Hoffmann vs. Loos: Duell in Wien
Im Wiener Museum für Angewandte Kunst treten an: Josef Hoffmann und Adolf Loos.

Es war ein Hahnenkampf der Avantgarde. Auf der einen Seite standen Josef Hoffmann und die Wiener Werkstätte. Auf der anderen Seite der Einzelkämpfer Adolf Loos. Beide Parteien wollten die Gestaltung um 1900 erneuern. Und doch hätten ihre Positionen kaum unterschiedlicher sein können. Das Museum für Angewandte Kunst in Wien (MAK) lässt die beiden Kontrahenten nun in der großen Werkschau Wege der Moderne wieder gegeneinander antreten – und spannt einen zeitlichen Bogen vom 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart.
Im Design geht es manchmal zu wie auf dem Schulhof. Wer dazu gehören will, braucht die richtige Clique. So auch in der Wiener Avantgarde, die um 1900 die Moderne einläutete. Die Szene war erfüllt von einem erbitterten Kampf zweier Denkmodelle, die dennoch ein gemeinsames Ziel verband: dem überschwänglichen Stilmix des Historismus den Garaus zu machen. Während Josef Hoffmann und die Wiener Werkstätte den Alltag mit geometrischen Dekoren ästhetisieren wollten, wählte Adolf Loos den umgekehrten Weg. Architektur und Design sollten in seinen Augen einen funktionalen Hintergrund für das Leben ihrer Bewohner liefern. Doch wer von beiden sollte Recht behalten?
Voraus geschwommen
Anlässlich seines 150-jährigen Bestehens initiiert das Museum für Angewandte Kunst in Wien (MAK) ein neuerliches Kräftemessen der beiden Kontrahenten unter dem Titel Wege der Moderne. Josef Hoffmann, Adolf Loos und die Folgen. Es ist erstaunlich, dass diese Gegenüberstellung erst jetzt zum ersten Mal kuratiert wurde, obwohl sie im Grunde doch auf der Hand liegt. In fünf Kapiteln wird in der großen Halle des MAK der Weg vom frühen 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart skizziert. Die stringente Chronologie mag zunächst ein wenig starr erscheinen. Und doch werden die Einflüsse und Bedingungen für beide Antipoden schlüssig hergeleitet. Schließlich hat auch die Avantgarde nicht alles neu erfunden. Sie ist lediglich im Fluss der Zeit ein Stück voraus geschwommen.
Geschmack versus Stil
Ein richtungsweisender Wandel vollzog sich an der Schwelle vom 18. zum 19. Jahrhundert. Zuvor beherrschten jeweils verbindliche Stile das Bauen und Einrichten, die ein präzises Regelwerk vorgaben und so das Risiko für jeden Einzelnen in Grenzen hielten. Doch mit der Emanzipation des Bürgertums trat der subjektive Geschmack dem objektiven Stil entgegen. Alles war nun möglich, wie die wilden Stilmischungen des Historismus bald vor Augen führen sollten. Schon 1850 mehrten sich Stimmen, die nach einer stilistischen Schlichtung verlangten.
Zum Vater der Wiener Moderne wurde Otto Wagner (1841-1918), der Hoffmann wie Loos gleichermaßen beeinflusste. Der Architekt der Wiener Stadtbahn vermochte seine Formen funktional zu begründen und dennoch dekorative Elemente einzuweben. Eine 1:1-Rekonstruktion der glänzenden Aluminiumfassade von Otto Wagners Depeschenbüro Die Zeit (1902) leitet im MAK hinüber in den zentralen Ausstellungsraum, wo die Arbeiten von Josef Hoffmann und Adolf Loos wie in einer Boxarena aufeinandertreffen.
Ornament an der Waagschale
Vor allem Wagners ganzheitliche Räume faszinierten die Mitglieder der 1897 gegründeten Wiener Secession, zu der neben Josef Hoffmann auch Koloman Moser und Gustav Klimt gehörten. In ihren Augen verlangte die neue Zeit nach einem neuen Ornament, das sämtliche Möbel und Objekte überziehen sollte. Auch wenn Loos mit seinem berühmten Essay „Ornament und Verbrechen“ (1909) einen anderen Weg skizzierte, war er nicht grundsätzlich gegen das Dekor. Während er historische Schmuckformen lobte, lehnte er das Formulieren eines zeitgenössischen Ornaments allerdings kategorisch ab.
Die Formfindung war für Adolf Loos ein evolutionärer Prozess, der nur am Rande mit ästhetischen Belangen in Berührung kam. Bauen und Produktgestaltung waren folglich keine Aufgabe der Kunst, während umgekehrt der Architekt kein Künstler sein dürfe. Um Wohnhäuser sachgerecht planen und umsetzen zu können, sollte das Bauen von der Kunst befreit werden. Nicht ohne Grund schätzte Loos sein Maurerpraktikum als wichtiger ein als sein Architekturstudium in Dresden – das er zudem nie beendet hatte. Auch die Berufsbezeichnung „Architekt“ erschien ihm unangemessen, weil „Maurer mit Latein“ den kunstfreien Anspruch besser auf den Punkt brachte.
Räume wie Violinen
Die Secessionisten vertraten dagegen das Ideal eines Baukünstlers, der alles nach eigenem Geschmack gestalten konnte und bei der Planung weitgehende Autonomie erhielt. Während Josef Hoffmann mit dem Palais Stoclet in Brüssel oder dem Cabaret Fledermaus in Wien perfekt durchkomponierte Räume schuf, wählte Loos einen offeneren Ansatz. „Wenn man nämlich in ein stilvolles ‚Zimmer‘ auch nur ein Nippesstückchen hineinstellt, das nicht dazugehört, kann das ganze Zimmer ‚verdorben‘ sein. Im Familienzimmer geht jedes Stück sofort im Raume völlig auf. So ein Zimmer ist wie eine Violine. Die kann man einspielen, jenes einwohnen“, bemerkte Adolf Loos 1898 in seinem Essay Die Interieurs in der Rotunde.
Abkehr vom Stil
Für Adolf Loos lag der Moderne kein Stil zugrunde, sondern vielmehr eine Haltung. Das Neue kann weder erzwungen noch verordnet werden. Es ergibt sich vielmehr von selbst – als Konsequenz aus den veränderten Bedürfnissen der Bewohner oder durch den Einsatz neuer Fertigungstechniken. Interieurs sind in diesem Sinne keine in sich geschlossenen Gefüge, sondern offene Systeme, die Spielraum für Veränderungen zulassen. Auch ist das Neue in der Tradition verwurzelt, anstatt sich ihr zu entledigen. Begeistert lobte Adolf Loos die Stühle Thomas Chippendales (1718-1779) und verwendete deren Nachbauten für die Speiseräume seiner Interieurs. Diese Stilmix geht über gestalterische Willkür weit hinaus: Weil sich das Sitzen zu Tische über die Jahrhunderte kaum verändert hat, bedurfte es für Loos auch keiner neuen Bestuhlung.
Fell versus Raster
Etwas Exzentrik darf dennoch nicht fehlen, wie die Nachbildungen zweier Räume in der großen Ausstellungshalle des MAK vor Augen führen. Das 1903 von Adolf Loos realisierte Schlafzimmer in seiner eigener Wohnung ist ein sinnliches Boudoir, das von den Wiener Architekten Erich Hubmann und Andreas Vass anhand weniger überlieferter Fotos rekonstruiert wurde. Der gesamte Raum wird von weißen Vorhängen umschlossen, während der Unterkasten des Bettes und der Boden mit weißen Angorafellen bedeckt sind. Streng und starr erscheint dagegen das Schlafzimmer der von Josef Hoffmann 1902 gestalteten Wohnung Salzer in Wien, wo sämtliche Möbel einschließlich der Bettdecke, des Teppichbodens bis hin zu den Vorhängen von einem quadratischen Muster überzogen sind.
Sprung in die Gegenwart
Der folgende Abschnitt des Ausstellungsrundgangs führt weiter in die Gegenwart. Doch genau an dieser Stelle wird es holprig, weil die mit Otto Wagner einsetzende Avantgardegeschichte allein auf nationaler Ebene weitergesponnen wird. Gewiss haben Loos und Hoffmann ihre Einflüsse aus Wien gezogen. Ihr Werk indes hat Gestalter rund um den Globus inspiriert – und nicht nur die gezeigten Arbeiten von Josef Frank und Margarete Schütte-Lihotzky. Von Bauhaus (als Weiterführung von Loos) und Art Déco (als Weiterführung von Josef Hoffmann) keine Spur. Und so springt die Schau geradewegs hinüber in die Postmoderne, als Hans Hollein die Geometrien der Secessionisten durch den Fleischwolf der Ironie drehte. Beliebig wirken vor allem heutige Bezüge wie ein Wohnhaus (2013) von Werner Neuwirth am Wiener Hauptbahnhof, dessen Lochfassade durch einen Wechsel der Fenstergrößen aus der Strenge des Rasters springt. Lediglich ein Wohnhaus von Hermann Czech in Schwechat (1981) erweist mit seinen verschränkten Ebenen den Interieurs von Adolf Loos seine Referenz.
Gestern und Heute
Der zeitliche Sprung offenbart zugleich das Dilemma, in dem sich die Wiener Streithähne befanden. Weder die schwelgenden Formen Josef Hoffmanns noch die sinnliche Reduktion von Adolf Loos haben den Sprung in die Nachkriegsmoderne geschafft. Letzterer hatte bis zu seinem Tod im Jahr 1933 vergebens versucht, der einseitige Lesart von „Ornament und Verbrechen“ entgegenzutreten. Schließlich ging für Loos der Verzicht auf Dekoration mit der Aufwertung von Sinnlichkeit und Materialität einher. Versprechen, die nur wenige Modernisten der folgenden Dekaden einzulösen vermochten. Ein Sieger des gestalterischen Wettstreits ist nach mehr als hundert Jahren aber dennoch auszumachen: Während die perfekten, bühnenhaften Räume von Hoffmann gestrig wirken, hat Loos die Realität des heutige Wohnens vorweggenommen: An die Stelle eines starren Gesamtkunstwerks tritt ein lebendiges Patchwork, das sich mit der Zeit verändern kann.
MAK Wien
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