Der Charme des Narrativen
Im Atelier des Berliner Maßschneiders Robert Vogdt
Partner: USM
Gewiss nicht von der Stange: Der Berliner Maßschneider Robert Vogdt hat sein Atelier in einer ehemaligen Kreuzberger Glühbirnenfabrik bezogen: Kunstwerke und Antiquitäten treffen hier zu einer persönlichen Mischung aufeinander, die längst nicht nur für eine gute Arbeitsatmosphäre sorgt. Die Inneneinrichtung stimuliert zugleich für ausklingende Gespräche.
Die Welt besteht nicht nur aus Schwarz und Weiß. Es sind die Zwischentöne, die den Reiz ausmachen: „Ich schätze die klaren, auf Funktionalität ausgerichteten Formen der modernen Architektur. Andererseits mag ich auch die Gemütlichkeit einer reich verzierten Altbauwohnung mit knarrendem Fischgrätparkett“, sagt der Berliner Maßschneider Robert Vogdt. In seinem Kreuzberger Atelier treffen beide Raumeindrücke zusammen. Im Gebäude an der Möckernstraße sind einst Glühbirnen produziert worden. Heute werden die Räume von der Axel Springer Stiftung an kreative Einrichtungen wie Künstlerateliers, eine Bronzegießerei sowie eine Tanzschule vermietet.
Messen und Probieren
Auf einer 210 Quadratmeter großen Fabriketage empfängt Robert Vogdt die Kunden. Vorne wird gearbeitet. In den hinteren Räumen wird gewohnt. „Die salonartige Atmosphäre sorgt für Vertrauen. Immerhin ist das Ausmessen, Anprobieren und Besprechen eines Anzuges ein ziemlich intimer Prozess, sowohl was geschmackliche als auch körperliche Veranlagungen anbelangt. Ich glaube nicht, dass es in einem belebten Ladengeschäft in ähnlich konzentrierter Situation stattfinden könnte“, sagt Robert Vogdt. Die Kunden finden den Weg in sein Atelier vor allem durch die Empfehlung von Freunden und Kollegen. Geordert wird weit mehr als reine Gesellschaftskleidung oder formelle Business-Garderobe. Auch bequeme Alltagskleidung lassen sich mehr und mehr Kunden auf den Leib schneidern.
Rollendes Pult
Ein Großteil der Kunstwerke, mit denen sich der Schneider umgibt, stammt von befreundeten Künstlern. Ein Teil der Möbelstücke kommt aus dem Fundus der Familie, genauso wie ein ausgestopfter Fasan, ein Turmfalke und ein handgeschnitzter Elefant seines Großvaters. Das Ergebnis: Fast immer stehen persönliche Geschichten hinter den Dingen. Sie befreien die Inneneinrichtung aus der Beliebigkeit und sorgen für eine eigene, atmosphärische Mischung. Die kubische 24kHz-Neonleuchte zum Beispiel ist ein Unikat des Industriedesigners Julius Lehniger, der sie ihm im Tausch gegen Anzüge für ihn und seine Assistenten gab. In einem Rahmen hängt eine Peitsche, mit der der Künstler Julius von Bismarck das Meer und das Gebirge auspeitschte. Der große Anprobespiegel sowie das rollbare Schreibpult wurden von der eng befreundete Künstlerin Ekaterina Burlyga mit Teilen vom Schrottplatz in der Metallwerkstatt der Berliner Universität der Künste zusammengeschweißt. „Das Pult ist ein sehr essentielles Möbelstück für mich. Denn dort schreibe ich mir die Maße auf. Auf Rollen kann ich es durch den Raum bewegen“, erklärt Robert Vogdt.
Billard im Ohr
Der Auswahlprozess der Stoffe erfolgt auf einem Jugendstil-Billardtisch, der seinem Vater gehörte. „Wenn er früher aus dem Büro kam, spielte er immer noch ein paar Kugeln. Dieses Geräusch hat meine Kindheit geprägt“, erinnert sich Robert Vogdt, der in Frankfurt am Main geboren wurde und beim Hamburger Maßatelier Marc Anthony seine Lehre absolvierte. Auch der Zufall spielte bei der Einrichtung eine Rolle: Der alte Singer-Nähmaschinentisch mit gusseisernem Trittrad stand herrenlos auf dem Innenhof. „Woher er kam, weiß ich nicht. Doch es wirkte wie ein Wink des Schicksals, dass ich am richtigen Ort gelandet war. Ich hatte ja gerade den Mietvertrag unterschrieben“, sagt der 31-Jährige.
Aus der Versenkung geholt
Die Atmosphäre des Innenraums basiert auf einer organisch entwickelten Balance: „Viele Kunstwerke sind sehr reduziert in ihrer Ästhetik. Die hölzernen Möbel oder die bernsteinfarbenen Lampen bilden dazu einen schönen Kontrast“, sagt Robert Vogdt. Einen warmen Farbakzent setzt eine Kommode von USM, die lange im Büro seines Vaters stand. Als die Familie Mitte der neunziger Jahre aufs mecklenburgische Land gezogen ist, geriet das Möbelstück in Vergessenheit. „Irgendwann hat mein Vater sie wieder aus der Versenkung geholt und in einem Sahara-Ton spritzen lassen. Das ist eine warme organische Farbe, die fast schon etwas Viktorianisches hat“, erinnert sich Robert Vogdt. Auf der Kommode ruht heute ein tragbarer Vintage-Plattenspieler, der trotz seiner eigenen, integrierten Boxen mit einem externen Lautsprecher verstärkt wird.
Ausklang des Termins
„Wenn Kunden mein Studio zum ersten Mal betreten, kommt es meistens schon zu einem kleinen Aha-Effekt. Das hängt aber sicher auch damit zusammen, dass der etwas heruntergekommene Treppenaufgang sicher nicht gerade vielversprechend wirkt und daher ein größeres Überraschungsmoment besteht“, sagt Robert Vogdt. Wenn die Kunden zu ihm kommen, bringen sie meist Zeit mit. Der Termin geht dann häufig über ein reines Arbeitstreffen hinaus. „Nach dem Vermessen des Anzugs bei einem Glas Wein und entspannter Musik noch ein wenig zu verweilen und sich unter anderem über Kleidung und Stil auszutauschen, macht sicher für viele einen Teil des Gesamtpakets aus“, erklärt Robert Vogdt. Mit seinem Kreuzberger Atelier hat er eine passende Umgebung gefunden – in der wie bei seinen Kreationen nichts von der Stange ist.
FOTOGRAFIE Daniel Müller / Freunde von Freunden
Daniel Müller / Freunde von Freunden
USM
Das USM Möbelbausystem Haller wurde zwischen 1962 und 1965 entwickelt. Der bekannte Klassiker wird in der Bürowelt, in öffentlichen Bauten wie auch im privaten Bereich eingesetzt. Die Ende 2001 erfolgte Aufnahme in die Design-Sammlung des Museums of Modern Art MoMA in New York (USA) ist eine hohe Auszeichnung und bestätigt den Kunst-Charakter des Produkts.
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