Projekte

Ferien mit Michele De Lucchi

Nachhaltige Urlaubsarchitekturen in Südtirol

Michele De Lucchi hat in Südtirol einen alten Gasthof um zwei Häuser mit sechs Hotelsuiten erweitert, die komplett aus Holz gefertigt sind. Nachhaltigkeit stand für den Mailänder Architekten bei dem Projekt im Vordergrund. Ein Besuch in Radein.

von Claudia Simone Hoff, 29.07.2020

In den letzten Jahren sind in Südtirol einige gestalterisch ambitionierte Gebäude wie Hotels und Restaurants entstanden – von einheimischen Architekten wie Matteo Thun, Markus Tauber und Pedevilla Architekten. Nun kommt noch ein weiterer illustrer Name hinzu: Michele De Lucchi, Memphis-Mitbegründer und Erfinder der Tolomeo-Leuchte. In Radein – einem kleinen Dorf, das gut eine Stunde Autofahrt südlich von Bozen liegt – hat der Mailänder Architekt und Designer ein Herzensprojekt verwirklicht: die Häuser der Wiese. Sie gehören zum Zirmerhof, einem Bauernhof, der seit Ende des 19. Jahrhunderts auch ein Gasthof ist. Die Alleinlage auf 1.560 Metern Höhe könnte idyllischer nicht sein: Auf hügeligen, saftigen Wiesen grasen Highland-Kühe, ein von Wald umstandener Weiher lockt mit kühlem Nass, während der Blick über die Weite des Tals auf die imposanten, schneebedeckten Dolomiten fällt.

Die Stille der Berge
Michele De Lucchi hatte sich während einiger Ferienaufenthalte in den Ort verliebt und Freundschaft mit dem Hotelbesitzer Sepp Perwanger geschlossen, der den Gasthof vor zehn Jahren von seinen Eltern übernommen und kontinuierlich ausgebaut hat. Gemeinsam hatten sie die Idee, das Hotel um einige Suiten zu erweitern. Doch schwebte ihnen nicht einfach nur ein gewöhnlicher Anbau vor: Etwas architektonisch Besonderes sollte es sein. Er hatte genug davon, von der Terrasse des Hotels auf einen Parkplatz zu schauen, erzählt Perwanger, als wir ihn kurz nach Fertigstellung im Zirmerhof treffen. Also wurde der Parkplatz kurzerhand weiter nach unten verlegt und für das freie Grundstück wurden zwei neue Gebäude als Niedrigenergiehäuser geplant – mit lediglich zwei beziehungsweise vier Zimmern, die zwischen 65 und 100 Quadratmeter groß sind und den Spagat schaffen, gleichzeitig behaglich und luxuriös zu sein.

Aus Wald gemacht
Die Geschichte hinter den Häusern der Wiese ist ziemlich dramatisch: Vor zwei Jahren verwüstete der Sturm Vaia in Radein und Umgebung Tausende von Hektar Wald, darunter auch große Flächen aus dem Besitz von Sepp Perwanger. Doch der zog aus dem Unglück etwas Positives und hatte gemeinsam mit Michele De Lucchi eine gute Idee: Die Häuser der Wiese sollten komplett aus dem Holz der vom Sturm gefällten Lärchen- und Tannenbäume gefertigt werden – ein zwar zeitlich und technisch aufwändiges, doch dafür sehr nachhaltiges Unterfangen. Dabei war es dem Bauherrn wichtig, ausschließlich mit lokalen Handwerkern wie Tischlern und Schreinern zusammenzuarbeiten – die ganze Wertschöpfung sollte in der Gemeinde bleiben. In Radein ist möglich, was es nur noch selten gibt: Der gesamte Kreislauf, den es braucht, um aus den eigenen Bäumen ein Haus zu bauen – vom Forstarbeiter über das Sägewerk bis hin zur Trockenanlage. Dieser ganzheitliche Ansatz war es wohl auch, der Michele De Lucchi an diesem Projekt so reizte, denn für ihn ist das Material Holz „die Brücke zwischen dem Menschen und der Natur“, wie er sagt.

Die Scheune stand Pate
An einem Klausurwochenende mit Michele De Lucchi im Zirmerhof „bekamen wir eine fixe Idee davon, wie das Projekt aussehen sollte“, erzählt der Hotelier. Die Idee: ein kreisförmiges Haus (Pavillon) mit zwei Suiten und ein linear gestaltetes Haus mit vier Suiten (Maisonette), die durch einen Gemeinschaftsraum auf zwei Ebenen zusammengefasst werden. „Es handelt sich um zwei vollständig aus Holz gebaute Objekte, die ausdrücklich dazu bestimmt sind, den Blick nicht zu verstellen und die Wiese, die sich in Richtung Tal erstreckt, ‚einzurichten‘“, sagt der Mailänder Architekt. Perwanger brachte De Lucchi mit Robert M. Veneri zusammen, einem Architekten aus Bozen, der bereits früher für den Zirmerhof gearbeitet hatte. Fortan bildeten die beiden ein unzertrennliches Gespann – mit ähnlichen, teils sehr philosophischen Vorstellungen von Architektur und Gestaltung und dem Hang zur Perfektion. So ließen sie beispielsweise die beiden Häuser mit Holzlatten im Maßstab 1:1 als Modell vor Ort aufbauen – um zu erkunden, ob und wie die Volumina funktionieren würden.

Der Aufwand hat sich gelohnt, denn die Häuser der Wiese wirken so, als hätten sie schon immer dort gestanden. Das liegt zum einen an der auffällig abgerundeten Form des Pavillon-Gebäudes, die an traditionelle Scheunen der Gegend erinnert und einen Bogen ins Hier und jetzt schlägt. Und natürlich am Material Holz, das man sieht, riecht und unbedingt berühren möchte. Dabei wurde sämtliches Holz verwendet, auch solches mit vermeintlichen Fehlstellen wie auffällige Verästelungen. „Für den Bauern ist das eigene Holz immer das schönste Holz“, sagt Perwanger und lacht. Auffällig sind vor allem die feinen Lärchenschindeln, mit der die Dächer gedeckt und die handgespalten sind. Leuchten sie jetzt noch in Honiggelb, werden sie mit der Zeit und der Witterung nach und nach in ein Silbergrau verwandelt. So verändern sich die Gebäude mit der Natur, werden quasi ein Teil davon. Auch im Interieur ist Holz der bestimmende Werkstoff, der mit Materialien kombiniert wird, die ebenso natürlich wie haptisch sind: silbrig glänzender Silvretta-Naturstein in den Bädern und handgewebte Wollteppiche im Wohnraum beispielsweise.

Hang zum Spielerischen
Die Suiten in beiden Häusern sind als Open Space gestaltet und vereinen die Funktionen Wohnen, Schlafen und Baden. Teilweise kann man in den Zimmern auch kochen – mit einer maßgefertigten Küchen-Pantry aus Nussbaumholz, die ausgestattet ist mit Spüle, Herd und Geschirrspüler. Das Interieurdesign wurde ebenfalls von Michele De Lucchi und seinem Büro AMDL Circle entworfen – samt speziell für das Projekt gefertigten Möbeln, Leuchten und Teppichen. Alles greift ineinander: Materialien, Farben, Formen. So taucht beispielsweise das geometrische Muster mit kleinen Rechtecken auf den gewebten Teppichen, den Beinen der Holzbetten und den Fronten der Kleiderschränke auf. Auffällig ist De Lucchis Liebe zum Detail, wenn beispielsweise an den Ecken der Holzrahmen der Badezimmerspiegel zusätzliche runde Spiegel eingelassen sind. Manchmal kommt seine Detailfreude auch sehr spielerisch daher, betrachtet man die „Durchreiche“ zwischen Schlafraum und Walk-in-Dusche, die alles andere als funktional ist. Oder das Readymade-Objekt Petali, das aus zusammengeschraubten Porzellantellern eine dekonstruktivistische Etagere macht. „Alles greift die alte Philosophie des Zirmerhofes auf, wo alles ein Detail ist, alles verdient Aufmerksamkeit und Sorgfalt, so dass, wo auch immer man hinschaut, der Geist Ruhe findet und ihn nichts stört“, so De Lucchi.


Die Häuser der Wiese sind ein Gesamtkunstwerk aus Architektur, Kunst und Design, wie es auch Gestalter eines Kalibers wie Michele De Lucchi nur selten in solcher Reinform umsetzen können. Dazu braucht es mutige Auftraggeber, die den Mehrwert von guter Gestaltung und Nachhaltigkeit erkennen und bereit sind, dafür Geld auszugeben – was gerade in der jetzigen wirtschaftlichen Situation ein Wagnis ist. Sepp Perwanger indes spricht weniger von einem Wagnis als vielmehr von einer „Herzensangelegenheit, einer Verbundenheit mit dem Ort“. Das nächste Projekt hat er übrigens auch schon im Kopf: Michele De Lucchi soll die Etiketten und Verpackungen für die Flaschen des selbst angebauten Weins gestalten.

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Projektinfos
Entwurf Michele De Lucchi (AMDL Circle), Mailand
Projektarchitekt Robert M. Veneri, Bozen
Bauherr Sepp Perwanger, Radein
Standort Radein, Südtirol
Bauaufgabe Ergänzungsbauten Hotel Zirmerhof
Möbel, Leuchten & Accessoires
Möbel Michele De Lucchi (custom made)
Leuchten Michele De Lucchi (custom made), Tolomeo von Michele De Lucchi (Artemide)
Armaturen Titian von Michele De Lucchi (Rubinetterie Stella)
Dunstabzugshaube Elica
Kleinelektrogeräte Espressokocher Pulcina von Michele De Lucchi (Alessi), elektrischer Wasserkocher Plissé von Michele De Lucchi (Alessi)
Innenausbau
Balken und tragende Wände Tannenholz
Schalungen, Verkleidungen, Innenwände Lärchenholz
Küche Pantry (custom made)
Links

Architekt & Interiordesigner

Michele De Lucchi/ AMDL Circle

amdlcircle.com

Projekt

Hotel Zirmerhof, Radein (Südtirol)

www.zirmerhof.com

Wie sich Südtirol mit guter Gestaltung neu erfindet

www.baunetz-id.de

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