Die dritte Kaffeewelle
Die Mikro-Röstereien der Metropolen

In den vergangenen Jahren haben in den Szenevierteln der Großstädte immer mehr kleine Röstereien eröffnet. Sie schaffen eine Gegenbewegung zu den vereinheitlichten Franchise-Unternehmen, die Cafégestaltung und Kaffeekultur lange Zeit zu einer geschmacklichen Wüste verwandelt haben.
Kaffee kommt in Wellen. Als first, second und third wave bezeichnet man die unterschiedlichen Phasen der Industrie, in denen sich das ursprünglich osmanische Heißgetränk über die Jahrhunderte vom Genussmittel hin zum Massenprodukt und wieder zum Genussmittel wandelte. Die erste Strömung, die in den Fünfzigerjahren begann, feierte vor allem den vitalisierenden Effekt von Koffein und machte das schwarze Gold zu einer allgemein zugänglichen Ware.
XXL-Becher und Frappuccino
Noch in den Sechzigerjahren lag die Zahl der Röstereien allein in Deutschland im vierstelligen Bereich. Doch mit dem Verkauf des Spezialitätenproduktes in Supermärkten veränderte sich der Markt. Heute sind es die großen Unternehmen, die Lebensmittelregale mit Kaffee in Form von gemahlenen und ungemahlenen Bohnen, vorgefertigten Kapseln und Pads fluten. Und auch die Coffeeshops der internationalen Kaffeekonzerne mit ihren gestalterisch weitestgehend vereinheitlichten oder sich zumindest stark ähnelnden Standorten sind aus den Großstädten dieser Welt kaum noch wegzudenken. So führt Starbucks seit den Siebzigerjahren die zweite Welle des Kaffees an und gilt noch immer als die bekannteste Adresse für all jene, denen es nach XXL-Bechern, Vanillesirup und Frappuccino gelüstet. Und man hat viel Auswahl: Ganze 30.000 Filialen in über 70 Ländern sind im Besitz des US-amerikanischen Rösters und Vertreibers.
Interiordesign von Nendo oder Kengo Kuma
Wo die Wellen so hoch schlagen, überraschen auch seltene Meeresbewohner nicht. Während sich der Name Starbucks von Herman Melvilles Roman „Moby Dick“ ableitet, zeigt das Firmenlogo eine verwegen dreinblickende Meerjungfrau – ein Antlitz, das die Straßen weltweiter Innenstädte prägt. Seine einstige Symmetrie wurde bewusst verändert, um das Erscheinungsbild nahbarer und menschlicher zu machen. In den Cafés des globalen Kaffeekonzerns aber hält sich der generische Franchise-Look. Doch es gibt Ausnahmen mit Interiordesigns von Nendo und Kengo Kuma oder dem Reserve Roastery-Konzept. Vorrangig von Inhousedesignerin Liz Muller entworfen, wird in diesen riesigen Röstereien in Mailand, Chicago oder New York der Herstellungsprozess des Kaffees zelebriert. Damit springt Starbucks auf genau die Welle auf, die sich eigentlich als seine Gegenbewegung formiert hat.
Außergewöhnliche Geschmacksprofile
Die internationale Strömung des Third Wave Coffee – ein 2002 von Barista Trish Rothgeb geprägter Begriff – formiert sich seit den Nullerjahren und beschreibt eine Kaffeeliebhaber-Kultur, die sich gegen Massenware und den To-Go-Trend richtet. Vor allem in den Szenevierteln der globalen Metropolen haben sich in den vergangenen Jahren kleine Röstereien angesiedelt, die Wert auf Handwerk, faire Produktionsbedingungen sowie transparente und direkte Transportwege legen. Diese Mikro-Röstereien in Berlin, Oslo, New York, Tokio oder Shanghai bieten besondere Sorten mit außergewöhnlichen Geschmacksprofilen. Immerhin hat Kaffee ganze 800 Aromen (Wein nur 600), die durch die Röstung beeinflusst werden. Eine Erfahrung für die Sinne, die man heute in Kreationen wie Flat White, Cold Brew oder Cascara erleben kann.
Röststätten mit industriellem Charme
Architektur, Einrichtung und Branding der heutigen urbanen Röststätten mit angeschlossenen Cafés und Coffeeshops sind meist dezent gestaltet. Und scheinen doch so individuell wie die Röstungen selbst. Ein Trend jedoch zeichnet sich ab: Vielerorts finden sich schlichte, formreduzierte Tafeln und Schemel, unverblendete Böden und Wände. Dazu viel roher Beton, grobe Holzplanken und nicht selten ein industrieller Charme, der die ursprüngliche Nutzung der Gebäude betont. Es gilt: Understatement statt Franchising. Im Vordergrund steht der puristische Genuss.
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