierten Kissenedition. Weitere Produkte sollen folgen.
        
											
											
					
Superholz aus Berlin
Es sind also nicht nur die nachhaltigen Eigenschaften, sondern auch neue Gestaltungsqualitäten, die viele der innovativen Materialien spannend machen. So auch Superwood vom Berliner Sofia Souidi Studio, ein neues Material aus recycelten Holzfasern und einem biologisch abbaubaren Leim aus Milchabfällen. „Mit einem experimentellen, spielerischen Ansatz verschieben wir die visuellen Erwartungen an recycelte Materialien und erforschen die visuellen Qualitäten von Holzfasern, um ein Material mit einer eigenen Ästhetik zu schaffen, das seine Verschnitt- oder Abfallinhaltsstoffe hervorhebt“, sagt Sofia Souidi. Noch kann Superwood nicht in Produktion gehen. In Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer-Institut für Holzforschung WKI wird der Werkstoff in puncto Funktionalität und Beständigkeit optimiert: Um den höchsten Verarbeitungsstandards gerecht zu werden.
        
											
											
					
Kork und Beton
Corcrete nennt sich ein weiterer, Erfolg versprechender Werkstoff aus den Naturmaterialien Kork und Beton. „Wir nutzen übrig gebliebenen, geschredderten Kork aus portugiesischer Produktion. Und sparen Sand ein. Dadurch ist Corcrete circa 40 % leichter als herkömmlicher Beton. Das ist natürlich auch positiv für Transport und Treibstoffverbrauch“, so Nina Ruthe und David Antonin von Studio Niruk, die Erfinder des Materials. Bereits 2016 hatten die Designer*innen ihr Material auf der Möbelmesse in Stockholm vorgestellt. Es wurde dort direkt mit dem Green Product Award ausgezeichnet. Nach einigen Produktionsversuchen mit verschiedenen Unternehmen fand sich jedoch erst 2021 mit Hartis in Belgien der passende Partner für die Fertigung. Das Material wartet mit einer besonders angenehmen, warmen Haptik und einem eigenen Muster auf. Wie bei Superwood oder Terrazzo setzt es auf die Sichtbarkeit seiner Komponenten. Es ist nicht nur optisch ansprechend, sondern auch widerstandsfähig und vielseitig im Interior einsetzbar: So hat das französisch-brasilianische Sneakerlabel Veja gerade für sein New Yorker Headquarter Möbelstücke – eine Bank und Wandregale – aus Corcrete fertigen lassen.
        
											
											
					
KI gegen CO2
Es müssen nicht immer neue Materialien und Kompositionen sein, auch anders beziehungsweise intelligent gedachte Herstellungskonzepte können viel in Sachen Klimaschutz bewirken. Das zeigt beispielsweise Alcemy. Um den CO2-Fußabdruck der Zement- und Betonindustrie deutlich und schnell zu reduzieren, hat das Berliner Start-up um Robert Meyer und Leopold Spenner eine Software entwickelt, deren Sensorik und Algorithmik sich direkt in die Zement- und Betonwerke sowie in den Betonfahrmischern einbringen lässt. Der Hintergrund: Zur stabilen Qualität von Beton und Zement wird der höchst klimaschädliche Zementklinker beigemischt. Mithilfe der Alcemy-Software lässt sich die Menge der Zugabe während der Herstellung genau spezifizieren und damit reduzieren. Somit wird Beton- und Zementherstellung kostengünstiger und CO2-ärmer bei gleichbleibend hoher Qualität.
        
											
											
					
Komplexe Gestaltungsmöglichkeit
Innovation gepaart mit Nachhaltigkeit treibt auch den Konzern Covestro, einen der weltweit führenden Hersteller von Hightech-Polymerwerkstoffen, zu zukunftsweisenden Entwicklungen an. Zur Kunststoffmesse K2022 haben Covestro und der Polyurethanprodukthersteller Arcesso Dynamics einen neuartigen, recycelfähigen Spritzgusswerkstoff vorgestellt: Arfinio hat das Aussehen und die Haptik herkömmlicher Solid-Surface-Werkstoffe (Bsp.: Corian), doch bietet es viele neue Vorteile für die Gestaltung. Dazu gehören: Hohe Widerstandsfähigkeit, Lichtstabilität und Reparierbarkeit sowie ein um 50 Prozent geringeres Produktgewicht im Vergleich zu herkömmlichen Mineralwerkstoffen, schnelle Produktion und mehr Designfreiheit. Produkte auf Basis von Arfinio trumpfen außerdem mit einer warmen, glatten Haptik auf. Um das Potenzial zu zeigen, ließ Covestro von dem Designer Thomas Schnur ein Möbelstück gestalten. Dessen Sitzschale ist aus dem neuen Werkstoff und die Basis ist aus Holz gefertigt. „Arfinio ermöglicht die Verschmelzung von Konstruktion, Funktion und Form in einer Weise, wie es die Natur tut. Komplexe Formen werden im Spritzgussverfahren möglich. Man braucht nach der Herstellung kein weiteres Coating. Diese Monomaterialität führt dazu, dass das Material später auch mechanisch zu neuen Arfinio-Produkten recycelt werden kann. Gibt es irgendwann Kratzspuren, lassen sich diese durch Schleifen einfach reparieren“, so Thomas Schnur.
Eins ist klar: Nachhaltigkeit ist kein Projekt, sondern ein Prozess. Lösungen gibt es nicht von heute auf morgen, denn zu komplex sind die Herausforderungen. Aber die genannten Innovationen zeigen, dass Nachhaltigkeit auch nicht immer mit Verzicht gleichzusetzen ist, sondern vielmehr der Türöffner für eine neuartige Gestaltungswelt sein kann.
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