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Möbelikonen Teil 2: Der Landi-Stuhl

Eidgenössischer Klassiker: Der Landi-Stuhl von Hans Coray erlebt bei Vitra seine Wiederauflage. 

von Norman Kietzmann, 06.05.2014

Vor genau 75 Jahren wurde die Schweizerische Landesausstellung („Landi“) am Zürichsee eröffnet. Im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stand ein Stuhl, der mit seiner leichten Aluminiumkonstruktion gleich mehrfach Designgeschichte geschrieben hat. Pünktlich zum Jubiläum wurde der Klassiker nun von Vitra erneut in Produktion genommen.

Klassiker und Schiffe haben eines gemeinsam: Sie brauchen einen sicheren Hafen, um nicht unverhofft in Seenot zu geraten. Der Landi-Stuhl hatte diesbezüglich gleich mehrfach Pech. Obwohl der Entwurf von Hans Coray zu den einflussreichsten Möbeln des 20. Jahrhunderts gehört, trieb er lange Zeit haltlos auf stürmischer See. Mehrfach wechselten die Hersteller und modifizierten das Design, während ein nur zögerlicher Vertrieb den kommerziellen Erfolg verhinderte. Dennoch avancierte der Entwurf zu einem Klassiker, den die Schweizerische Post 2004 mit einer eigenen Briefmarke bedachte – zusammen mit eidgenössischen Ikonen wie dem Sparschäler Rex und der Schweizer Bahnhofsuhr.

Nationale Leistungsschau
Seine Premiere hatte der Stuhl zur Schweizerischen Landesausstellung, die am 06. Mai 1939 am Zürichsee eröffnet wurde. Nur wenige Monate vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges stand die Schau ganz im Zeichen der „geistigen Landesverteidigung“. Um die Modernität der Schweiz auszudrücken, sollte ein offizieller Ausstellungsstuhl aus Aluminium entwickelt werden. Die Herstellung des Leichtmetalls hatte sich in der Schweiz bereits zu einem wichtigen Wirtschaftszweig entwickelt, für den die neu erbauten Wasserkraftwerke die nötige Energie lieferten. Dass der Zürcher Künstler und Gestalter Hans Coray (1906-1991) den Zuschlag erhielt, obwohl er zuvor noch nie Möbel entworfen hatte, erwies sich als Glücksgriff. Anstatt in den Konventionen der Schreinerzunft zu verharren, ging er ungleich radikaler ans Werk und schuf in nur wenigen Monaten das innovativste Möbelstück seiner Zeit.

Neue Typologie
Die Besonderheit des Entwurfs beruht auf seiner konstruktiven Raffinesse. Der vollständig aus Aluminiumdruckguss gefertigte Landi-Stuhl ist das erste absolut witterungsbeständige Möbel für den Außenbereich. Indem Hans Coray eine dreidimensional verformte Sitzschale mit einem separaten Untergestell kombinierte, schuf er eine grundlegend neue Typologie im Sitzmöbelbereich. „Bequem und leicht musste er sein. Auch durfte er weder zu heiß noch zu kalt werden“, sagt Henriette Coray, Witwe des 1991 verstorbenen Gestalters. Anders als Stahl hat Aluminium die Eigenschaft, die Körpertemperatur des Be-Sitzers sofort anzunehmen. Mit einem Gewicht von nur drei Kilogramm erwies sich das stapelbare Möbel zudem als besonders flexibel einsetzbar. 

Experimentierte Alvar Aalto fast zeitgleich mit seinen aus Bugholz geformten Sitzschalen, eroberte Hans Coray mit seinem Aluminiumstuhl zum ersten Mal die dritte Dimension. Die aus einem Stück gefertigte Schale folgt den Konturen des Körpers und macht sich die besondere Festigkeit des Materials zunutze. 91 Löcher, die in 13 Reihen aus der Rückenlehne und Sitzfläche gestanzt wurden, geben dem Möbel seine physische wie visuelle Leichtigkeit. Ausbalanciert wird die Sitzschale von einem Untergestell aus zwei U-förmigen Bügeln. Diese werden mithilfe zweier schlanker Traversen zu einem selbsttragenden Chassis verschweißt und dienen als Beine und Armlehnen in einem. 

Zögerliche Entwicklung
„Während der Landesausstellung gab es ein sehr gutes Echo, obwohl einige kritische Stimmen sogar von Emmentaler Käse gesprochen haben“, erinnert sich Henriette Coray. Auch wenn der Landi-Stuhl den Übergang von der Bauhaus-Moderne zu den organischen Formen des Fünfziger- und Sechzigerjahre-Designs markiert, blieb eine kommerzielle Verbreitung aus. Nachdem die Blattmann AG die 1500 Stühle für die Landesausstellung produziert hatte, wurde zunächst noch eine weitere Serie verkauft. Dass die Produktion ab 1940 ruhte und erst in den sechziger Jahren lediglich schleppend voranging, war ein hausgemachtes Problem. Schließlich handelte es sich bei dem Unternehmen nicht um einen Möbel-, sondern um einen Metallwarenhersteller. Nur wenn die Produktion von Teekannen, Sieben und anderen Haushaltsartikeln stagnierte, wurde eine neue Stuhlserie eingeschoben. 

Die Folge waren nicht nur lange Wartezeiten und eine nur unzureichende Vermarktung. Auch wurde der Entwurf mehrfach überarbeitet, ohne dass Hans Coray dazu sein Einverständnis gegeben hätte. So wurde die Anzahl der Löcher von sieben auf sechs Löcher pro Reihe reduziert, um die Produktion zu vereinfachen und Ermüdungsrissen vorzubeugen. In den neunziger Jahren hatte die Blattmann AG die Rechte an ein Nachfolgeunternehmen abgetreten, das bereits nach kurzer Zeit in den Konkurs ging. Kaum besser erging es der Westermann AG, die den Landi-Stuhl ab 2007 wieder produziert hatte. Aufgrund zu hoher Fertigungskosten und ungelöster Qualitätsprobleme wurde der Lizenzvertrag im Dezember 2011 aufgelöst. „Ich habe sogar schon mit dem Gedanken gespielt, den Stuhl einfach sterben zu lassen“, sagt Henriette Coray. 

Finaler Neustart
Dass es dazu nicht kommen musste, hat sie Vitra-Chef Rolf Fehlbaum zu verdanken. Bereits vor 30 Jahren hatte das Schweizer Unternehmen erste Gespräche mit Hans Coray geführt, die jedoch aufgrund zu hoher Produktionskosten gescheitert waren. Durch verbesserte Fertigungstechniken können nun mehrere Bauteile, die zuvor von Hand gefertigt wurden, auf industrielle Weise erzeugt werden. Während dadurch die Qualität verbessert wurde, konnte der bisherige Kaufpreis halbiert werden. Beide Faktoren sind entscheidend, um der Schweizer Designikone einen Neustart zu erlauben. 

„Es gibt ein Foto, das gemacht wurde, als mein Vater Charles und Ray Eames in den frühen sechziger Jahren in ihrem Haus besucht hat“, erinnert sich Rolf Fehlbaum. „Im Hintergrund sieht man den Landi-Stuhl, den beide sehr geschätzt haben. In den achtziger Jahren erzählte mir Ray Eames, dass ihnen der Stuhl von der Terrasse gestohlen wurde. Also habe ich ihnen wieder zwei neue Exemplare besorgt.“ In gewisser Weise schließt sich damit der Kreis. Pünktlich zum 75-jährigen Jubiläum ist der Landi-Stuhl nicht nur bereit für eine weitere Wiederauflage. Er erhält die Chance, sich in die Reihe jener Designikonen zu stellen, denen er zuvor den Weg geebnet hatte.

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