Raumsequenzen in der Grotte
Casa Gruta in Mexiko von Salvador Román Hernández und Adela Mortéra Villarreal

Auf der Suche nach einem Ruhepol abseits der Schnelllebigkeit unserer Zeit entwarfen die Architekt*innen Salvador Román Hernández und Adela Mortéra Villarreal einen Rückzugsort, der lokale geologische Besonderheiten widerspiegelt und diese mit dem kulturellen Erbe der Region verbindet.
Casa Gruta ist ein Experiment – ein Raumexperiment, das irgendwo zwischen Urhütte und Höhle angesiedelt ist. Die Architektur des Wohnhauses in Valladolid, Mexiko, als reduziert zu beschreiben, wäre untertrieben. Sie ist rudimentär, düster, archaisch. Schroffe Betonflächen und dämmriges Licht schaffen eine Atmosphäre, die an den Mariendom in Neviges erinnert. Wenn Gottfried Böhm ein Wohnhaus in Mexiko gebaut hätte, hätte es vielleicht so ausgesehen.
Höhle mit Wasser
Die Architekt*innen beschreiben ihr Projekt als bewohnbare Skulptur, wobei Analogien zu Höhlen und Grotten kein Zufall sind. Die Referenz der Höhle spiegelt sich nicht zuletzt im Namen Gruta (Höhle oder Grotte) wider. Eine typische geologische Formation der Halbinsel Yucatán sind Cenoten, durch eindringendes Regenwasser im Karstgestein geformte Aushöhlungen. Sie dienten als Vorbild für den Bau. Das Wort Cenote ist aus der Mayasprache abgeleitet und bedeutet so viel wie „Höhle mit Wasser“. Unter fortschreitender Erosion des Gesteins stürzen die Felsdecken ein und erzeugen ein atemberaubendes Naturschauspiel: Die unterirdischen Wasseransammlungen leuchten im einfallenden Sonnenlicht türkis, nach und nach bahnt sich die Vegetation über lange Ranken ihren Weg in die Grotte. Für die Maya waren Cenoten nicht nur ein Wasserreservoir, sondern wurden auch als heilige Orte für Rituale und Opfergaben genutzt.
Wohnen unter dem Tonnendach
Die Raumabfolge des Gebäudes ist an die in der Natur zu findenden Sequenzen aus Tunneln, Gewölben und lichtdurchfluteten Orten mit Wasserflächen angelehnt. Elemente der Mayakultur wie das Reinigungsbecken am Eingang zur Cenote sind in den Bau integriert. Auf einem langen, schmalen Grundstück erstreckt sich der schlauchartige Grundriss, bei dem sich drei Schlafräume und ein zentraler Wohnbereich aneinanderreihen. Jedem Schlafraum ist ein kleiner, nach oben offener Patio zugeordnet. Ebenso öffnet sich der lediglich von einem Tonnendach überdeckte Wohnbereich zu einem Außenraum mit Wasserfläche. Das Tonnendach ist von einem Zylinder durchstoßen, in dem sich die Wendeltreppe zur Dachterrasse verbirgt.
Ort der inneren Einkehr
Casa Gruta ahmt die räumlichen Besonderheiten der Cenoten nach, um einen mystischen Ort der Ruhe zu schaffen. Es soll ein Ort der Kontemplation, der inneren Einkehr sein, an dem man über Beständiges und Vergängliches nachdenken kann, während die betriebsame Außenwelt hinter hohen Betonwänden ausgeblendet wird. Ähnlich wie bei Böhms Mariendom ist es die Mischung aus felsartigem Beton und spärlichen, wohlüberlegten Lichtpunkten, die es vermag, einen weltentrückten Raum zu kreieren, der fremd und doch vertraut erscheint.
Hommage an die Natur
Graugrün pigmentierter Beton umhüllt allseitig die Räume. Diese Referenz an die grüne Umgebung ist nicht das einzige Gestaltungsmittel, um Gebäude und Naturraum miteinander zu verbinden. Einbauten sowie Tür- und Fensterrahmen sind aus warmbraunem Zedernholz gefertigt. Die spartanische Inneneinrichtung führt die Naturfarben fort: Die wenigen Textilien sind in Beige und Braun gehalten, goldfarbene Armaturen verweisen auf Bodenschätze. Zahlreiche Bäume, die den Ort bereits vor dem Bau prägten, wurden in das Wohngebäude integriert. Sie durchbrechen an mehreren Stellen Boden- und Dachflächen. Der Bau verzahnt sich räumlich und materiell mit seiner Umgebung, sodass die Grenzen zwischen Gebautem und Gewachsenem verschwimmen.
Inszenierte Räume
Die Raumsequenzen spielen mit der Wirkung von Licht und Schatten: Schmale Durchgänge sind als düstere Passagen konzipiert und Quellen einfallenden Lichts werden dramatisch überhöht. Das Durchwandern der Räume wird zu einer Aneinanderreihung verschiedener Stimmungen. Allen Raumsituationen ist das Gefühl der Begrenzung gemein, da der Blick stets durch Mauern beschränkt ist und auch den Fensteröffnungen – wie in den Schlafräumen oder der Küche – jeweils ein baulich umgrenzter Außenraum vorgelagert ist. Nur in der Hängematte, die Augen gen Himmel gerichtet, oder auf der Dachterrasse inmitten der Baumwipfel weitet sich der Blick und man taucht in den umgebenden Naturraum ein.
FOTOGRAFIE Fabian Martinez Fabian Martinez
Adela Mortéra Villarreal
www.instagram.com/adelamorteraAndres G. Briceño Durán
www.instagram.com/andres_gbdMehr Projekte
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