Die Chemie des Designs
Mit Nicole Dietz von der Küche in die Werkstatt
Die Berliner Designerin Nicole Dietz hat mit ihrer Masterarbeit Form Dust gastronomisches Wissen in die Holzwerkstatt gebracht. Dafür wurde sie von baunetz id bei den German Design Graduates 2020 ausgezeichnet. Am Telefon erzählte uns die junge Gestalterin von Möbeln aus Mehl, der optimalen Backzeit von Akustikpaneelen und den stillen Ressourcen eines Sägewerks.
Viele junge Designer sehen sich heute als Generalisten. Für sie ist die Gestaltungsaufgabe nicht der Entwurf einer schönen Hülle, sondern die Lösung eines Problems und die Entwicklung guter, innerer Werte. Die Arbeit der Berliner Designerin Nicole Dietz ist exemplarisch für diese Generation. Ihren Master hat die Absolventin der Kunsthochschule Weißensee in die praktische Forschung investiert und Form Dust entwickelt, ein schallabsorbierendes Ultraleichtmaterial. Die auf Sägemehl basierenden Schaumplatten können aber mehr: Sie bestehen aus konsequent umweltfreundlichen und nachhaltigen Materialien, lassen sich recyceln oder biologisch abbauen. Dabei hat Dietz einen einfachen, aber genialen Transfer vollzogen. Bei der Produktion bedient sie sich der Küchenchemie, schlägt dem Holzmehl pflanzliche Stärke und Triebmittel zu und lässt die Masse aufgehen wie einen Teig.
100 Prozent Lärchenmehl
Schon in einem früheren Studienprojekt hat sich Nicole Dietz mit einer Projektgruppe im Green Lab der Kunsthochschule mit der Weiterverwertung von Abfällen aus dem Sägewerk beschäftigt. Damals lag der Fokus auf Alternativen zum MDF. „Was viele nicht wissen: MDF ist eigentlich kein besonders ökologisches Material, wenn man es beispielsweise mit Massivholz vergleicht“, erzählt die Designerin. Damals fand sie ein Sägewerk vor den Toren der Stadt – und jede Menge ungenutzte Ressourcen. „Dort werden täglich säckeweise Lärchenholzspäne als Abfall produziert. Manchmal kommen Leute vorbei und nehmen sie als Einstreu für Pferde oder Kleintiere mit – dann muss das Werk sie nicht entsorgen. Aber es gibt keine kontrollierte Weiterverwertung.“ Nicole Dietz ist es besonders wichtig, dass die Quelle reines Sägemehl liefert. Werkstätten, die auch beschichtete Platten oder sogar Kunststoffe oder Metalle zuschneiden, kommen nicht in Frage.
Chemie trifft Handwerk
Bei der experimentellen Auseinandersetzung mit dem sandigen Ausgangsmaterial kam ihr schnell die Idee, das Material über eine porige Struktur zu Leichtbauplatten zu verarbeiten. Auch die Eingebung, sich bei den Methoden des Backens zu bedienen, schien naheliegend. „Allein schon durch das Rohmaterial Sägemehl“, bemerkt Nicole Dietz. „Bereits die ersten Versuche waren relativ vielversprechend. Allerdings wird die Masse nicht heiß gebacken, sondern verfestigt sich über drei Tage in einem Trocknungsofen. Das richtige Tempo ist beim Aushärten ein wichtiger Faktor. Wenn es zu schnell geht, gibt es Verformungen.“ In vielen Versuchen lernte die Designerin die Chemie und die Variablen kennen, produzierte Platten oder schäumte das Material dreidimensional auf. Wie bei einem Laib Brot offenbarten großformatige Blöcke die innere Struktur nach dem Anschneiden. „Wenn das Material trocken ist, kann man es einfach sägen, bohren oder schleifen.“
Schallschlucker und Terrazzo-Rivale
Durch die unregelmäßige Porenstruktur und die rein pflanzlichen Inhaltsstoffe sieht Nicole Dietz viel Potenzial für die Verwendung von Form Dust als Schallabsorber. Aber die Luftkammern bieten auch ästhetisch noch Spielraum. In einigen Versuchen hat sie der noch feuchten Masse pflanzliche oder mineralische Pigmente zugeschlagen und so farbige Ergebnisse zwischen monochrom und Marmor erzielt. Um eine geschlossene Oberfläche zu erzeugen, füllte sie die Struktur mit einer Holzfüllmasse. Das Ergebnis ist eine ästhetisch interessante Struktur, die auch funktional stabilisierende Vorteile bringt. Für Nicole Dietz ist das vielleicht der nächste Schritt: „Ich glaube, dass man mit Form Dust spannende Oberflächen erzeugen kann. An dieser Stelle würde ich gern weiter experimentieren und in Anwendungen oder Möbeln denken.“