Character Capital
Hinterhofgaragen, Industrielofts, günstige Mieten und ein internationales Publikum: Berlin ist Künstlermagnet und Kreativschmiede. Als sich ständig in einem dynamischen Wandel befindlicher Spielplatz bietet Berlin Gestaltern aus aller Welt eine Plattform. Besonders treten die Professionen hervor, deren Werke in Galerien, Museen und Shops mannigfaltig präsent sind: Grafiker, Künstler, Produktdesigner, Möbelgestalter und Innenarchitekten. Mit ihnen, so nimmt man gemeinhin an, hat sich die deutsche Hauptstadt den von der UNESCO verliehenen Titel City of Design verdient. Dass auch die Berliner Buchstaben der Typografie-Designer weltweit eine große Rolle spielen, ist weniger bekannt. Zwei Ausstellungen beleuchten derzeit die Berliner Schriftgestalter-Szene und holen die Protagonisten aus den Hinterhofgaragen ins Rampenlicht.
Berlin wird gern mit New York verglichen. Nicht mit dem von heute, versteht sich, sondern mit dem New York der achtziger Jahre. Als Brooklyn noch ein bisschen so war wie heute Kreuzkölln und Manhatten wie der Prenzlauer Berg. Es pflegt sein Image der konstanten Dynamik und ist sich einer Zuneigung von innen und außen sicher. Der Berliner selbst, ob eingeboren oder zugezogen, gibt seine Gunst freilich nicht allzu offenherzig zu. Schließlich ist der Pessimismus quasi ein städtisches Kulturgut. Denn der Berliner Kreative hat zwar geringe Lebenshaltungskosten, dem Publikum fehlt jedoch auch das Geld für die Kunst. Der reisende Berliner hingegen zeigt seine wahre Haltung, wenn er unverhohlen stolz auf die überschwängliche Begeisterung eines Ausländers über seine Heimatstadt reagiert. Berlin ist trotz frisch asphaltierter Pflaster-Straßen, weniger Hundehaufen und dem immer wieder zuschlagenden Strukturwandel immer noch der Ort, an den es die unzufriedene Kleinstadt-Bohème auf der Suche nach künstlerischer Verwirklichung zieht. Und die macht Berlin nicht nur vielfältig, sondern vor allem auch vielschichtig. Oft haben die verschiedenen kreativen Professionen nur wenig Überschneidungspunkte miteinander, sie existieren übereinander wie die Layer eines Grafikprogramms: Erst alle Lagen ergeben ein Ganzes, doch trotzdem ist jede Ebene für sich autonom. Da gibt es das Netzwerk der Architekten, das der Designer oder der Grafiker. Und selbst, wenn sie interdisziplinär arbeiten, dann doch oft in abgeschlossenen Kreisen nebeneinander: in der Kreuzberger Szene, im Prenzlauer Berg oder in Friedrichshain.
Vielfalt der Fonts
Eine Erfahrung, die auch die beiden Typo-Gestalter Rob und Sonja Keller machten. „Wie viele Designer verbrachten wir die ersten Jahre mit dem Arbeiten in der Isolation des eigenen Heims – oft auf Kosten sozialer Kontakte.“ Deshalb gründeten sie mit Mota Italic nicht nur ein eigenes Studio, sondern eröffneten dazu eine Galerie, die ihre Arbeit und die anderer Schriftgestalter und Grafiker zeigen sollte. Als Schnittstelle und realer Ort, an dem Fäden zusammengeführt und im besten Fall nachhaltig verknotet werden, aber auch als Plattform für die kleine Nischenprofession Typografie, von der zwar viel zu lesen ist, die vom Leser jedoch selten wahr genommen wird.
„Design ist unsichtbar“ sagte François Burkhardt vor glatt drei Jahrzehnten. „Gutes Design ist sowenig Design wie möglich“, konstatiertete Dieter Rams in seinen zehn Thesen für gute Gestaltung. Und Erik Spiekermann, der Altmeister der Schriftgestaltung, stellt fest: „Eine gute Schrift ist die, die wir gar nicht wahrnehmen“. Im Grunde meinen diese drei Weisen des Designs alle das Gleiche: Erst wenn ein Produkt so gut funktioniert, dass wir aufhören, über Bedienung, Ergonomie oder Lesbarkeit nachzudenken, ist es gut gestaltet. Die 26 Buchstaben unseres Alphabets sind besonders unsichtbar – und das, obwohl sie uns jeden Tag begegnen. Erik Spiekermann schätzt, dass es wohl um die 150.000 verschiedene Schriften gibt. Und von einem Großteil hält er nicht allzu viel.
Berliner Buchstaben
Er weiß, wovon er spricht. Es ist wohl kaum zu hoch gegriffen, wenn man behauptet, dass erst ihm die Bedeutung Berlins in der globalen Typo-Szene zu verdanken ist. 1979 war er Mitbegründer von Meta Design, einer der erfolgreichsten Agenturen für Corporate Design in Europa und heute das größte Designbüro in Deutschland. 1990 gründete er den Font Shop und vertrieb Schriften digital im Internet. Die Schriftmarken von Bosch, der Deutschen Bahn und der BVG gehen auf seine Kappe – und ohne, dass es den Berlinern bewusst wäre, lesen sie wohl jeden Tag ein paar Wörter Spiekermann an den Haltestellen, auf Fahrplänen oder auf Anzeigentafeln der Stadt. Damit prägte er nicht nur die Szene, sondern auch das Auftreten der Stadt. 1995 rief er die jährlich stattfindende Typo Berlin ins Leben, die der österreichische, in New Yorker lebende Grafikdesigner Stefan Sagmeister für die wichtigste Konferenz ihrer Art hält. Viele der Berliner Typografen sind deshalb auch mit Spiekermann verbunden, weil sie durch seine Schule gegangen sind, seine Vorträge besucht haben oder von seinen Publikationen inspiriert wurden.
Berlin von A bis Z
So ist es auch bei Rob und Sonja Keller von Mota Italic, denn natürlich ist auch Spiekermann Teil ihrer ersten Ausstellung mit dem Titel „Berliner Buchstaben“. Sie luden 27 Berliner Gestalter, darunter Größen wie Jan Middendorp, Lucas de Groot oder eben Erik Spiekermann, aber auch viele ambitionierte junge Schriftgestalter ein, eine eigene Schrift einzureichen. Damit bilden sie nicht nur einen Querschnitt durch die lokale Szene ab, sondern auch die Bandbreite der Typologien. Sie verdeutlichen, dass Schrift eben nicht nur aus Buchstaben besteht, sondern diese aus ganz eigenen Bildern besteht. Bilder, die etwas ausdrücken. Je nach Gestaltung kann ein Wort aggressiv, verhalten, modern oder veraltet aussehen, kann es einen Text in seiner emotionalen Aussage unterstützen. Um dies grafisch zu untermauern, gaben sie jeweils einen Buchstaben aus jedem Typografie-Set an einen Berliner Grafiker weiter, der diesen Buchstaben dann in eine Illustration einbettete. So wird der Zugang dafür geschaffen, das ABC aus seinem Nischendasein zu befreien und zu zelebrieren.
Ausstellungen zur Berliner Typographie:
Noch bis zum 22.Juli hat die Ausstellung CAPITAL: Berliner Buchstaben in der Galerie Mota Italic in der Schliemannstraße 34 geöffnet. Zur Ausstellung ist eine kleine Publikation erschienen, die alle Fonts und Grafiken versammelt. Mehr Informationen gibt es auf der Website der Galerie .
Im Bauhaus-Archiv in der Potsdamer Straße läuft noch bis 6. Juni eine Ausstellung zu Erik Spiekermanns Werk. Zur Website des Museums hier.
Mehr Beiträge zu unserem Schwerpunkt Berlin lesen Sie hier.
FOTOGRAFIE Mota Italic Gallery: Dan Reynold
Mota Italic Gallery: Dan Reynold
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