Als die Locher lachen lernten
2000-2020: Humorvolle Produkte von Alessi, Koziol & Co
Wer die Form sucht, die nur der Funktion folgt, der hat rund um die Nullerjahre einen der schwierigsten Momente der Designgeschichte erlebt. Denn in den Kreativschmieden von Herstellern wie Alessi oder Koziol entstanden Anfang des neuen Millenniums allerhand bunte Dinge, die winkten, feixten, nach Keks rochen oder einem während des Gebrauchs etwas vorturnten.
Zum Jahrtausendwechsel beschäftigten sich Designer mit den kleinen, bisher unscheinbaren Dingen des Alltags: Sie nahmen sich der Haushaltsgegenstände an. Sie hinterfragten die Form archetypischer Objekte wie Wäscheklammern, Seifenspender oder Brotdosen. Sannen über die Form von derlei Produkten nach, die so weit hinter ihrer Funktion zurückstehen, dass in Bezug auf ihren Namen Unsicherheit herrscht. Wie heißt beispielsweise der Rollenhalter für Haushaltstücher? Oder das Ding, mit dem sich nasse Fliesen abziehen lassen? 2000 bekamen sie, wenn schon namenlos, wenigstens ein Gesicht und damit Distinktionsmerkmale.
Besen mit Irokesen
Der Konsument konnte wählen: lieber eine Spülbürste mit Kulleraugen, mit Beinchen oder einem frechen Igelschnitt? Was sonst eigentlich nur in der Mode als typologisch galt und in zweiter Instanz vielleicht bei den Möbeln, breitete sich jetzt auch in Besteckschubladen und Badezimmern aus, bezog Vorratskammern und Handschuhfächer: die Individualisierung des Menschen durch den Charakter seines Besitzes. Während Konsumenten ihren persönlichen Ausdruck bisher mithilfe von Gürteln, Schuhen und Sofalandschaften suchten, beeinflusste die eigene Lebensphilosophie jetzt auch die Wahl der Spülbürste oder der Wäscheklammer.
Glück aus Plastik
Bei all den fröhlichen Produkten ging es der italienischen „Dream Factory“ Alessi oder der „Glücksfabrik“ Koziol vor allem darum, die Menschen auf einer emotionalen Ebene anzusprechen. Das funktioniert am direktesten, wenn man sich menschlicher Mimik und Gestik bedient. Da recken sich Ärmchen, da lachen die Locher, da bleckt der Flaschenöffner die Zähne gen Kronkorken. Eine andere Ebene der Ansprache ist die über einen lustigen Akt. Wie sich die Produkte dabei verhalten, ist typisch für die Zeiten vor Youtube, in denen noch über Heimvideos bei „Pleiten, Pech und Pannen“ gelacht wurde. Zum Kichern verleitet auch das Magic Bunny, das Stefano Giovannoni für Alessi gestaltet hat. Zieht man dem Kaninchen die Ohren lang, zaubert es ein paar Zahnstocher aus dem Hut. Salz- und Pfefferstreuer Lilliput hingegen führen einen Poledance auf. Den Stunt ermöglichen kleine Magnete, die die Eierköpfe in ihren Moonboots versteckt haben. Auch dieser Entwurf stammt von Giovannoni. Ebenso wie Nutty, ein Nüsse knackendes Eichhörnchen oder Mary Biscuit, die vanillig duftende Keksdose.
Von superlustig bis supernormal
Kunterbunte Produkte mit vordergründig originellen Qualitäten, deren Lustigkeitskurve nach dem ersten „Ha!“ schon wieder absackt, können uns heute kaum mehr begeistern. Sie stehen für die Art von Humor, die wir Haushaltsmitgliedern im Vorschulalter zugestehen. Auf der anderen Seite könnten wir uns aber auch fragen, warum wir 2020 nichts mehr zu lachen haben (wollen). Waren die fröhlichen Accessoires von 2000 nicht auch Ausdruck einer sorglosen Grundstimmung? Schon ein paar Jahre nach den Chimären aus Haustier und Haushalt wandten wir uns den Ikonen des Supernormalen zu, den Post-its, BIC-Kugelschreibern und dem Industriegeschirr. Auch schön, aber vergleichsweise trist. Sie zogen in ein Leben ein, das nicht mehr die New Economy feierte, sondern sie schon als Dotcom-Blase abgehakt hatte. Ist die Laune unserer Dinge am Ende vor allem ein Spiegel des Zeitgeistes?
Der Designer als Humorist?
Designer suchen immer die perfekte Form für die Funktion eines Produktes und können daran nur scheitern. Ein fehlerloser Gestalter ist eigentlich nur die Natur. Oder wie Bruno Munari es mal formulierte: „L'uovo ha una forma perfetta, benché sia fatto col culo“ – ein Ei hat die perfekte Form, auch wenn es von einem Hintern gelegt wird. Um also die kleinen Unstimmigkeiten, Mängel und Makel von Form und Funktion zu verstecken, überstrahlen Gestalter sie mit der äußeren Hülle. Mal mit dekorativer Schönheit – und mal mit Humor. Und vielleicht sollten wir uns bei aller Ernsthaftigkeit hier und da ein Augenzwinkern erlauben. Solange die Dinge nicht zurückzwinkern.
Dieser Artikel ist Teil des Dossiers: 2000-2020: 20 Jahre Interior & Design