Aus dem Schlaf erwacht
Kern Architekten sanieren das Vöhlinschloss im Unterallgäu

Mit regionalen Baustoffen und alten Handwerkstechniken erweckt das Team von Kern Architekten das denkmalgeschützte Schlossgebäude in Frickenhausen aus dem Dornröschenschlaf. Dabei wird die private Wohnnutzung mit einer kulturellen Begegnungsstätte im Erdgeschoss kombiniert.
Wer sich an einen Schlossumbau wagt, braucht Mut und Geduld, auch wenn es sich nicht um Versailles, sondern um einen Familiensitz der ehemaligen Handels- und Patrizierfamilie Vöhlin handelt. Das über 500 Jahre alte und mit Efeu überwucherte Schlossgebäude mitten im Ort Frickenhausen stand zum Verkauf, als sich die Gemeinde an Kern Architekten wandte, mit der Bitte, sich dieser Herausforderung anzunehmen. Schon bei der ersten Besichtigung waren Anna Kern und Sebastian Heinzelmann, die beiden Partner*innen des Büros, von dem altehrwürdigen Bau begeistert. Sie erwarben das Schloss und sanierten es in enger Abstimmung und unter fachlich-restauratorischer Begleitung durch die Untere Denkmalschutzbehörde sowie das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege.
Wohnraum mit Mehrwert
Zukünftig sollte das Gebäude als Wohnraum für das Architektenpaar mit zwei Kindern dienen. Zugleich sollten Umbau und Sanierung des Baudenkmals einen gesellschaftlichen Mehrwert schaffen. Dies gelang durch die Instandsetzung der ortsbildprägenden Fassade ebenso wie durch die Öffnung des Gebäudes für Besucher*innen. Die Einrichtung einer halböffentlichen Nutzung im Erdgeschoss erlaubt es den Bauherr*innen und der Gemeinde regelmäßig Veranstaltungen und Schlossführungen durchzuführen.
Collage der Epochen
Die historischen Mauern sind eine Addition verschiedener Epochen und Stile, die es in ihrer besonderen Qualität zu berücksichtigen und zu stärken galt. Der ursprüngliche mittelalterliche Satteldachbau umfasst drei Geschosse und ist von zwei markanten Turmbauten an den diagonal gegenüberliegenden Gebäudeecken gerahmt. Im 18. Jahrhundert erfolgte ein Dachausbau durch Zwerchhäuser und der Rittersaal erhielt eine Rokoko-Stuckdecke. Bei den Sanierungsmaßnahmen wurde großer Wert darauf gelegt, diese historischen Oberflächen und Bauteile zu erhalten. So wurde beispielsweise auch das bestehende Holztragwerk hinsichtlich notwendiger Auswechslungen geprüft und bei Bedarf Ersatzhölzer mithilfe historischer Verbindungen eingefügt.
Regionale Baustoffe und Handwerkskunst
Zur statischen Ertüchtigung kamen Stahlbauteile und ein Ringanker aus Beton zum Einsatz, ansonsten wurden vorrangig natürliche Materialien verwendet. Die Putzsanierung erfolgte mithilfe eines rein trockengelöschten Kalkputzes nach dem Vorbild des Bestands, um die Verträglichkeit zwischen alten und neuen Schichten zu gewährleisten. Statt industriell vorgefertigter Produkte entschied sich das Team von Kern Architekten für das Bauen mit regionalen Rohstoffen in enger Abstimmung mit den beteiligten Handwerksbetrieben. So kamen Sand aus Frickenhausen, Sumpfkalk aus Altmannstein und Fichtenholz aus dem Sachsenrieder Forst zum Einsatz. Bemerkenswert ist die detailgenaue Auseinandersetzung mit den vorhandenen Material- und Farbschichten, die aufgegriffen, vor Ort bemustert und nachgebildet wurden. Durch die Freilegung vermauerter Öffnungen wie den Schießscharten wurde zudem das ursprüngliche Bild des Ensembles wiederhergestellt.
Blick nach vorn
Die ungewöhnliche Bauaufgabe und der behutsame Umgang damit zeigen, dass eine Denkmalsanierung nicht nur rückwärtsgewandt und auf das Instandsetzen des Vergangenen ausgerichtet ist. Vielmehr rückt das Projekt alte Techniken, Materialien und den pragmatischen Ansatz des additiven Bauens wieder in den Fokus – ein Ansatz, der angesichts der ökonomischen und ökologischen Herausforderungen der Bauindustrie zukunftsweisend ist. Anna Kern sagt dazu: „Wir sind überzeugt, dass sich in der Arbeit mit Denkmälern ein großes Wissen verbirgt, von dem auch innovative Bauweisen profitieren können. Wiederverwendung und ein ressourcenschonender Umgang waren in der Vergangenheit ganz selbstverständlich.“
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